SPD-Netzwerker Kommt die Generation Golf?
Göttingen - So ist das in der Politik. Wahrscheinlich sind rund 90 Prozent der Handlungen dort eher unbeabsichtigt, zufällig, eigentlich ein wenig irre. Erst später dann, im Nachhinein, deuten die Politiker das zurückliegende Chaos zum großen Plan um, zur raffinierten Strategie. Das gehört zum Mythos des Politischen, zur Aura der vermeintlich ausgebufften Schachspieler.
Geplant jedenfalls war die große Rochade in der SPD-Spitze nicht. Lediglich an einem Punkt, der Besetzung des Generalsekretariats, sollte einmal ein bisschen Flagge gezeigt werden. Aber das war es dann auch schon. Hätten die sogenannten "Netzwerker", die ideologielosen Jungen in der Bundestagsfraktion, die Machtübernahme gegen die Generation Schröder-Müntefering geplant, dann wären sie mit Pauken und Trompeten, unter größtem spöttischem Gelächter gescheitert. Denn kaum jemand mag sie. Man hält sie für Streber, Karrieristen, gelackte Aufsteigertypen ohne politische Inhalte.
Doch die Netzwerker haben - dafür sind sie viel zu ängstlich - keinen Putsch und keine Revolte projektiert. Und genau das hat sie jetzt weit nach vorne katapultiert. Einer ihrer Anführer seit den ersten Tagen, Hubertus Heil, wird künftig die Parteiorganisation aus dem Willy-Brandt-Haus leiten. Der neue Parteivorsitzende Platzeck steht ihnen keineswegs fern. Und auch der erste Parlamentarische Geschäftsführer, Olaf Scholz, hat in den Programmdiskussionen der letzten Jahre sich hier und dort mit ihnen alliiert.
Politik ist Organisation, heißt es bekanntlich gern in der SPD. Und in der Organisation sind die Netzwerker in diesen Tagen jäh und weit nach vorn gekommen. Die SPD-Linke, von der in den letzten Tagen alle Kommentatoren aufgeregt berichtet haben, ist dagegen plötzlich ganz und gar abgeschlagen. Mag sein, dass sie noch am ehesten einen Plan hatten. Aber gerade deshalb sind sie die großen Verlierer in diesem Spiel.
Jetzt die Saftlosigkeit der SPD-Generation Golf?
Die Netzwerker also. Mit ihnen haben wir nun zu rechnen. Aber was haben wir von ihnen zu erwarten? Viel weiß man nicht, denn großartige Ideen und Entwürfe haben sie bislang der Welt nicht mitgeteilt. Statt der Kraftprotzerei der Schröder-Generation, jetzt also die Saftlosigkeit der SPD-Generation-Golf?
So wird es jedenfalls oft und gern kolportiert. Doch rundum richtig und ganz fair ist das nicht. Es stimmt schon, mit Ausnahme von Sigmar Gabriel - der allerdings bei den Netzwerkern mehr aus taktischen Gründen nach seinem Karrierebruch in Niedersachsen angeheuert hat - findet man die rüden Kraftnaturen dort nicht, keine wuchtigen Tribunen, keine Danantegestalten von rhetorischer Brillanz und kreativer Phantasie.
Aber tüchtige Fachleute auf den verschiedenen Gebieten der Politik und Ökonomie gehören dem Netzwerk schon an. Vermutlich ist die Sachkompetenz von vielen dort erheblich fundierter als bei sozialdemokratischen Parlamentariern der fünfziger bis achtziger Jahre. Insofern muss man auch gar nicht ganz so pessimistisch sein. Aus den Kreisen der Netzwerker werden in den nächsten 20 Jahren ordentliche Staatssekretäre und gediegene Minister hervorgehen. Eine funktionierende Demokratie braucht durchaus mehr von diesem Typus, als es die grelle journalistische Schlagzeile insinuiert.
Zwischen "Berliner Republik" und Party-Planer
Auch geht es bei den Netzwerkern nicht ganz so inhaltslos zu, wie man ihnen häufig unterstellt. Die jungen SPD-Abgeordneten geben mit der Zweimonatszeitschrift "Berliner Republik" ein unzweifelhaft anspruchsvolles Organ heraus, in dem kluge Autoren oft unkonventionelle Ansichten äußern. Auch graphisch ist das Periodikum durchaus unklassisch. Die Nachwuchsgenerationen der anderen Parteien verfügen über ein solches Medium nicht, schauen infolgedessen oft auch ein wenig eifersüchtig auf das Blatt der sozialdemokratischen Kohortenkonkurrenten.
