SPD-Politiker Oppermann "Merkel hat durchaus noch eine Chance"

Scheitert Merkel am Euro? Die SPD schraubt die Erwartungen runter: Fraktionsgeschäftsführer Oppermann rechnet nun doch damit, dass bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm die Kanzler-Mehrheit steht. 2012 könne es aber Neuwahlen geben, sagt er im Interview.
SPD-Politiker Oppermann: "Wir müssen mehr politischen Druck auf die Schweiz ausüben"

SPD-Politiker Oppermann: "Wir müssen mehr politischen Druck auf die Schweiz ausüben"

Foto: dapd

SPIEGEL ONLINE: Der neue Generalbundesanwalt wird von Ihnen blockiert, Wolfgang Schäubles Steuerabkommen auch - schaltet die SPD gerade auf Totalopposition?

Oppermann: Nein. Aber die Bundesregierung scheint noch nicht verstanden zu haben: Ohne die SPD bekommt sie keine Zustimmung im Bundesrat. Was den Generalbundesanwalt angeht: Der Kandidat hat sich letztlich selbst aus dem Rennen genommen, indem er in einer Email einen seiner neuen Kollegen in nicht akzeptabler Weise beschimpft hat.

SPIEGEL ONLINE: Eine Email reicht aus Ihrer Sicht aus, um die lang geplante Berufung von Johannes Schmalzl zu verhindern?

Oppermann: Ich selbst habe Herrn Schmalzl bis Donnerstag nicht für völlig ungeeignet gehalten. Aber ein künftiger Generalbundesanwalt trägt hohe Verantwortung und muss in schwierigen Zeiten seine Nerven unter Kontrolle behalten. Das ist ihm nicht gelungen. Ich hoffe, die Justizministerin hat aus der peinlichen Niederlage gelernt und stimmt einen neuen Vorschlag frühzeitig mit der SPD ab. Denn ohne eine Zustimmung der SPD hat auch ein neuer Kandidat keine Chance.

SPIEGEL ONLINE: Auch beim Steuerabkommen mit der Schweiz stellen sie auf stur. Es soll auch den Steuerbetrug deutscher Staatsbürger offenlegen. Was ist so falsch daran?

Oppermann: Die systematische Steuerhinterziehung wird durch das Abkommen nicht offengelegt. Im Gegenteil: Sie wird nachträglich legalisiert. Die Steuerbetrüger müssen ihr rechtswidrig in die Schweiz gebrachtes Vermögen lediglich nachträglich pauschal versteuern und dürfen auch künftig anonym bleiben. Das bedeutet: Wer reich genug ist, kann sich freikaufen. Dieses Abkommen öffnet Tür und Tor für weitere illegale Transaktionen - bis hin zur Geldwäsche.

SPIEGEL ONLINE: Ohne neues Abkommen würden die deutschen Steuersünder aber weiterhin ungeschoren davonkommen. Ist das wirklich eine Alternative?

Oppermann: Nein, die Alternative ist ein besser verhandeltes Abkommen mit der Schweiz, wie die Franzosen und die USA das vorgemacht haben. Es kann nicht sein, dass besonders reiche Steuerzahler die Wahlfreiheit haben zwischen einer vollen Versteuerung in Deutschland und einer anonymen Besteuerung in der Schweiz. Das empfinden die vielen ehrlichen Steuerzahler in Deutschland als ungerecht.

SPIEGEL ONLINE: Was schlagen Sie vor?

Oppermann: Wir müssen mehr politischen Druck auf die Schweiz ausüben. Die letzten Verhandlungen sind erkennbar ohne die nötige Härte zustande gekommen. Am Ende muss ein besseres und gerechteres Abkommen stehen, das nicht die Steuermoral der in Deutschland steuerpflichtigen Bürger untergräbt.

SPIEGEL ONLINE: Am kommenden Donnerstag will die SPD dann mal Milde walten lassen, bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm wollen Sie mit Ja votieren. Hat sich die Kanzlerin schon bei Ihnen bedankt?

