Walter-Borjans Der Bernie Sanders aus Köln-Sülz

Seine politische Karriere schien beendet - dann kam die Abgeordnete Saskia Esken und fragte Norbert Walter-Borjans, ob er mit ihr die SPD führen wolle. Wer ist der Mann, der Vizekanzler Olaf Scholz herausfordert?
Norbert Walter-Borjans: "Das schlechte Gewissen hält sich in Grenzen"

Norbert Walter-Borjans: "Das schlechte Gewissen hält sich in Grenzen"

Foto: Martin Schutt/ DPA

Der Mann, der neuer SPD-Chef werden will, dürfte vielen Deutschen bis vor Kurzem noch gänzlich unbekannt gewesen sein: Norbert Walter-Borjans, genannt Nowabo, stieg erst am vergangenen Samstag auf die große bundespolitische Bühne. An der Seite der ebenfalls kaum bekannten Bundestagsabgeordneten Saskia Esken steht der 67-Jährige in der Stichwahl um den Parteivorsitz. In der ersten Runde des Mitgliederentscheids erreichten sie nur 1,6 Prozentpunkte weniger Stimmen als Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz.

Noch überraschender dann das erste Stimmungsbild: In einer SPIEGEL-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey liegen Walter-Borjans und Esken vorne - deutlich unter SPD-Anhängern, knapp in der Gesamtbevölkerung.

Entscheiden werden die Mitglieder, aber die beiden Herausforderer haben offenbar eine Chance. Dabei schien die politische Karriere von Walter-Borjans bereits beendet. 2017 wurde die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, der er als Finanzminister angehörte, abgewählt. Walter-Borjans schrieb ein Buch über seinen Kampf gegen Steuerhinterzieher und tourte damit durch Deutschland.

Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Chefin fragte ihn Esken, ob er gemeinsam mit ihr kandidieren wolle. Viele hätten ihn ermuntert, sagt Walter-Borjans, darunter Juso-Chef Kevin Kühnert, der bekannteste GroKo-Gegner in der Partei. Das Team sicherte sich die Nominierung des NRW-Landesvorstands und die Unterstützung vieler Oberbürgermeister.

Und so wurde Walter-Borjans auf einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit gespült. Er oder Scholz: Dieses Duell prägt die Stichwahl - auch wenn in der Partei davor gewarnt wird, Geywitz und Esken zu unterschätzen.

Besuch beim Kandidaten: In der vergangenen Woche, wenige Tage vor dem Ergebnis der ersten Abstimmung, betritt Norbert Walter-Borjans sein Lieblingscafé im Kölner Stadtteil Sülz, wo er seit fast 40 Jahren lebt. Er bestellt einen Käsekuchen. "Das schlechte Gewissen hält sich in Grenzen", sagt er und lächelt, schließlich sei er "heute Morgen schon joggen gewesen". Der Kandidat hat gute Laune. Von allen Seiten erhalte er in diesen Tagen Zuspruch, erzählt Walter-Borjans, von Menschen jeden Alters. Innerhalb der SPD fliegen ihm vor allem von den Jusos die Sympathien zu.

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"Das gibt es ja immer wieder in der Politik", sagt Walter-Borjans, "dass die Jungen sagen: Es ist uns egal, wie alt du bist, viel wichtiger ist uns, dass du gezeigt hast, dass du für Gerechtigkeit stehst und standhältst. So habe ich als Jugendlicher auch auf Johannes Rau und Willy Brandt geschaut, so blicken die Jugendlichen in den USA auch auf Bernie Sanders."

Schon bezeichnend: Früher rückten sich Politiker gern in die Nähe des Optimisten Barack Obama, heute ist es der Grantler Sanders. Tatsächlich gibt es Parallelen zu dem Mann, der Hillary Clinton 2016 im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten unterlag. Auch Walter-Borjans bedient eine Sehnsucht in der Partei nach klaren, linken Positionen, nach Authentizität und Glaubwürdigkeit. Zugleich ist aber wie bei Sanders die Gefahr, dass der Hype nur nach innen gerichtet ist. Kann Nowabo auch über die Parteigrenzen hinaus mobilisieren? Ein Kanzlerkandidat Walter-Borjans scheint derzeit schwer vorstellbar.

