SPD in Hessen Ypsilantis Angst vor dem Gegenspieler

Die SPD Hessen stärkt ihrer Parteichefin Ypsilanti den Rücken: 95 Prozent der Delegierten haben auf einem Parteitag für die Regierungsübernahme plädiert. Dennoch müssen die Genossen zittern - das rot-grüne Projekt droht am Parteirechten Jürgen Walter zu scheitern.

Fulda – Plötzlich ist er weg. Der Mann, der im Kongresszentrum Esperanto keinen Schritt tun kann, ohne einen Haufen Journalisten an den Fersen zu haben, ist verschwunden.

Dabei geht es nun ans Eingemachte: Die hessische SPD will abstimmen - über Andrea Ypsilantis Plan, sich am Dienstag mit Hilfe von Grünen und Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Und er – Jürgen Walter, Parteirechter und Gegenspieler der Parteichefin – hatte massiv dagegen gewettert.

Nun aber verpasst Walter die Abstimmung. Hinter der Bühne hatte er einen Seitenausgang genommen und den Saal verlassen. Als er wenig später zurückkehrt, ist bereits alles gelaufen – 95 Prozent der anwesenden Delegierten erteilen Ypsilanti den Auftrag, Roland Koch als Regierungschef abzulösen. Am Sonntag wollen auch die Grünen den Koalitionsvertrag von einem Parteitag absegnen lassen.

Niemand konnte am Samstag sagen, ob Walter das Votum gezielt boykottieren wollte oder ob Ypsilantis Leute die Gunst der Stunde geschickt nutzten. Egal wie – die Situation der Genossen wird nun zunehmend heikel. Sollte Walter seiner Rivalin im Landtag die Stimme verweigern, fliegt ihr das Linksbündnis um die Ohren.

Denn Ypsilanti hat nur eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Die Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger hatte ihr Nein bereits angekündigt und tat dies auch beim aktuellen Parteitag noch einmal: "Ich halte den Kurs nach wie vor für falsch und werde am Dienstag nicht für Andrea Ypsilanti stimmen." Koalitionsvertrag und Kabinett hätten ihre Skepsis noch wachsen lassen, sagte die Abweichlerin.

Bereits bei Ypsilantis Rede hatte sie allen Beobachtern ihre Haltung klar vor Augen geführt. Nach der Hälfte der Ansprache verließ sie den Saal und kehrte erst zurück, als die Parteichefin schon wieder Platz genommen hatte. Auf Rückfrage von SPIEGEL ONLINE sagte Metzger: "Die entscheidenden Sachen habe ich ja mitbekommen – und da bin ich konträrer Meinung." Gefragt, wie sie die Rede gefunden habe, winkte die Darmstädterin ab: "Wie erwartet."

Ypsilantis Anhänger reden sich Mut zu

Nicht in die Karten schauen lässt sich dagegen Walter. Der Parteivize will – auch auf wiederholte Nachfragen von Journalisten – nicht über sein Abstimmungsverhalten am Dienstag reden.

Ypsilantis Leute sprachen sich derweil selbst Mut zu: "Großes Vertrauen" habe er, dass Walter das Parteitagsvotum respektieren werde, sagte der Abgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel zu SPIEGEL ONLINE. Das habe Walter im Vorfeld stets erklärt – und daran werde er sich schon halten.

Die Äußerung erfolgte direkt nach Walters kurzem, aber deutlichem Wortbeitrag. Er habe den Koalitionsvertrag nicht unterzeichnet, werde das in Zukunft nicht tun und werde bei der folgenden Abstimmung dagegen votieren. "Ich will niemanden überzeugen", sagte Walter noch, aber er habe den Eindruck, dass mit diesem Programm "Arbeitsplätze gefährdet" seien.

Ypsilanti und Walter würdigen sich keines Blickes

Im Saal herrschte eisige Stille. Die massive Kritik des Parteirechten fand zwar kaum Applaus. Doch viele Delegierte schienen unsicher, was das nun heißt. Lässt Walter den geplanten Regierungswechsel scheitern?

Auch Ypsilanti wirkte konsterniert. Sie saß nur zwei Plätze neben ihrem Rivalen auf dem Podium. Doch sie würdigten sich gegenseitig keines Blickes. Eine zukünftige, konstruktive Zusammenarbeit dieser beiden scheint am Samstagmittag schwer vorstellbar.

"Bullshit" seien die Äußerungen von Walter, schimpfte ein Anhänger des designierten Wirtschaftsministers Hermann Scheer. Keinesfalls würden Arbeitsplätze gefährdet – im Gegenteil. In die gleiche Kerbe schlug auch Scheer später. Er ist Ypsilantis Mastermind – ihr wichtigster Berater – noch vor Generalsekretär Norbert Schmitt und Bundesentwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul. Der Noch-Bundestagsabgeordnete hielt eine aggressive und mit Attacken geschmückte Rede. "Wir dürfen uns in unserem Vorhaben nicht von den Ewiggestrigen einschränken lassen", wetterte Scheer.

Walter droht das politische Abstellgleis

Die Finanzkrise habe deutlich gezeigt, dass es so nicht weitergehe. Ein politisches Umsteuern sei dringend erforderlich – und Ypsilanti "die Erste, die diesen Kurs als Ministerpräsidentin verfolgen" werde.

Klare Spitzen von Scheer auch gegen Walter, dessen Wunschressort er künftig leiten soll. Wie dieser sich nun verhalten wird, ist völlig unklar. Doch festzustehen scheint, dass er in der hessischen SPD keine große Zukunft mehr hat. Wenn Ypsilanti am Dienstag scheitert, reißt sie ihn mit in den politischen Abgrund. Egal ob er ihr die Stimme verweigert oder nicht.

Sollte sie dagegen Erfolg haben, wird sie ihm diesen Auftritt in Fulda wohl kaum verzeihen – und ihn auf Dauer von einflussreichen Positionen fernhalten.

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