Vizekanzler im Interview Scholz erklärt Klimapolitik zur Koalitionsfrage

Ungewohnte Töne von Olaf Scholz: Nach den Wahlen im Osten knüpft der SPD-Politiker das Schicksal der Großen Koalition an einen Durchbruch in der Klimapolitik.
SPD-Vizekanzler Olaf Scholz: "Ein Klein-Klein in der Klimapolitik hilft nicht weiter"

SPD-Vizekanzler Olaf Scholz: "Ein Klein-Klein in der Klimapolitik hilft nicht weiter"

Foto: Joachim Herrmann/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Die SPD gibt sich erleichtert - trotz eines katastrophalen Ergebnisses in Sachsen und herber Verluste in Brandenburg. Haben Sie sich an solche Ergebnisse schon zu sehr gewöhnt?

Scholz: Nein, wir wollen uns nicht daran gewöhnen, bei einer Wahl schlechter abzuschneiden als bei der Wahl zuvor. Das Ergebnis in Sachsen ist bitter. In Brandenburg hat die SPD in den letzten Wochen aber noch einmal richtig zugelegt, nachdem die Umfragen lange Zeit sehr schlecht aussahen. Am Ende stärkste Partei mit 26 Prozent zu werden, hatten uns wenige zugetraut. Und das tut auch mal gut.

SPIEGEL ONLINE: Und was ist mit dem Ergebnis der AfD?

Scholz: Die AfD ist in beiden Ländern nicht, wie lange vorhergesagt, stärkste Kraft geworden. Trotzdem sind das schlimme Resultate. Die AfD bedient Ressentiments und bietet als Antwort auf die Verunsicherung vieler Bürgerinnen und Bürger nur Nationalismus an und ein Zurück in die Vergangenheit. Die große Frage für die Sozialdemokratie ist: Wie können wir die rechtspopulistischen Parteien, die bei uns wie in anderen europäischen Ländern stark geworden sind, wieder kleiner kriegen?

SPIEGEL ONLINE: Sie haben vor einiger Zeit noch zu Gelassenheit im Umgang mit der AfD geraten. Gilt das noch?

Scholz: Ja, aber klare Worte sind immer nötig. Beispielsweise darüber, was der Besuch des Brandenburger AfD-Spitzenkandidaten Kalbitz bei einer Neonazi-Demo in Athen bedeutet: Kalbitz sucht bewusst die Nähe von Rechtsextremisten. Da gibt es kein Pardon.

Zur Person

Olaf Scholz, Jahrgang 1958, ist Bundesfinanzminister und Vizekanzler. Im August 2020 nominierte ihn der Parteivorstand als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021. Bundestagswahl 2021 . Scholz war von 2011 bis 2018 Erster Bürgermeister in Hamburg, davor war er SPD-Generalsekretär und Arbeitsminister.

SPIEGEL ONLINE: Das scheint aber kaum jemand zu interessieren.

Scholz: Trotzdem darf unsere demokratische Öffentlichkeit sowas nicht achselzuckend hinnehmen, deshalb weisen wir darauf hin. Zugleich gilt: Wir dürfen den Rechten nicht den Gefallen tun und ständig nur über sie reden. Stattdessen müssen wir über konkrete Probleme sprechen und darüber, wie wir sie lösen können. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und der Brexit sind letztlich Folgen des gleichen Phänomens: Trotz der allgemein guten wirtschaftlichen Entwicklung sind viele Bürger unsicher, wie es in Zukunft für sie weiter geht. Wir stehen vor einem großen Umbruch, fast so wie am Anfang der Industrialisierung. Obwohl die zu großem Wohlstand geführt hat, ging es vielen zunächst schlechter. Soweit sind wir längst nicht, aber die Unsicherheit wächst. Da kommen wir als SPD ins Spiel. Wir müssen Sicherheit ermöglichen.

SPIEGEL ONLINE: Wie soll das gehen?

Scholz: Das geht nur mit einem guten Sozialstaat. Mit einem Staat, der Bildung nicht nur am Anfang des Lebens ermöglicht, sondern immer wieder neu, wenn etwa mitten im Leben der eigene Berufszweig wegbricht. Als Partei stehen wir für das Versprechen, dass niemand mit seinem Schicksal allein gelassen wird. Daraus folgt konkrete Politik für die anstehenden Aufgaben, also für den Kohleausstieg, den Wandel in der Automobilindustrie, die Digitalisierung bei den Verwaltungsberufen und die veränderten Vertriebsstrukturen im Einzelhandel. Die SPD gibt darauf immer eine weltoffene und fortschrittsoffene Antwort und fängt nicht an, nun auch Ressentiments zu bedienen.

SPIEGEL ONLINE: Die AfD hat zumindest in Brandenburg nur sehr geringe Kompetenzwerte im Bereich sozialer Gerechtigkeit. Sie wurde also wahrscheinlich wegen ganz anderer Dinge gewählt.

