SPD nach Kramp-Karrenbauers Rückzug Endlich zerlegen sich mal die anderen

SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken: Die CDU sei "seit Längerem erkennbar führungslos"
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Am Abend des Tages, an dem Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug vom CDU-Parteivorsitz ankündigte, präsentierte sich der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil als Optimist. Zwar habe er wegen des Koalitionspartners den Tag im "Krisenmodus" verbracht, wie er in Berlin bei einer Podiumsdiskussion des digitalpolitischen Vereins "D64" berichtete. Aber er sei ein optimistischer Mensch und finde, dass in Deutschland zu häufig über das Negative geredet werde.
Dass sich in Thüringen ein FDP-Kandidat mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, sei eine Katastrophe gewesen, so Klingbeil: "Aber ich will, dass wir auch das Andere sehen, dass Tausende junge Leute auf der Straße waren und sagten: 'Wir lassen das nicht zu'."
Mit ihm auf der Bühne saß der YouTuber Rezo mit der blauen Tolle, der sich seit seinem berühmten Video "Die Zerstörung der CDU" in der Rolle des Politik-Erklärers übt. Politiker sollten weniger Phrasen bemühen, lautete eine seiner Phrasen. Und er forderte eine verständlichere Politik: "So, dass es die Leute checken." Die Leute seien meistens gar nicht so dumm, sondern "haben halt nur nicht die Zeit". Man müsse es ihnen gut aufbereiten, in einem Video oder einer Powerpoint-Präsentation. Darauf Klingbeil: "Das Problem ist: Unsere Videos guckt keiner." Gelächter im Saal.
Innerhalb von wenigen Tagen ist die SPD so etwas wie ein Stabilitätsanker der Großen Koalition geworden. Zumindest sieht sie sich so - auch wenn in den vergangenen beiden Jahren das Bündnis vor allem aus ihren Reihen immer wieder infrage gestellt wurde.
Der Thüringen-Eklat und die SPD
Doch tatsächlich tritt die SPD seit dem Thüringen-Eklat am vergangenen Mittwoch so geschlossen auf wie selten. Der antifaschistische Kampf ist ein sinnstiftendes Element der Partei, dahinter können sich alle Sozialdemokraten versammeln. Selbst der Unmut über den schwachen Start der Parteivorsitzenden rückt da in den Hintergrund.
Stattdessen hat der Richtungsstreit in der CDU nun eine schwere Führungskrise bei den Christdemokraten ausgelöst. Der Rückzug von Kramp-Karrenbauer offenbart, wie groß die Fliehkräfte in der Partei sind.
Was heißt das nun für die SPD? Ist die Krise der CDU eine Chance für die Genossen?
Norbert Walter-Borjans will davon nichts wissen. Die SPD wolle die Führungskrise der CDU nicht parteitaktisch ausnutzen, sagte der Parteichef der Nachrichtenagentur dpa. Zuvor hatte er die Vorgänge bei den Christdemokraten als "besorgniserregend" bezeichnet. Die CDU sei "seit Längerem erkennbar führungslos" und müsse ihr Verhältnis zu Rechtsextremisten klären, sagte Walter-Borjans bei einem Auftritt im Willy-Brandt-Haus, wenige Minuten nachdem Kramp-Karrenbauer ihre Entscheidung öffentlich begründet hatte.
An der Seite von Walter-Borjans stand die Co-Vorsitzende Saskia Esken. Sie schwieg allerdings während der gesamten Pressekonferenz. Ihre Stimme sei komplett weg, sagte ihre Sprecherin. Sie habe aber trotzdem mit auf die Bühne gewollt, damit nicht hinterher wieder die Frage gestellt werde, warum die beiden Vorsitzenden so selten gemeinsam auftreten. Später twitterte Esken die Frage, ob die CDU noch die Partei sei, mit der die SPD vor zwei Jahren einen Koalitionsvertrag geschlossen habe.
Eine Chance für die SPD könnte sein, dass der öffentliche Fokus sich in den kommenden Wochen auf die Union ausrichtet. Die Sozialdemokraten könnten das nutzen, um ihre ungeklärten Fragen - Rollenverteilung der Doppelspitze, Verhältnis zwischen Partei und Fraktion sowie die Kanzlerkandidatur - im Hintergrund zu lösen. Die Führungskrise der CDU wäre dann eine willkommene Ablenkung.
Fest steht für die SPD, dass sie in dieser Legislaturperiode keinen anderen Christdemokraten als Merkel zum Kanzler wählen wollen. Sollte die Union Merkel also zum vorzeitigen Amtsverzicht bewegen, dürfte auch die Große Koalition enden, es käme zu Neuwahlen. Doch so richtig daran glauben will die SPD derzeit nicht. Man gehe davon aus, dass die Koalition bis September 2021 hält, heißt es.
Spätestens bis zum Herbst soll der Kanzlerkandidat der SPD feststehen
Das bedeutet auch, dass die SPD an ihrem Zeitplan für den Bundestagswahlkampf festhalten will. Erste Planungen stellte Generalsekretär Klingbeil dem Parteivorstand bei der zweitägigen Klausur vor. Möglichst früh, also spätestens bis zum Herbst soll feststehen, mit welchem Kanzlerkandidaten die Partei in den Wahlkampf ziehen will. Und noch vor Ostern trifft sich das Präsidium zu einem Workshop. Dabei soll es um die strategische Ausrichtung gehen, sprich: Zielt die SPD eher auf die Mitte? Oder entscheidet man sich für einen Linkskurs?
"Wir sind gerade nicht da, wo ich uns gerne hätte", sagte Klingbeil am Montagabend auf dem Podium. Er berichtete von einer Allensbach-Studie, die ihn geschockt habe. Dieser Studie zufolge trauen nur acht Prozent der Deutschen der SPD eine "Zukunftskompetenz" zu.
"Das ist die große Herausforderung", sagte Klingbeil. "Wir müssen wegkommen von dem ganzen negativen Erzählen", etwa dass die Digitalisierung eine Bedrohung sei oder der Klimawandel. Damit übersehe man die Chancen, die auf dem Weg lägen. "Wenn wir davon wegkommen, dann wird meine Partei auch wieder stärker."