Streit zwischen SPD und Grünen Der fremde Freund

Grüner Trittin, SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: "Hasenfüßige Signale"
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesBerlin - Der Satz kommt so beiläufig daher, dass mancher im Raum sich noch mal vergewissern muss: Hat Jürgen Trittin das gerade wirklich so gesagt? Ja, hat er. Und der Grünen-Spitzenkandidat wird auf mehrfache Nachfrage nicht bestreiten, dass sich dieser Satz auf den jüngsten Steuer-Zickzack der SPD bezieht. Er lautet: "In dieser Situation ist es unklug, hasenfüßige Signale zu setzen."
Der Satz sitzt, so viel steht fest. Denn er heißt übersetzt: Die SPD macht sich im Wahlkampf in die Hose, sie verliert ihren Kompass - die Grünen dagegen versuchen es weiterhin mit "Mut und Wahrhaftigkeit", wie Trittin das nennt.
Das ist allerhand. Rot-Grün galt vor nicht allzu langer Zeit mal als Tandem, als natürliches Bündnis. Das scheint vorbei. Je mehr die Chancen auf einen Wahlerfolg zuletzt sanken, desto mehr haben sie sich voneinander entfremdet. Seit Wochen verfolgen die Grünen mit Argwohn die Schwäche der SPD in den Umfragen und das unglückliche Agieren der Spitzengenossen. Die neuen Töne der SPD-Führung in der Steuerpolitik haben nun offenbar endgültig einen Keil zwischen die Parteien getrieben. Offiziell sagt Trittin: "Wir wollen Rot-Grün." Aber sein Signal ist ein anderes: Jeder kämpft jetzt nur noch für sich allein.
Die Wahl ist noch nicht gelaufen. Aber die Chancen von Rot-Grün haben sich mit der neuen Debatte in der SPD noch einmal verschlechtert. Wenn es ein Thema gab, bei dem Rote und Grüne auf klare Kante setzten und sich von Angela Merkels Plänen unterschieden, dann war es die Finanzpolitik, dann war es das gemeinsame Vorhaben, bestimmte Steuern zu erhöhen, um Bildungsinvestitionen bezahlen zu können. Plötzlich scheinen die Sozialdemokraten an dieser Stelle zu wackeln. Ausgerechnet.
"Ich finde Steuern zahlen nicht sexy"
Es ist nicht so ganz leicht zu dechiffrieren, was die Partei überhaupt will. Ein Abrücken von den Beschlüssen - ein höherer Spitzensteuersatz, zusätzliche Besteuerung von Erbschaften, Vermögen und Kapitalerträgen - das kommt nicht in Frage, so jedenfalls wird es in der SPD unisono betont. Abstriche am Konzept stünden "nicht zur Debatte", sagt Ralf Stegner, Koordinator des linken Flügels im Parteivorstand. "Das Steuerpaket der SPD steht zur Wahl", sagt auch Gabriel.
Klingt klar, ist es aber nicht. Denn im gleichen Atemzug sagt der SPD-Chef, dass man "vielleicht einen Teil dieser Steuererhöhungen nicht machen" müsse, wenn es gelinge, im Kampf gegen Steuerflucht ein paar Milliarden hereinzuholen. Das alles müsse "parallel" geschehen und in der "politischen Praxis" entschieden werden. "Ich finde Steuern zahlen nicht sexy", sagt Gabriel. Ja, was denn nun? Spielt die SPD jetzt FDP? Will sie sich anschlussfähig machen für Koalitionen mit den Liberalen? Oder ist alles nur ein großes Missverständnis?
Eigentlich, so ist im Willy-Brandt-Haus zu hören, gehe es der SPD-Spitze nur darum, das Thema Steuerflucht und Steuerdumping in den Fokus des Wahlkampfs zu rücken. Mag sein, dass dem so ist - aber dann ist das Vorhaben gescheitert. Denn im Fokus steht bislang nur die Lesart, die SPD sei plötzlich offen für Steuersenkungen. Ein Schwenk, eine Umkehr, ein U-Turn. Und das fünf Wochen vor der Wahl.
Bei den Grünen hatte man sich schon am Wochenende eiligst telefonisch zusammengeschaltet, um über den SPD-Vorstoß zu beraten. Wundern tut man sich über die Quer- und Knieschüsse der Sozialdemokraten ja schon lange nicht mehr, aber diesmal steht indirekt auch die grüne Glaubwürdigkeit und damit die eigene Mobilisierungskraft auf dem Spiel. Deshalb die deutliche Reaktion von Spitzenmann Trittin.
Misstrauen in der Diskussion um Machtoptionen
Aber auch andere führende Grüne äußerten sich am Montag entsprechend klar: In seiner Partei werde es keine "Hasenfüßigkeit" geben, sagt der Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl und Parteichef Tarek Al-Wazir: "Wir stehen für unsere Inhalte ein." Die Chefin der Grünen Jugend, Sina Doughan, sagt: "Es ist inhaltlich und strategisch unklug, was die SPD gerade macht."
Und es könnte auch den Grünen schaden. Für das geplante Bündnis mit der SPD war die Steuererhöhungsachse zentral. Was bleibt nun von Rot-Grün? Eben, nicht viel. Dabei haben sich die Grünen noch viel stärker als die SPD auf eine gemeinsame Koalition festgelegt. Und für die Generation um Spitzenmann Trittin, Parteichefin Claudia Roth und die Fraktionsvorsitzende Renate Künast dürfte Rot-Grün die einzige Chance sein, noch mal zu regieren.
Gleichzeitig sehen die Grünen mit gewisser Eifersucht, wie in der SPD zunehmend über die Option Große Koalition nachgedacht wird. Das Vorhaben von Gabriel, direkt nach der Wahl einen Parteikonvent einzuberufen, wird als Signal in eine klare Richtung interpretiert: Die Sozialdemokraten hätten die Hoffnung auf Rot-Grün aufgegeben, der SPD-Chef wolle bei dem Konvent über andere Optionen entscheiden lassen. Andererseits hat mancher Genosse Trittin und seine Leute im Verdacht, gegebenenfalls eine schwarz-grüne Koalition nach der Wahl einzugehen.
Doch weil die Grünen öffentlich nicht über das alternative Bündnis mit der Union nachdenken wollen, sind sie nun in einem Dilemma: Es bleibt nur das demonstrative Festhalten an Rot-Grün.
Aber mehr als ein Lippenbekenntnis ist das wohl nicht mehr.