Bundestagswahl 2017 SPD-Wahlkampfstratege springt ab

Gabriel in Hongkong am 4.11.2016
Foto: Vincent Yu/ APSie hatten bis zuletzt gehofft, dass er dabei ist. Dass der "Mann für aussichtslose Lagen", wie sie ihn im Willy-Brandt-Haus auch nennen, mit einer fulminanten Kampagne dafür sorgt, dass die Bundestagswahl im Herbst 2017 für die Sozialdemokraten nicht zur Katastrophe wird. Und ja, dass es der SPD wider Erwarten vielleicht sogar gelingt, an der 30-Prozent-Marke zu kratzen.
Nun haben diese Hoffnungen einen Dämpfer bekommen. Frank Stauss, Mitinhaber der Werbeagentur Butter und krisengestählter Wahlkämpfer, hat der Partei abgesagt. Er wird den Bundestagswahlkampf 2017 nicht organisieren. Vor wenigen Tagen stellte er in einem Schreiben an den Vorsitzenden Sigmar Gabriel klar: Aus, vorbei, ich mache es nicht!
Gabriels Zaudern fordert Opfer
Über 20 Kampagnen hat Stauss in den vergangenen 15 Jahren für die Genossen geprägt, die meisten davon erfolgreich. Und für nächstes Jahr war er fest eingeplant. Deshalb löste seine Absage selbst in der an schlechte Nachrichten gewöhnten Parteispitze einen Schock aus. "Das ist ein Desaster", sagt ein Präsidiumsmitglied. Und ein Führungskollege spricht von einem "schweren Schlag".
Rund zehn Monate vor der Bundestagswahl steht die Partei ohne Programm, Kandidat und Strategie da. Es besteht die Gefahr, dass sie 2017 ähnlich chaotisch in den Wahlkampf stolpert wie 2013.
Zumal Gabriels Zaudern, ob er Kanzlerkandidat werden soll, nicht nur die Partei zermürbt, sondern mit Stauss das erste prominente Opfer gefordert hat. Wahrscheinlich bleibt er nicht das einzige.
Am Ende fehlte das Vertrauen
Offiziell schweigt Stauss. "Zu Vertragsdingen kann ich nichts sagen", ließ er wissen. In der Parteizentrale aber wird offen über die Gründe für den Bruch geredet. Immer wieder hatte Stauss intern klargemacht, dass eine Erfolg versprechende Kampagne eine angemessene Vorlaufzeit von rund einem Jahr benötige. Er betonte, dass Kandidat und Kampagne aufeinander abgestimmt sein müssten. Und er predigte, dass ein Wahlkampf "generalstabsmäßig organisiert sein muss". Eindeutige Hierarchien, klare Zuständigkeiten, kurzfristige Entscheidungen - all das sei notwendig, damit man nicht über jedes Stöckchen stolpere, das einem hingehalten werde.
Für all das erhielt Stauss viel Zustimmung, aber es fielen keine Entscheidungen. Gut möglich, dass ihm am Ende das Vertrauen auf die Lernfähigkeit seiner Parteifreunde abhandengekommen ist.
Hinzu kommt, dass er mit seinen Mitarbeitern bereits über der Kampagne für die SPD in Nordrhein-Westfalen brütet, die im kommenden Mai Hannelore Kraft den Verbleib in der Staatskanzlei sichern soll. Stauss war es, der im Jahr 2010 den Wahlkampf organisierte, der den CDU-Mann Jürgen Rüttgers aus der Düsseldorfer Regierungszentrale vertrieb.
Nur die Hälfte der SPD-Anhänger möchte Gabriel als Kandidaten
Zwar ist Stauss kein überirdischer Zauberkünstler. Dass er sich in der SPD einen gewissen Heldenstatus erarbeitet hat, liegt vor allem daran, dass er selbst scheinbar aussichtslose Fälle annahm. So wie den Bundestagswahlkampf 2005, der zu einer Aufholjagd von Gerhard Schröder führte. Oder die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im vergangenen März, bei der Malu Dreyer die Überraschungssiegerin war.
Selbst erfolglose Kampagnen verzeihen die Genossen Stauss. Dass es bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin schlecht lief, lasten sie eher der kläglichen Regierungsarbeit des Senats und dem schwachen Spitzenkandidaten Michael Müller an.
