SPD-Innenminister Pistorius "Innere Sicherheit ist ein Grundbedürfnis der Menschen"

Boris Pistorius gilt als der neue Otto Schily der SPD. Im Interview mahnt Niedersachsens Innenminister seine Partei, das Thema innere Sicherheit im Bundestagswahlkampf nicht der Union zu überlassen.
Niedersächsischer Innenminister Pistorius

Niedersächsischer Innenminister Pistorius

Foto: Ronny Hartmann/ Bongarts/Getty Images

Drei Landtagswahlen in Serie hat die SPD jüngst verloren. In Nordrhein-Westfalen zeigte sich die Schwäche der Partei auch auf dem Feld der inneren Sicherheit. Nun soll das Thema im Bundestagswahlkampf mehr Bedeutung erhalten. Das ist aus Sicht des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius auch notwendig. "Innere Sicherheit ist ein Grundbedürfnis", sagt er im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Deswegen setze die SPD bundesweit alles daran, "hier mehr Vertrauen zu gewinnen".

Der 57-Jährige Pistorius gilt in der SPD als potenzieller Kandidat für das Amt des Innenministers in einem möglichen Schattenkabinett von Kanzlerkandidat Martin Schulz. Wiederholt wurde er mit Otto Schily verglichen, der als Bundesinnenminister der rot-grünen Koalition für einen harten Kurs stand.

Pistorius will die Union in den kommenden Monaten bis zur Bundestagswahl am 24. September stärker angreifen. Er wirft der Konkurrenz vor, beim Wähler Ängste zu schüren: "Manchmal habe ich bei den CDU-Kampagnen den Eindruck, der Untergang des Abendlandes stehe kurz bevor." Dabei sei Deutschland immer noch "eines der sichersten Länder der Welt".

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

SPIEGEL ONLINE: Herr Pistorius, hat die SPD das Thema innere Sicherheit bisher vernachlässigt?

Pistorius: Wir haben das Thema nicht vernachlässigt, wir haben es nur bislang nicht so stark in den Fokus gerückt wie andere Themen. Aber es ist uns klar, dass das Sicherheitsempfinden für viele Menschen ausschlaggebend dafür ist, wie wohl sie sich in ihrem Land fühlen und wie sehr sie ihrer politischen Führung vertrauen.

SPIEGEL ONLINE: In NRW haben sich die SPD und ihr Innenminister Ralf Jäger wegen ihres Umgangs mit der Kölner Silvesternacht und dem Fall Amri angreifbar gemacht.

Pistorius: Ich schätze Ralf Jäger sehr. Wo Fehler auftreten - und das kann in jedem Bundesland passieren -, müssen sie aufgeklärt und bewertet werden, damit sie sich nicht wiederholen. Unsere Sicherheitsbehörden stehen wie unsere ganze Gesellschaft vor immer neuen Herausforderungen. Hätten Sie sich vor einem Jahr vorstellen können, dass Terroristen einen so feigen Anschlag gezielt auf Kinder und Jugendliche verüben, die das Konzert eines Teenager-Stars besuchen?

SPIEGEL ONLINE: Ist der Anschlag von Manchester eine neue Dimension des Terrors?

Pistorius: Ich möchte jetzt keine neue Kategorie des Terrors, eher von Feigheit ausrufen, denn jede Tat mit vielen unschuldigen Opfern ist für sich schon unfassbar genug und kaum zu ertragen. Aber natürlich ist es besonders verachtenswert, einen Anschlag ausgerechnet und gezielt da zu verüben, wo sich ganz sicher überwiegend Jugendliche und sogar Kinder aufhalten.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben in Niedersachsen gerade zwei islamistische Gefährder abgeschoben. Stehen Sie für eine Politik der klaren Kante?

Pistorius: Die Menschen erwarten von uns, auch von uns Sozialdemokraten, dass wir ihre Sicherheit gewährleisten. Derjenige, der sich an die Regeln hält, egal ob er hier geboren ist, zugewandert oder Flüchtling ist, kann alle Freiheiten dieses Landes für sich in Anspruch nehmen und auch unseren Schutz. Wer das nicht tut, muss mit den entsprechenden Folgen rechnen. Das hat nichts mit Härte zu tun, sondern mit konsequenter Rechtsanwendung.

SPIEGEL ONLINE: Die SPD plädiert in ihrem Programmentwurf für die Schließung extremistischer Moscheen. Wollen Sie der AfD Konkurrenz machen?

Zur Person
Foto: Christoph Schmidt/ dpa

Boris Pistorius, Jahrgang 1960, ist gebürtiger Niedersachse. Mit 16 Jahren trat er der SPD bei. Von 2006 bis 2013 war der Jurist Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück. Seit Februar 2013 ist Pistorius Innenminister des Landes Niedersachsen.

Pistorius: Wir haben in Hildesheim gerade eine extremistische Moschee geschlossen. Niemand glaubt dabei, dass durch das Verbot einer Moscheegemeinde die problematischen Kunden verschwinden. Es geht aber darum, Islamisten mitten in unserer freiheitlichen Gesellschaft zu zeigen: 'Wir sehen euch, und wir werden nicht zulassen, dass ihr eure Strukturen bei uns verfestigt.'

