
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Das Prinzip Maas


Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD)
Foto: Adam Berry/ Getty ImagesEin Grundsatz, an den ich mich zu halten versuche, lautet: kein Wort gegen Leute, die am Boden liegen. Wenn zum Beispiel alle der Meinung sind, dass man Volker Beck wegen des Besitzes illegaler Drogen die Lizenz für den Bundestag entziehen sollte, dann braucht es nicht einen weiteren Beitrag, in dem steht, was Beck für ein Knallkopf ist. Ich bin ohnehin der Meinung, dass sich die meisten Menschen in ihrem Urteil über andere zu schnell einig sind.
Darf man eine Kolumne über die SPD schreiben, habe ich mich deshalb gefragt. Wenn diejenigen recht haben, die regelmäßig die politische Meinung im Land abfragen, dann würden derzeit nur 20 Prozent der Deutschen bei einer Bundestagswahl für die Sozialdemokraten stimmen. Dass die SPD trotzdem noch zu den Volksparteien gerechnet wird, geschieht eher aus Pietät. Tatsächlich nähert sie sich in bedenklicher Geschwindigkeit dem Niveau einer etwas aus den Fugen geraten Protestgruppierung.
Folgt man dem, was die Journalisten sagen, die sich hauptberuflich mit der SPD beschäftigen, dann hört das Problem auf den Namen Gabriel. Er sei zu aufbrausend und zu unstet, heißt es über den Parteivorsitzenden. Außerdem fehle ihm das Gefühl für die Themen der Zeit. Seit er bei einer Podiumsdiskussion einer jungen Netzfeministin, die ihn über die Bedeutung des Internets aufklären wollte, entgegnete, er habe große Zweifel, ob sie auch die normale Welt kenne, gilt er nicht nur als Online-Muffel, sondern auch als jemand, der mit der Zukunft hadert.
Unter den Namen, die als Alternativen gehandelt werden, taucht immer wieder der von Heiko Maas auf. Wenn Sigmar Gabriel der Ernst Happel der deutschen Sozialdemokratie ist, dann ist Maas ihr Jogi Löw.
Maas käme nie auf die Idee, einer Netzaktivistin über den Mund zu fahren, die ihn darüber unterrichten will, wie man "Strukturen aufbricht". Selbstverständlich ist Maas gegen "jegliche Form von Diskriminierung in dieser Gesellschaft", wie er wissen lässt, wozu auch zu freizügige Posen auf Plakatwänden gehören. Während Gabriel zum Wohle der Wirtschaft mit zweifelhaften Machthabern Nettigkeiten austauscht, lanciert Maas ein Gesetzesvorhaben nach dem anderen, um ein "modernes Geschlechterbild" zu etablieren und das Verhältnis von Mann und Frau noch konfliktfreier zu gestalten.
Ästhetische Kategorien sind in der Politik verpönt, aber manchmal spricht schon die Physiognomie Bände. Gabriel kämpft ständig gegen überschüssige Pfunde an. So undiszipliniert er beim Essen ist, so lose ist auch sein Mundwerk. Wenn er schlechte Laune hat, merkt man das bei ihm hundert Meter gegen den Wind. Dann redet er von "Pack", wenn er über Fremdenfeinde spricht. So etwas würde Maas nicht im Traum über die Lippen kommen.
Maas und Gabriel verkörpern zwei Arten, Politik zu betreiben
Bei Maas sitzt jedes Haar und jedes Wort. Er trägt vorzüglich geschnittene Hemden, in die Gabriel nicht mal reinpassen würde, wenn er 20 Kilo leichter wäre. Die neue Frau an der Seite von Maas ist eine bekannte Schauspielerin, die ebenfalls ganz tolle Dinge sagt, wie zum Beispiel, dass sich in ihrer persönlichen Lebenssituation eine "große Kraft" offenbart habe, und es darum gehe, "das Leben dort abzuholen, wo diese Kraft ist". Die ersten gemeinsamen Bilder zeigen die zwei bei einem Kammerkonzert im jüdischen Museum in Berlin. Gabriel hätte man mit einer neuen Flamme das erste Mal vermutlich beim Check-in in den Malle-Urlaub gesehen.
Maas und Gabriel verkörpern zwei Arten, Politik zu betreiben. In Gabriel lebt noch die Idee fort, dass das politische Geschäft mehr ist als die Optimierung von Botschaften. Für ihn ist Politik ein Kampf, in den man sich jeden Tag wirft, in der Hoffnung, dass die Zahl der Siege die der Niederlagen überwiegt. Ich mag Gabriel. Mir sind Menschen sympathisch, die auch mal die Kontrolle verlieren oder Dinge tun, die nicht auf Wirkung bedacht sind. Von Maas gibt es nicht einen Satz, den er hätte korrigieren oder zurücknehmen müssen. Tatsächlich hat er noch nie etwas gesagt, das haften geblieben wäre.
Viele Leute glauben, dass die SPD ein Problem hat, weil sie zu bieder und überhaupt zu wenig modern wirkt. Die beste Zeit der SPD, an die jetzt wehmütig erinnert wird, waren die Siebzigerjahre, in der sie an der Spitze des gesellschaftlichen Fortschritts marschierte und die Zahl der Mitglieder auf über eine Millionen anwuchs. Aber wenn man genau hinsieht, beginnt genau hier der Niedergang. Mit den vielen jungen, enthusiastischen Leuten, die in die Partei strömten, rückten auch Themen in den Vordergrund, die bei der Traditionsbasis eher auf Befremden stießen.
Der Politologe Franz Walter hat anschaulich beschrieben, wie in den Ortsvereinen nachlässig gekleidete Studenten auftauchten, die ausgiebig mit Fremdwörtern hantierten und immer, wenn ihnen etwas nicht passte, Anträge zur Geschäftsordnung stellten. Weil die Neugenossen über alle Zeit der Welt verfügten, waren sie strategisch im Vorteil. Während die Altmitglieder irgendwann aufbrachen, weil sie morgens raus mussten, blieben die revolutionär gestimmten Studenten einfach sitzen und diskutierten so lange weiter, bis die Entschlüsse in ihrem Sinne ausfielen.
Es war immer ein Missverständnis zu glauben, dass der Einsatz für mehr Nachsicht gegenüber Straftätern oder ein modernes Geschlechterbild bei den normalen Mitgliedern auf die gleiche Begeisterung stößt wie in den Kommentarspalten. Auf jedem Juso-Kongress lässt sich sehr schön beobachten, wie wenig die Leute, die sich für die Avantgarde der Arbeiterklasse halten, in Wahrheit mit den Menschen zu tun haben, die sie zu repräsentieren vorgeben.
Sigmar Gabriel hat noch eine Vorstellung davon, dass die Welt der Funktionäre und die Welt der Anhänger auseinander fallen. Vielleicht hat er deshalb eine so schlechte Presse.