Allerdings könnte die Kampagne in der Hauptstadt dazu beigetragen haben, dass Stauss die Absage an die Bundespartei nicht allzu schwerfiel. Ein Kanzlerkandidat Gabriel wäre wohl eher ein zweiter Fall Müller. Zumindest deuten darauf unter Verschluss gehaltene Zahlen hin. Meinungsforscher ermittelten, dass gerade einmal die Hälfte der SPD-Anhänger einen Kanzlerkandidaten Gabriel begrüßen würden. Bei den Grünen sind es weniger als ein Drittel, bei den Linken sogar weniger als 20 Prozent.
Außerdem präferieren vier von zehn SPD-Sympathisanten Angela Merkel als Kanzlerin, falls sich Gabriel für eine Kandidatur entscheiden sollte.
"Eine falsche Kandidatur kann verheerende Folgen haben"
Zu dieser Gruppe gehört Stauss möglicherweise selbst. Schließlich ist das Verhältnis zwischen ihm und Gabriel seit Langem angespannt. Bereits bei der Klausur der Parteispitze im Januar im brandenburgischen Nauen waren beide aneinander geraten. Damals hatte Stauss vorgerechnet, dass die SPD ein Wählerpotenzial von 38 Prozent habe. Die Partei genieße hohes Ansehen in Bereichen wie "sozialer Zusammenhalt" und stehe für eine offene, tolerante Gesellschaft. "Das würde ja bedeuten, dass Haltung alles ist", entgegnete Gabriel. "Das glaube ich nicht." Doch Stauss fuhr ungerührt fort: "Die große Mehrheit der Deutschen will ein modernes, offenes Land."
Es war ein Frontalangriff auf den Vorsitzenden, der sich damals intensiv bemühte, auch jenen Wählern etwas zu bieten, die der Auffassung waren, es seien zu viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Wenige Monate zuvor hatte Gabriel sogar ein Papier veröffentlicht, mit dem er die SPD im sozialliberalen Segment verorten wollte - sehr zum Verdruss von Stauss.
Dabei verbindet ihn mit Gabriel, dass sie beide gern recht haben - und entsprechend freudig austeilen. Erst kürzlich warnte Stauss in seinem Blog, die Zeiten seien "zu ernst, um nicht einzusehen, dass eine falsche Kandidatur zur falschen Zeit verheerende Folgen haben kann. Für ein Land, für eine Partei, manchmal sogar für die ganze Welt." Vordergründig war damit Hillary Clinton gemeint, für deren Ehemann Bill er einst Wahlkampf gemacht hatte. Viele in der Partei verstanden die Sätze aber auch als Empfehlung für den Parteivorsitzenden, die eigene Kandidatur zu überdenken.
Gabriel rennt die Zeit davon
Durch die Absage von Stauss gerät der Parteichef gleich mehrfach unter Druck. Eine neue Agentur muss her, die den Wahlkampf organisiert. Und ein Schlachtenlenker, der im Willy-Brandt-Haus das Kommando übernimmt. Einige rechnen nun mit einem Zurück in die Zukunft: Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig, der den Wahlkampf 1998 organisierte, könnte eine wichtige Rolle spielen.
Gabriel rennt die Zeit davon. Wenn er nicht bald klarmacht, ob er von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen will, folgt das nächste Opfer wohl in Kürze: Martin Schulz. Noch betont der EU-Parlamentspräsident seine Verbundenheit zu Gabriel. Doch der Mann aus Brüssel ist populär, seine Veranstaltungen derzeit sind übervoll. Er könnte es sich mutmaßlich vorstellen, anstelle des SPD-Chefs die Kanzlerkandidatur zu übernehmen.
Doch für Schulz schließt sich in Kürze ein Zeitfenster. In Brüssel kämpft er gerade um eine Verlängerung seiner Amtszeit. Noch im November fällt eine Vorentscheidung. Gelingt es Schulz, sich gegen die anhaltenden Widerstände der konservativen EVP durchzusetzen, ist er ans EU-Parlament gebunden. Sich danach nach Berlin zu verabschieden, wäre mit einem massiven Imageverlust verbunden.
Bleibt Schulz in Brüssel, hätte Gabriel nur noch zwei Optionen: Zurückzutreten und die Partei seinen Stellvertretern zu überlassen oder selbst in die Schlacht zu ziehen. Mit überschaubaren Aussichten: Es finden sich nicht mehr viele Genossen, die sich einen erfolgreichen Wahlkampf nach dem Motto "ohne Stauss, aber mit Gabriel" vorstellen können.