SPIEGEL ONLINE: Also ist das nur ein Baustein unter vielen?

Pistorius: Es gibt nicht das Allheilmittel. Abschiebungen allein sind es nicht, Vereinsverbote sind es auch nicht. Wir brauchen zusätzlich bessere präventive Maßnahmen für Familien, für Schulen und Vereine. Dort merkt man zuerst, wenn sich jemand verändert. Und dann sieht man sich diese Einzelfälle an und überlegt: Kann man den noch zurückholen mithilfe von Aussteigerprogrammen, Familie und Freunden oder ist das ein Fall für den Verfassungsschutz?

SPIEGEL ONLINE: Laut ARD-Deutschlandtrend trauen nur 19 Prozent der Befragten der SPD zu, Verbrechen und Kriminalität am besten zu bekämpfen.

Pistorius: In Niedersachsen ist das nicht so. Ich nehme solche Umfragen aber ernst. Innere Sicherheit ist ein Grundbedürfnis der Menschen. Deswegen will die SPD bundesweit hier mehr Vertrauen gewinnen.

SPIEGEL ONLINE: Wo wollen Sie sich denn von der Union absetzen?

Pistorius: CDU und CSU übertreiben seit der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2016 immer wieder maßlos. Ich bin auch gegen Burkas, aber macht ein Verbot Deutschland sicherer? Das ist doch die Frage. Oder der Vorschlag, wir bräuchten eineinhalb Jahre Abschiebehaft für Gefährder - das ist nichts weiter als eine Vorbeugehaft, die wir objektiv nicht brauchen, wenn wir bestehende Gesetze konsequent anwenden. Die SPD ist die vernünftige Stimme, die den Weg zwischen dem Notwendigen zur Wahrung der inneren Sicherheit und der Freiheit des Individuums aufzeigt. Das ist sozialdemokratische Innenpolitik.

SPIEGEL ONLINE: Die CDU in NRW plakatierte: "Ich fühle mich hier nicht mehr sicher. Warum tun die nichts?" Wie wollen Sie einem solchen Gefühlswahlkampf entgegentreten?

Pistorius: Indem wir den Menschen sagen, die CDU verstärkt eure Ängste, statt sie euch zu nehmen. Deutschland ist immer noch - mit Abstand - eines der sichersten Länder der Welt. Manchmal habe ich bei den CDU-Kampagnen den Eindruck, der Untergang des Abendlandes stehe kurz bevor. Das ist in keinem Bundesland der Fall.

SPIEGEL ONLINE: Sollte die SPD Bundesinnenminister Thomas de Maizière schärfer kritisieren?

Pistorius mit Polizisten

Pistorius mit Polizisten

Foto: Hauke-Christian Dittrich/ dpa

Pistorius: Der Bundesinnenminister bietet genügend Angriffsflächen.

SPIEGEL ONLINE: Welche?

Pistorius: Die einsame Entscheidung der Kanzlerin, die Grenzen zu öffnen, hat doch gezeigt, wie heruntergewirtschaftet sowohl Bundespolizei als auch Mammutbehörden wie das Bundesamt für Flüchtlinge sind. Für beide Behörden ist Herr de Maizière verantwortlich. Durch die jahrelange Sparpolitik von CDU und CSU war Deutschland 2015 über Monate hinweg nicht ansatzweise in der Lage zu kontrollieren, wer ins Land kommt. Der Stau bei den Asylanträgen ist bis heute trotz vollmundiger Versprechen noch nicht abgearbeitet. Und die Qualität der Bearbeitung ist zum Teil besorgniserregend und gefährdet die innere Sicherheit - wie wir im Fall des Bundeswehroffiziers Franco A. gesehen haben.

SPIEGEL ONLINE: Eine ziemliche lange Liste an Vorwürfen.

Pistorius: Auch die mangelnde Kooperation der Polizei auf europäischer Ebene ist de Maizière nicht entschlossen genug angegangen oder die Cybersicherheit. Zwei Mammutthemen unserer Zeit, die unsere Sicherheit ganz empfindlich berühren. Was ist, wenn Cyberpiraten Krankenhäuser und Kraftwerke kapern? Deshalb fordere ich auch eine bundesweite Katastrophenschutzübung mit genau diesen Szenarien. Statt aber diese Probleme anzugehen, lässt die CDU den Einsatz der Bundeswehr im Inneren üben. Absurd und aus der Zeit gefallen.

SPIEGEL ONLINE: Muss auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz mehr auf das Thema innere Sicherheit setzen?

SPD-Chef Martin Schulz

SPD-Chef Martin Schulz

Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS

Pistorius: Er macht es schon.

SPIEGEL ONLINE: Er wird aber nicht alles stemmen können. Wer könnte ihre Partei bei der inneren Sicherheit vertreten?

Pistorius (lacht): Da gibt es bestimmt den einen oder anderen, der dazu in der Lage wäre.

SPIEGEL ONLINE: Sie werden ja auch häufiger genannt, manche vergleichen Sie schon mit dem früheren SPD-Bundesinnenminister Otto Schily. Wären Sie bereit?

Pistorius: Die Möglichkeiten, die ich als niedersächsischer Innenminister auf Bundesebene habe, nutze ich auch heute schon gerne.

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