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Hannelore Kraft: Gabriels Geheimwaffe

Foto: Bernd Thissen/ dpa

SPD-Kandidatin Kraft Die Anti-Ypsilanti

Sie ist hartnäckig wie eine Kreditkartenverkäuferin. Leutselig wie nur noch wenige an der SPD-Spitze. Hannelore Kraft könnte bei der Wahl den NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers stürzen - aber wieso bloß wird sie immer wieder mit Andrea Ypsilanti verglichen?

Hannelore Kraft

Lippstadt/Berlin - Der Mann ist fällig, der kommt ihr nicht davon. Es ist 10 Uhr am Morgen an einem dieser Wahlkampftage, steht mitten im Lippstädter Kleingartenverein. Der Wind weht, die Sonne scheint, gerade hat sie etwa hundert ergrauten Damen und Herren und ein paar Gartenzwergen ihre Politik erklärt. Jetzt gilt es, kurzen Prozess zu machen.

SPD

Kraft quetscht sich auf eine Holzbank. "Ich hab gehört, Du willst in die eintreten", sagt sie zu ihrem Sitznachbarn und überrascht ihn damit. "Naja", murmelt der, "eigentlich erst, wenn Ihr den Seeheimer Kreis abgeschafft habt." Er meint den konservativen Flügel, mit dem er ziemliche Probleme hat. "Den gibt's bei uns in NRW eh nicht", antwortet Kraft. "Kannst also eintreten." Sie zückt Formular und Stift und bleibt so lange sitzen, bis der junge Herr Sozialdemokrat ist. Der braucht anschließend gleich mal einen Schnaps.

Es ist nicht ganz leicht, sich Hannelore Kraft in den Weg zu stellen. Sie macht gerne "den Sack zu", wie sie es selbst ausdrückt.

Im Zweifel gibt sich die 48-Jährige recht hartnäckig, weshalb man froh sein kann, dass sie in der Politik gelandet ist und nicht in Deutschlands Fußgängerzonen Kreditkarten vertickt.

Nordrhein-Westfalen

Kraft will am 9. Mai Ministerpräsidentin von werden. Diesen Wunsch hat man selbst in der SPD bis vor kurzem belächelt. Nach dem Kollaps von 2005 schien der einst stolze Landesverband scheintot, Kraft selbst blass und die Bezeichnung "Spitzenkandidatin" ein Euphemismus. Inzwischen lacht niemand mehr. In Umfragen liegt sie nur knapp hinter der regierenden CDU. Die Notlösung von einst ist für den von Affäre zu Affäre stolpernden Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers zur echten Gefahr geworden. Den verunsicherten Bundesgenossen macht sie Hoffnung auf bessere Zeiten.

Audi weg, Nokia-Handy weg

Ein Tag im April, Kraft rast in ihrem Dienstwagen über eine Landstraße im Sauerland. Weil Nordrhein-Westfalen ein großes Land ist und sie viele Termine hat, ist das Auto im Wahlkampf ein bisschen ihr Zuhause geworden. Manchmal muss sie sogar im Wagen schlafen, weshalb vorsichtshalber ein Kulturbeutel am Vordersitz hängt. Sie hat von Audi auf Opel umgestellt, als Zeichen der Solidarität mit dem maroden Autobauer. Sie hat auch ihr Nokia-Handy abgegeben, als der Konzern Arbeitsplätze ins Ausland verlagerte. Sie sagt: "In der Politik musst Du konsequent sein."

Kraft will echt und authentisch wirken, sie weiß, dass das gut ankommt - gerade in Zeiten, in denen ihr Gegenüber dem Vorwurf der Käuflichkeit ausgesetzt ist. Erst am Wochenende enthüllte der SPIEGEL, dass Rüttgers' CDU 2005 mit Finanztricks eine angeblich unabhängige Wählerinitiative aufbaute.

Auch sie muss sich seit Wochen Fragen stellen lassen. Weniger zum Finanzgebaren ihrer Partei als zu Koalitionsoptionen. Sie setzt auf Rot-Grün, was aber unwahrscheinlich ist, sollte die Linke in den Landtag einziehen - wonach es gerade aussieht.

Wagt sie im Zweifel also ein Linksbündnis?

Ach, sagt Kraft und drückt sich in ihren Rücksitz. "Die ständigen Koalitionsspielchen sind Mediengeschichten. Die Menschen interessiert das kaum." Es ist einer dieser typischen Problemverdrängungssätze. Wenn ein Politiker behauptet, ein Thema bewege die Menschen kaum, lohnt es sich, sich dieses Thema vorzuknöpfen.

