Schulz am Hamburger Schulterblatt Dahin, wo es wehtut
Als Martin Schulz durch das Schanzenviertel läuft, sind seine Sicherheitsmitarbeiter immer eng an seiner Seite. "Scholz, verpiss dich", brüllt ein junger Mann auf der anderen Straßenseite. "Schulz, verpiss dich", legt er nach. Es wird an diesem Nachmittag nicht der einzige dieser Rufe bleiben.
Wer da eigentlich durch die Straßen läuft, in denen sich vor Tagen am Rande des G20-Gipfels schwere Krawalle ereigneten, ist vielen Menschen gar nicht so recht klar. Sicher ist nur: Die Menschen sind immer noch sauer - und sie bereiten dem SPD-Kanzlerkandidaten bei der Besichtigung des Viertels einen frostigen Empfang.
Die Sommerreise des Kanzlerkandidaten, die schöne Bilder und positive Nachrichten produzieren sollte, ist damit gewissermaßen an ihrem negativen Höhepunkt angekommen. Hamburg stand ohnehin auf dem Programm, für Donnerstagnachmittag war aber ursprünglich ein Hafenbesuch vorgesehen. Seitdem Schulz zu Wochenbeginn im tiefsten Oberbayern seine Tour startete, hat ihn die Debatte um die G20-Krawalle verfolgt, wann immer sich der Kanzlerkandidat irgendwo vor Kameras und Mikrofone stellte - die Frage kreisten zunächst nur darum.
Und lange steckte der SPD-Chef dabei in der Defensive. Auch wenn seine Partei nichts mit den Gewalttätern von Hamburg zu tun hat - das Schlagwort von der linken Gewalt trifft die Sozialdemokraten und zuvorderst ihren Vorsitzenden. Er hat sich mit harten Vokabeln gegen die "Mordbrenner" gestellt, aber es hilft wenig. Vor allem, weil in weniger als zehn Wochen ein neuer Bundestag gewählt wird. Die politische Konkurrenz von der anderen Seite des politischen Spektrums, insbesondere die Union, hat sofort erkannt, wie sehr sie der SPD mit dieser Debatte schaden kann - und tut alles dafür, sie am Laufen zu halten.
Schulz im Schanzenviertel: Das ist also in gewisser Weise der Tiefpunkt dieser Woche, andererseits ist er jetzt wenigstens da. Der SPD-Kanzlerkandidat geht dahin, wo es wehtut.
Im Video: Regierungserklärung von Scholz
Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, deren ausdrücklicher Wunsch es ja offenbar gewesen ist, den Gipfel in ihrer Heimatstadt Hamburg und dann auch noch medienwirksam im Vorfeld der Bundestagswahl abzuhalten, hat sich hier bisher nicht blicken lassen. Auch wenn sich Außenminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel am Mittwoch in einer wilden Attacke die Kanzlerin vorknöpfte - die Haue kassiert bisher vor allem Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz und mit ihm seine Partei, die SPD. Zuletzt beklagte auch Schulz die "Zerfleischungsstrategie" der Union, die Merkel schweigend mittrage und damit das "Geschäft der Marodeure" in ihrer Partei betreibe.
"Der Redebedarf ist einfach groß"
Ein Pressepulk schirmt den SPD-Mann auf seinem Weg an eingeschlagenen Scheiben durch die Schanze ab - zu einem Bürgergespräch auf der Straße kommt es so erst gar nicht. Der Gang durch das Viertel ist eng getaktet, knapp 40 Minuten sind für die Tour vorgesehen. "Ich glaube, dass mit der Regierungserklärung von Olaf Scholz wieder ein rationaler Prozess begonnen hat", sagt Schulz.
Er steht an einem Stand von Polizisten am Pferdemarkt. Die Beamten sind dort, um mit Anwohnern zu reden und ihre Schäden aus der Krawallnacht aufzunehmen. Sie erzählen dem Kanzlerkandidaten von positivem Feedback, das ihnen die Menschen aus dem Viertel geben. Auf die Politik seien die Anwohner aber weiterhin sauer.