Juso-Chef Kühnert sieht es anders: "Unser Personaltableau mag ausgedünnt sein, aber wir müssen es nicht schlechter reden, als es ist", sagt er dem SPIEGEL. Wer die Unterstützung der Mitglieder habe, könne Spitzenkandidat sein, das sei "doch logisch". Und in Richtung des Scholz-Lagers ergänzt der Juso-Chef: "Es versuchen gerade Leute der Partei eine Alternativlosigkeit einzureden, die sie selbst erst herbeigeführt haben."

Vom Regierungssprecher zum Finanzminister

Auffällig ist, dass Walter-Borjans bislang keine größeren Parteiämter hatte. Er ist ein Mann der Exekutive, war Regierungssprecher von Johannes Rau, Staatssekretär im Saarland und von 2010 bis 2017 Finanzminister unter Hannelore Kraft.

Walter-Borjans spricht gerne über diese sieben Jahre. Damals verhinderte er ein Steuerabkommen mit der Schweiz, kaufte Steuer-CDs in großem Stil an, verfolgte Fiskaltouristen und machte sich damit einen Namen bei Fahndern und Bürgern. Das Geld und der Staat, die Einnahmen- und Finanzpolitik, das sind die Lieblingsthemen von Walter-Borjans. Es seien Themen, die "andere nur mit spitzen Fingern anfassen" würden, was er für einen Fehler halte.

Er redet über den Spitzensteuersatz und die Erbschaftssteuer, über Cum-Ex-Geschäfte, Geldwäsche und die Steuervermeidungstricks von Digitalkonzernen. "Man kann Geld nur gerecht ausgeben, wenn es gerecht eingenommen wurde", sagt er. Das sei sein Credo, und das gelte für so ziemlich jeden Politikbereich, beim Klima, in der Friedenspolitik, beim Thema Migration.

Und was ist, wenn Walter-Borjans und Esken wirklich gewinnen? Endet dann die GroKo? Ex-SPD-Chef Martin Schulz spricht sich im neuen SPIEGEL für seinen einstigen Rivalen Scholz aus  - und sagt, er "rate von der Wahl von Kandidaten ab, die aus der Regierung aussteigen wollen".

Kühnert stützt Walter-Borjans bei GroKo-Frage

Doch so sicher ist das gar nicht. Walter-Borjans und Esken üben unterschiedlich starke Kritik am Bündnis mit der Union. Bei Esken, die seit sechs Jahren im Bundestag sitzt, klang es in den vergangenen Wochen so, als wolle sie auf jeden Fall raus. Walter-Borjans äußerte sich zurückhaltender - und wird in diesem Kurs von Kühnert unterstützt. "Ich finde seine Position zur GroKo genau richtig", sagt der Juso-Chef. "Wir entscheiden das anhand politischer Kriterien." Walter-Borjans positioniere sich so, wie die Partei es das ganze Jahr über getan hätte: "Wir haben eine Halbzeitbilanz erzwungen. Wir bewerten inhaltlich und die Delegierten entscheiden."

Dass Walter-Borjans und Esken die Große Koalition "unterschiedlich drastisch" bewerten, sei "ziemlich menschlich", sagt Kühnert. Wichtig sei: "Auch Saskia Esken fühlt sich an den Parteitagsbeschluss gebunden und ist nicht tödlich beleidigt, wenn die Partei sich anders entscheidet."

Kühnert verspricht sich von einem Sieg von Walter-Borjans und Esken eine Chance zur Versöhnung der Partei. "Beide sind skeptisch gegenüber der Koalition, haben aber eine akzentuiert unterschiedliche Meinung", sagt er. "Das war bisher nicht so und ist auch bei Scholz/Geywitz nicht so. Die wollen drinbleiben und stehen damit für eine Hälfte der SPD."

Seit gut zwei Jahren schon ist Walter-Borjans nicht mehr Finanzminister, die Steuerfragen haben ihn nicht losgelassen. Es gibt nur selten Momente, in denen Walter-Borjans nicht übers Geld nachdenkt, beim Joggen zum Beispiel, oder bei der Bildhauerei, seinem anderen Hobby. Seine Skulpturen stellte er früher im Finanzministerium in Düsseldorf auf, nach der Abwahl der SPD bei der letzten Landtagswahl musste er sie mit zu sich nach Hause nehmen, wo er seitdem "ein Platzproblem" habe, wie er sagt.

Vielleicht stehen im Willy-Brandt-Haus bald ein paar Marmorkunstwerke herum.

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