Scholz: Ich verweise nochmal auf Donald Trump. Dessen Sozialpolitik besteht in der Suggestion, eine Abschottung könne dem amerikanischen Arbeiter helfen. Das ist ein großer Irrtum. Aber wenn eine Gesellschaft Leute, die sich vor Veränderungen fürchten, alleine lässt, suchen sie sich einen anderen Ausweg. In diesem Fall eine Politik wie sie Trump betreibt. Gleiches zeigt sich aus meiner Sicht beim Votum Großbritanniens für den Brexit. Und hierzulande versucht es die AfD mit Ressentiments gegen Migranten.

SPIEGEL ONLINE: Ist die Große Koalition durch die Landtagswahlergebnisse stabilisiert?

Scholz: Wir sollten jetzt nicht vorschnell Schlüsse ziehen. Das waren zwei Landtagswahlen. Aber klar: Dass die beiden führenden Regierungsparteien in Brandenburg und Sachsen sich besser geschlagen haben, als ihnen das vorhergesagt wurde, ist gut. Wie es mit der Koalition weitergeht, entscheidet sich über eine andere Frage. Wir schreiben gerade an einer Halbzeitbilanz. Die Koalition hat viele Verbesserungen vorangebracht, jüngst die Abschaffung des Soli für die Allermeisten zum Beispiel, oder das Mietenpaket. Allerdings wird es nicht nur um Bilanz gehen, sondern um das, was in dieser Legislaturperiode noch kommen muss. Das ist ganz klar.

SPIEGEL ONLINE: Was muss denn noch kommen?

Scholz: Es geht sicher um zwei Themen: Da ist einmal die Grundrente. Viele Bürgerinnen und Bürger haben in ihrem Leben fleißig gearbeitet und dennoch so wenig verdient, dass sie nur eine geringe Rente erhalten. Das ist ein unerträglicher Zustand, da brauchen wir eine gute Lösung. Und, als zweites Thema, müssen wir den Klimawandel stärker in den Blick nehmen, als wir das noch in den Koalitionsverhandlungen getan hatten. Wir brauchen einen großen Wurf in der Klimapolitik, wenn wir als Regierung weiter eine Berechtigung haben wollen, das Land zu führen. Am Ende müssen wir sagen können: Das reicht, damit wir die Klimaziele erreichen, die wir uns selbst gesetzt haben und auf die wir uns international verständigt haben. Ein Klein-Klein in der Klimapolitik hilft nicht weiter. Wir müssen wegkommen von einer Politik, in der wir uns Richtiges nicht trauen, weil wir zu ängstlich sind wegen der möglichen Reaktionen.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Ko-Kandidatin Klara Geywitz hat es nicht mehr in den Landtag geschafft. Sollte jemand, der vor den Wählerinnen und Wählern nicht besteht, sich für den Vorsitz der SPD bewerben?

Scholz: Das Wahlergebnis von Klara Geywitz ist nicht schön, denn ihr haben nur knapp 150 Stimmen gefehlt - aber es ist auch ein Ansporn. Denn es zeigt, dass es Sinn macht zu kämpfen, denn der Abstand zu ihrer grünen Konkurrentin war lange Zeit viel größer. Für den SPD-Vorsitz haben Klara Geywitz und ich eine gemeinsame Vorstellung davon, wie wir als SPD so stark werden können, dass wir erfolgreich gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft wirken können.

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SPIEGEL ONLINE: Der Satiriker Jan Böhmermann wollte auch für den SPD-Vorsitz kandidieren, er ist aber an den Statuten gescheitert. Ist die SPD zu bürokratisch?

Scholz: Nein, die SPD ist prinzipientreu. Bei uns gibt es schon lange das Prinzip, dass man dort eintritt, wo man wohnt. Wir wollen keine fliegenden Ortsvereine, wo die Mitglieder schnell wechseln, um mal Mehrheiten zu organisieren, wie es in der Hamburger CDU in der Nachkriegszeit mal passiert ist. Es gibt auch bei uns die Möglichkeit für Ausnahmen. Aber da müssen die zuständigen Gremien zustimmen.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Böhmermanns Ankündigung ernst genommen?

Scholz: Ich weiß nicht, wie ernst er das gemeint hat. Ich würde das von ihm auch gerne wissen. In der Ukraine und in Island haben Satiriker in der Politik zuletzt Erfolg gehabt; übrigens weil es ihnen ernst war. Aber ich kann in Herrn Böhmermann schwer hineingucken.

SPIEGEL ONLINE: Es stehen jetzt 23 Regionalkonferenzen an. Acht Pärchen und ein Einzelkandidat treten an. Wie wollen Sie da mit ihren Botschaften durchdringen?

Scholz: Ich bin froh, dass es diese Formate gibt, ich freue mich auf die nächsten Wochen. Klar sind das viele Kandidaten. Aber was die amerikanischen Präsidentschaftsbewerber der Demokraten können, können wir auch. Und, ja: Jeder weiß, dass ich meine Positionen gerne etwas ausführlicher erläutere. Aber ich kann mich auch kurz halten.

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