Andrea Ypsilanti

Tatsächlich ist die Frage, wie sie es mit der Linkspartei hält, Krafts großes Problem. Sie will zwar ein Bündnis mit der Linken nicht ganz ausschließen, sagt aber, sie wolle nicht mit der Linken regieren. Viele in Nordrhein-Westfalen nehmen ihr das nicht ab. Wenn Rot-Grün am Wähler scheitert, könnte die rot-rot-grüne Versuchung einfach zu groß sein. Ein bisschen wie bei eben, die der Versuchung Linksbündnis in Hessen nicht widerstehen konnte - entgegen ihrer Versprechen vor der Wahl, was die Sozialdemokratie in schwere Nöte stürzte.

Bei CDU und FDP heißt Hannelore Kraft nur noch "Kraftilanti", weshalb sich in der SPD auf den letzten Metern die Stimmen jener mehren, die ein Linksbündnis doch noch komplett ausschließen wollen. Auch wenn sie sich damit erst recht in die Ypsilanti-Falle begeben würden.

Mit Ypsilanti teilt sie wenig

Man fragt sich ein bisschen, woher diese Hysterie kommt. Denn Kraft ist wahrlich kein Klon von Andrea Ypsilanti. Die beiden teilen genau genommen kaum etwas. Das ist Krafts großes Glück. Und paradoxerweise auch ihr großes Manko.

Schon politisch sind sich die beiden eher fremd. Ypsilanti erwarb sich ihren linken Ruf vor allem durch ihren Widerstand gegen die Reformpolitik von Gerhard Schröder. Kraft trug die Agenda 2010 einst mit. Ypsilanti träumte von Windrädern und Biomasse-Generatoren. Kraft gibt sich industriefreundlich und setzt auf die altbewährte Kohle. Die Hessin dachte gleich in den ganz großen Gesellschaftsmodellen. Die Nordrhein-Westfälin scheut diese Form der politischen Fantasterei.

Mit Sicherheit hätte Kraft auch ihre Schwierigkeiten, sich an einem "Institut Solidarische Moderne" zu beteiligen, wie Ypsilanti das tut. Nordrhein-Westfalen ist ein recht konservatives Land, weshalb eine exotische Programmatik keine so gute Idee ist. Das sieht man auch an der Linkspartei. Kraft führt seit Monaten einen ruhigen, besonnenen Kümmerer-Wahlkampf, der allein auf ihr Bundesland zugeschnitten ist. Sie schlägt sich auf die Seite der klammen Kommunen, plädiert für gerechtere Löhne, verspricht eine bessere Kinderbetreuung und neue Chancen für Langzeitarbeitslose. Vor allem will sie, dass Kinder in Gemeinschaftsschulen länger gemeinsam lernen und eine Wahl haben, ob sie das Abitur in 12 oder in 13 Jahren machen. Sie attackiert praktisch nie Jürgen Rüttgers. Kraft will eine Welt, in der sich alle wohl fühlen.

Die Gefahr einer sozialen Revolution besteht mit ihr sicher nicht - anders als manche im Wahlkampf befürchten. Sie war mal Unternehmensberaterin, sie weiß, was politische Macht ist, seit Wolfgang Clement sie 2001 zur Europaministerin gemacht hat. Gut möglich, dass eben diese Erfahrung sie davor bewahrt, nach der Wahl Ypsilanti nachzueifern und auf Gedeih und Verderb die Staatskanzlei erobern zu wollen.

"Hannelore, Hannelore, Kraft, Kraft, Kraft!"

Doch das, was sie vorteilhaft von der Hessin unterscheidet, ist gleichzeitig Krafts Problem. Ypsilanti strahlte über die Landesgrenzen hinaus. Vor ihrem Wortbruch war sie für einen nicht unerheblichen Teil der deutschen Linken eine Art Projektionsfläche für Sehnsüchte nach mehr Gerechtigkeit. Kraft ist das nicht. Sie ist nicht die neue linke Hoffnungsträgerin. Trotz der großen Probleme ihres Gegners hat sie Schwierigkeiten, Aufbruchstimmung zu erzeugen.

Ende Februar, Westfalenhalle in Dortmund. Kraft bewirbt sich auf dem SPD-Landesparteitag für das Amt der Spitzenkandidatin. Es ist ihr Tag. Sie hält eine mäßige Rede, die Delegierten klatschen brav. Am Ende klettern die Genossen ihres Unterbezirks auf die Bühne und wollen das Publikum mit einem Sprechchor in Stimmung bringen: "Hannelore, Hannelore, Kraft, Kraft, Kraft!" Das Echo bleibt aus. Die Halle leert sich.

Wahrscheinlich ist Hannelore Kraft das heute völlig egal. In den vergangenen zwei Monaten sind die Chancen für sie eher besser als schlechter geworden. Und sie weiß auch: Sollte sie am 9. Mai gewinnen, wird sich die Begeisterung schon von alleine einstellen. So ist das eben bei Wahlsiegen: Das frühere Image spielt danach keine Rolle mehr.

Vielleicht wird Kraft ja doch noch zur linken Hoffnungsträgerin.

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