Nächster Halt: Ein Weinladen. Auch hier haben Randalierer die Scheiben eingeschlagen. "Ich finde es mutig, dass Schulz sich hier der Wut auf die SPD-Regierung aussetzt", sagt Inhaber Mathias Fahrig nach dem Gespräch mit dem Kanzlerkandidaten. Den Besuch des Viertels hätte er aber auch von Scholz und seinem Innensenator Andy Grote erwartet: "Der Redebedarf ist einfach groß."
Gemeinsam mit anderen Bewohnern verhinderte Fahrig, dass die Autonomen auch seinen Laden komplett plündern konnten. Für Schulz hat er dann auch noch einen Rat: "Ich habe ihm gesagt, er soll den Elan der Anfangszeit wieder an den Tag legen."
Bürgermeister Scholz wiederum ist an diesem Donnerstag ironischerweise mit Merkel unterwegs gewesen, als Beauftragter der deutsch-französischen Beziehungen war er beim Treffen der Kanzlerin und Teilen ihres Kabinetts in Paris mit Präsident Emmanuel Macron und wichtigen Mitgliedern seiner Regierung dabei. Es gab wieder prima Bilder von Merkel und Sonnyboy Macron. Für die Kanzlerin ist G20 längst Vergangenheit - Scholz und Schulz stecken mittendrin in der politischen Aufarbeitung.
Und die belastet den Wahlkampf für Merkels Herausforderer zusätzlich. Beim Thema innere Sicherheit hat es die SPD traditionell schwer, zudem fehlt ihr seit Otto Schily eine Law-and-Order-Persönlichkeit, die Ereignisse von Hamburg scheinen da für viele Wähler ins Bild zu passen.
Was macht das mit einem Mann, dessen Partei in aktuellen Umfragen zwischen 22 und 25 Prozent liegt, während die Union zwischen 36 und 40 Prozent erreicht? Auch im direkten Vergleich Schulz-Merkel sieht es nicht besser aus. Und was macht das mit der SPD?
Schulz als dünnhäutiger Politiker
Der Kanzlerkandidat selbst gibt sich nach wie vor optimistisch. Schulz glaubt, viele Bürger hätten die Bundestagswahl noch gar nicht auf dem Schirm, die Umfragen seien deshalb wenig wert. Er will die Kanzlerin spätestens in der heißen Wahlkampfphase, beginnend mit dem TV-Duell am 3. September, in die inhaltliche Auseinandersetzung zwingen. Steuer, Rente, Wirtschaft - da sieht Schulz sich und seine Partei im Vorteil.
Aber wer Schulz dieser Tage begleitet, erlebt auch einen dünnhäutigen Politiker. Schulz ist nicht wie Merkel, er will Emotionen zeigen, nicht immer mit maximaler Vorsicht agieren. Darin liegt seine Chance als Gegenentwurf zu dem Politik-Roboter, der Merkel nach fast zwölf Jahren im Amt geworden ist. Aber im Moment hilft es Schulz wenig, wenn er auf unangenehme Fragen pampig reagiert.
Seine Partei sieht er nach wie vor geschlossen und hinter sich. Im Vergleich zu den beiden vergangenen Bundestagswahlen mag das stimmen, zumal diesmal anders als 2009 und 2013 Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur in einer Hand sind. Und der Umfrage-Höhenflug der SPD nach der Nominierung von Schulz hat die Sozialdemokraten mal wieder am Erfolg schnuppern lassen. Doch dann kamen die Pleiten bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und vor allem in Nordrhein-Westfalen - und seitdem geht es abwärts.
Schulz stemmt sich dagegen, so gut er kann. Zaubern kann der Kanzlerkandidat nicht, auch wenn während seines Umfragen-Höhenflugs allerlei Spaßmacher im Internet Ähnliches von ihm behauptet haben. Wahlkampf ist mühsam - vor allem, wenn man der Herausforderer ist und hinten liegt. Mit anderen Worten: Schulz wird auch in den kommenden Wochen durch Deutschland reisen, um die Wähler von sich zu überzeugen.
Zuvor will Schulz am Sonntag seinen Deutschlandplan vorstellen, eine Art wirtschafts- und europapolitisches Kompaktprogramm - die Woche darauf könnte es in Paris dann ein Treffen mit dem französischen Präsidenten Macron geben.
Ein bisschen Glanz schadet in diesen Zeiten bestimmt nicht.