Im Übrigen kommt das Netzwerk während der Sitzungswochen des Bundestages Donnerstag für Donnerstag zu Diskussionsveranstaltungen mit ebenfalls oft eigenwilligen Referenten zusammen. Auch das ist keineswegs selbstverständlich bei den anderen Parteien und den anderen Flügeln in der SPD selbst.
Einmal im Jahr veranstalten sie überdies einen großen Kongress. Aber entscheidend sind dann doch jeweils die Feten am Abend. Netzwerker sind die Virtuosen der Party. Wenn getrunken, geschwoft, getanzt wird - dann sind die Netzwerker in der Tat in ihrem Element. Nichts erreicht die Internet-Adressaten im E-Mail-Verteiler des Netzwerkes so schön regelmäßig und so oft wie der sogenannte "Party-Planer", mit dem ihr zweifellos tüchtiger Sekretär Jürgen Neumeyer sie über die interessantesten Festivitäten in der Hauptstadt akribisch informiert.
Und doch wäre es falsch, die Netzwerker auf einen eher unpolitischen Geselligkeitsverein zu reduzieren. Falsch ist es ebenso, sie als uniformen Klub von "Modernisierern" zu bezeichnen. Die politische Bandbreite reicht erheblich weiter. Einer ihrer Pioniere, der Kieler Abgeordnete Hans-Peter Bartels, ist ein scharfsinniger Analytiker, Verfasser von provozierenden Büchern und Zeitschriftenartikeln - und er ist ein sehr dezidierter Verfechter der (Sozial)Staatlichkeit. Damit steht er oft in seinem Kreis ein wenig exzentrisch da, aber gehört dennoch führend dazu.
Platzeck und Heil doppeln sich
Der zweite Mann, der das Netzwerk 1998 mitbegründet hat, ist Hubertus Heil, der designierte Generalsekretär der SPD. Heil ist, von seiner Biographie, im Grunde ein klassischer Sozialdemokrat, aus eher kleinen Verhältnissen stammend und gelernter Politiker. Früher hätte man gesagt: Er durchläuft die Ochsentour, atmet Stallgeruch, lernt das politische Geschäft - die Konsensschmiederei bis hin zur Intrige - von der Pike auf.
Das ist, wie wir wissen, nicht die schlechteste Voraussetzung, um im Haifischbecken zwischen Kanzleramt und Friedrichstraße zu überleben. Heil ist im Unterschied zu Bartels jovialer, sicher viel weniger intellektuell, aber dafür sehr viel mehr ein äußerst geschickter Moderator und Manager von Konflikten, ein wacher und instinktreicher Kommunikator zwischen verschiedenen Interessen, Segmenten, Organisationssystemen. Insofern besitzt er entscheidende Begabungen für sein Parteiamt.
Aber ein scharfer Polarisierer gegen den politischen Gegner ist er nicht so recht. In programmatischen Dingen ist er epigonal; gelungene Begriffe und Metaphern saugt er auf, prägt sie aber nicht. Er ist wie sein Parteichef ein exzellenter Zuhörer, auch eher vorsichtig in der Aktion, kein Antreiber. Platzeck und Heil doppeln sich in ihren Begabungen, vielleicht mehr, als es der Sache zuträglich ist.
Keine Schärfe, kein Feuer, kein Biss
Was weiterhin am meisten bei den Netzwerkern verstört ist ihre Antriebslosigkeit, ihr Mangel an Leidenschaft und Temperament. Richtig Stimmung kommt bei ihren Diskussionen nicht auf, keine Schärfe, kein Feuer, kein Biss. Sie ringen nicht um Positionen. Die Netzwerker würden sagen, sie seien eben keine Ideologen.
Aber das ist es nicht. Man kann sich schließlich auch ganz unideologisch über programmatische Perspektiven auseinandersetzen. Gerade in unideologischer Zeiten kommt es auf Maßstäbe, Wertorientierungen und Prioritäten an, um dem eigenen Tun Struktur, Richtung und Norm zu geben. Doch daran mangelt es den Netzwerkern. Bezeichnend war, dass sie vor zwei Jahren plötzlich das programmatische Credo der "Chancengesellschaft" ausriefen - ohne überhaupt zu merken, dass dies längst von anderen und viele Jahre vorher geschehen war: Nämlich von den Herren Koch und Teufel aus der CDU.
Kein Zweifel also: Die SPD vollzieht den Generationswechsel. Die "68er" sind in Bälde Geschichte. Eine neue Generation stellt sich auf die Bühne. Noch schaut das Publikum skeptisch.