SPD-Chef wirbt für Schwarz-Rot Gabriel kämpft gegen die Skepsis der Genossen

Gabriel in Hofheim: "Koalition der nüchternen Vernunft"
Foto: Fredrik Von Erichsen/ dpaHofheim - Vor dem Mitgliederentscheid der SPD-Basis über den Koalitionsvertrag mit der Union hat sich die Parteispitze zuversichtlich gezeigt. "Ich habe keine Angst vor dem Mitgliedervotum", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Donnerstagabend auf der ersten von 32 Regionalkonferenzen im hessischen Hofheim. Er warb bei der Diskussion mit Parteimitgliedern nach Präsentation des Vertrags eindringlich für die Vereinbarung mit CDU und CSU.
Die SPD-Basis wird Anfang Dezember in einem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag abstimmen, 475.000 Mitglieder sind stimmberechtigt. Das Ergebnis soll am 14. oder 15. Dezember vorliegen. In den kommenden Tagen will die SPD-Parteispitze unter anderem auf Regionalkonferenzen um die Zustimmung ihrer Basis werben. Ohne deren Billigung ist die Einigung hinfällig.
Gabriel verwies unter anderem auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde. Alle Gewerkschaften lobten die SPD für den Koalitionsvertrag, sagte der SPD-Vorsitzende. Die Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft nannte er zudem einen "kulturellen Durchbruch".
"Ich finde, wir können uns sehen lassen"
Es gebe natürlich Dinge, die die SPD nicht geschafft habe. Sie habe aber alles geschafft, was sie beim Parteikonvent vor Aufnahme der Verhandlungen angekündigt habe. "Ich finde, wir können uns sehen lassen", sagte Gabriel. Die Zusammenarbeit mit der Union sei eine "Koalition der nüchternen Vernunft".
Gabriel hob auch Erfolge in der Renten- und Arbeitsmarktpolitik hervor. Die SPD brauche keine Angst zu haben, dass sie erneut in einer großen Koalition mit der Union untergehe, sagte er.
Der SPD-Chef spart bei seiner Rede auch nicht mit Selbstkritik. "Wir kommen nicht Schwierigkeiten, wenn wir in der Großen Koalition mit Frau Merkel sitzen. Wir kommen nur dann in Schwierigkeiten, wenn wir selber Blödsinn machen." Dazu zählt er Teile der "Agenda 2010" wie die Rente mit 67 Jahren.
Kritische SPD-Genossen in Hofheim bemängelten dennoch, dass es keine Bürgerversicherung gebe und dass Europa im Vertrag zu kurz komme. Einige kündigten ihr Nein an. Am Eingang zur Regionalkonferenz wurden Flugblätter der Jusos verteilt: "GroKo - Oh no!!!".
Für die Gewerkschaften lobte der hessische IG-Metall-Bevollmächtigte Armin Schild das Ergebnis und bat um Zustimmung. Die SPD wolle in der großen Koalition weiter für ihre Inhalte streiten, versicherte der stellvertretende Bundesvorsitzende, Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, vor gut 800 Genossen vom traditionell besonders linksgerichteten Parteibezirk Hessen-Süd. Er meine, "dass wir mehr erreicht haben, als wir erwartet haben". Dennoch spüre er "Unbehagen darüber, ob uns eine große Koalition gut tut". Seiner Ansicht nach sollte die SPD selbstbewusst in das Bündnis gehen. Angesichts des schlechten Wahlergebnisses von nur 25,7 Prozent habe die Parteiführung bei den Berliner Verhandlungen "aus ziemlich wenig ziemlich viel gemacht".
"Viele faule Kompromisse"
Die Meinungen der SPD-Mitglieder an der Basis über den Koalitionsvertrag gehen weit auseinander, wie eine bundesweite Umfrage der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag zeigte. "Da stecken viele faule Kompromisse drin", sagte etwa die Ortsvereins-Chefin der SPD Duisburg-Neudorf, Susanne Zander. Die Erfurter SPD hat ihr Nein schon beschlossen. Die SPD-Stadtvorsitzende in Dresden, Sabine Friedel: "Der Kopf sagt Ja, das Herz sagt Nein."
Vertreter der SPD-Parteispitze äußerten sich bereits zuvor optimistisch über die Stimmung an der Basis. "Wir können nach dem, was wir jetzt wissen, nur sagen: Das läuft klar auf ein Ja zu", sagte Generalsekretärin Andrea Nahles dem Sender n-tv. Sie wisse, dass es in ihrer Partei auch "einige Skeptiker" gebe, sagte Nahles weiter. "Wir müssen noch einige mitnehmen und überzeugen."
SPD und Union wollen gemeinsam bis 2017 regieren. Sie hatten sich in der Nacht zu Mittwoch nach langen Verhandlungen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Ohne Billigung der SPD-Basis ist die Einigung aber hinfällig.
Auch der schleswig-holsteinische SPD-Ministerpräsident Torsten Albig sagte dem NDR, er rechne mit einer breiten Zustimmung. Zwar seien in den Verhandlungen nicht alle Forderungen der SPD erfüllt worden, aber das sei angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht möglich. "Dafür benötigt man bei Bundestagswahlen auch mehr als 25,7 Prozent der Stimmen", sagte er am Donnerstag in Anspielung auf das Wahlergebnis der SPD.
Personalentscheidungen für Ministerposten sollen erst nach dem Votum der SPD-Basis gefällt werden. Spekulationen gibt es aber vor allem über die Funktion Sigmar Gabriels in der Koalition. Während einige davon ausgehen, dass er vorhat, ins Kabinett zu gehen und Vizekanzler zu werden, wird er auch als Wirtschafts- und Energieminister gehandelt. Einige sehen ihn auch in der Doppelfunktion als Partei- und Fraktionschef: Ein Nachfolger für den bisherigen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister werden könnte, wird auf jeden Fall gesucht. Gabriel ging in Hofheim darauf nicht ein.