Oppermann: Wir halten es für notwendig und verantwortbar, in dieser schwierigen Situation dem erweiterten Rettungsschirm zuzustimmen. Die Kanzlerin hat aber keinen Grund zur Dankbarkeit. Im Gegenteil: Angela Merkel hat eine harte Woche mit viel Kritik vor sich. Ihr fehlt noch immer jede Gesamtstrategie. Sie hat durch ihr Zögern und Zaudern die Krise immer weiter verschärft.

SPIEGEL ONLINE: Warum pochen Sie eigentlich immer darauf, dass Angela Merkel bei der Abstimmung eine Kanzlermehrheit haben müsse? Gerhard Schröder hatte die in wichtigen Fragen auch nicht immer.

Oppermann: Schröder hätte den Mut gehabt, bei einer so wichtigen Abstimmung die Vertrauensfrage zu stellen. Merkel traut sich das nicht. Dennoch: Sollte sie am Donnerstag keine eigene Mehrheit haben, ist sie politisch gescheitert. Dann wird sie auch in Europa nicht mehr ernst genommen. Aber sie hat bei dieser Abstimmung durchaus noch einmal die Chance, eine Kanzlermehrheit zu bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Sie erwarten plötzlich doch eine Kanzlermehrheit?

Oppermann: Ja. Denn: Wir haben eine umfassende parlamentarische Beteiligung bei künftigen Rettungsmaßnahmen durchgesetzt. Diese Beteiligungsrechte führen dazu, dass die Euro-Kritiker bei FDP und Union die Möglichkeit sehen, künftige Maßnahmen blockieren zu können. Das kanalisiert die Unzufriedenheit in der Koalition aber nur vorübergehend. Richtig schwierig wird es für Merkel, wenn es im Oktober um die nächste Tranche für Griechenland und Anfang 2012 um den dauerhaften Rettungsschirm ESM geht.

SPIEGEL ONLINE: Nach Ihrer Lesart müsste Merkel Neuwahlen ermöglichen, sollte sie am Donnerstag keine eigene Mehrheit vorweisen können. Könnte sich die größte Volkswirtschaft in Europa das mitten in der Schuldenkrise wirklich leisten?

Oppermann: Natürlich. Je früher die Deutschen die Gelegenheit erhalten sich durch Neuwahlen von dieser Regierung zu trennen, desto besser für die größte Volkswirtschaft in Europa. Wir haben seit zwei Jahren eine handlungsunfähige Regierung, die zwischen Streit und Stillstand hin- und herpendelt, aber nichts auf die Reihe bekommt. Diese Bundesregierung ist ein Risiko für unser Land.

SPIEGEL ONLINE: Rasche Neuwahlen würden auch Ihre Partei in Zugzwang bringen, die SPD müsste ziemlich schnell ihren Kanzlerkandidaten bestimmen. Wäre das dann Peer Steinbrück oder Frank-Walter Steinmeier?

Oppermann: Wir könnten sehr schnell entscheiden. Die SPD hat gleich mehrere aussichtsreiche Kandidaten. Wer hätte uns das vor zwei Jahren zugetraut? Wir befinden uns in einer starken Ausgangsposition.

SPIEGEL ONLINE: Steinmeier ist noch im Spiel?

Oppermann: Alle sind noch im Spiel. Wir haben überhaupt noch keine Vorentscheidungen getroffen. Und klar ist: Dass sich so viele Menschen dafür interessieren, welcher Sozialdemokrat nächster Kanzler wird, ist kein Nachteil für die SPD.

SPIEGEL ONLINE: Ein Wort noch zu den Piraten: Bildet sich da gerade mal wieder eine Kraft links von der SPD?

Oppermann: Nein. Die Piraten bereichern mit ihrer erfrischenden Art unsere Demokratie. Alle etablierten Parteien können nicht nur im Bereich der Netzpolitik von den Piraten lernen. Ihr großes Verdienst ist, viele Nichtwähler mobilisiert zu haben. Der große Erfolg der Piraten zeigt aber vor allem den mittlerweile sehr staatstragenden Grünen, wie alt sie geworden sind.

Das Interview führte Veit Medick
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