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Wahlplakate der SPD Steinbrück, der unsichtbare Kandidat

Hundert Auftritte, fünf Millionen Hausbesuche, 8000 Großplakate: Während die Kanzlerin Ferien macht, eröffnet Peer Steinbrück die heiße Wahlkampfphase. Allerdings bleibt der SPD-Kandidat auf den eigenen Wahlplakaten seltsam unsichtbar.

Berlin - Wo ist Peer Steinbrück? Schon klar, der Kanzlerkandidat steht vor einer Plakatwand in Berlin-Neukölln und eröffnet die heiße Phase des SPD-Wahlkampfs. "Bisher waren wir im Trainingslager, ab morgen gehen wir auf die Straße", sagt er selbstbewusst. Neben ihm formt Generalsekretärin Andrea Nahles mit den Händen eine Merkel-Raute .

Aber wo ist Peer Steinbrück auf den Wahlplakaten der SPD  geblieben? Den ersten Schwung präsentierten er und Nahles am Dienstag. Die Motive zeigen eine Familie vor Umzugskisten, die sich moderate Mieten wünscht. Einen Handwerker und eine Reinigungskraft, die Mindestlöhne fordern. Eine Mutter mit Kind, die Kita-Plätze will. Dazu den Slogan "Das WIR entscheidet".

Insgesamt 8000 dieser Großplakate sollen deutschlandweit aufgehängt werden. Und auf keinem ist Steinbrück zu sehen. Es gibt lediglich ein Porträt im Kleinformat, auf dem er freundlich lächelt und mit dem seine Termine in den Städten angekündigt werden. Schämt sich die SPD etwa für ihren Spitzenmann?

Diesen Schluss würde die SPD-Führung natürlich empört zurückweisen. Sie verkauft die "Steinbrück light"-Kampagne als Strategie, um sich vom Personenwahlkampf des Gegners abzugrenzen. Die CDU hat ihre Plakate noch nicht vorgestellt, aber es ist wahrscheinlich, dass viele davon Angela Merkel zeigen werden. Die Sozialdemokraten wollen sich davon mit Motiven absetzen, die Inhalte transportieren - so die offizielle Lesart.

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Wahlkampfstart mit der SPD: Von Fahrradketten und Handtaschen

Foto: Hannibal Hanschke/ dpa

"Wir haben bewusst keine professionellen Models genommen", erklärt Nahles. "Das ist ein Hausmeister, das ist eine Familie", sagt sie, "und zwar in ihrer lebensweltlichen Umgebung. Es geht hier nicht um Grinserei, also darum, dass jeder mal in die Kamera lächeln darf."

Gut sieben Wochen vor dem Wahltermin ist die SPD früh dran mit der Eröffnung der heißen Wahlkampfphase. Die Kanzlerin ist bis Mitte August im Urlaub, man will Merkels Auszeit für sich nutzen. Rund hundert öffentliche Auftritte hat Steinbrück geplant - im Schnitt zwei pro Tag bis zur Bundestagswahl. In der zweiten und dritten Phase des Plakatwahlkampfs sollen dann auch neue Plakate aufgehängt werden - mit dem Gesicht des Kanzlerkandidaten. Es könne keine Rede davon sein, dass man Steinbrück verstecke, erklärte ein Sprecher des Parteivorstands.

Zu Besuch in der Studentenbude

Ernst referiert der Kandidat in Neukölln über Investitionsstaus, Breitbandausbau, Lohnaufstocker und Altersarmut. Große Themen, echte Positionen, damit will man Schwarz-Gelb trotz des deutlichen Umfragevorsprungs doch noch packen.

Zu spaßbefreit soll der Herausforderer aber auch nicht rüberkommen. Gerade erst besuchte Steinbrück eine Berliner Studentenbude. In Polohemd und mit Bierflasche fläzte er auf einem WG-Sofa, die Boulevardpresse schrieb darüber . In Neukölln freut sich Steinbrück, dass die Studenten seinen Besuch "über die entsprechenden Kanäle", Twitter und Instagram, verbreitet haben.

Zum anderen setzt die SPD auf "Negative Campaigning", das Verunglimpfen des Gegners. Steinbrück ätzt über Merkels versprochene Mietpreisbremse. "Miet-preis-brämsäh", er spuckt das Wort beinahe aus, "das hat sie vier Jahre zu spät entdeckt, damit führen wir sie vor". Er wirft Schwarz-Gelb vor, "leere Flaschen mit hübschen Etiketten drauf" zu produzieren.

Die Angriffstaktik schlägt sich auf den SPD-Plakaten nieder, zwei davon zeigen die Kanzlerin. Auf einem kramt Merkel in ihrer Handtasche. "Privatsphäre - Neuland für Merkel", steht drunter, in Anspielung auf die mangelhafte Aufklärung des NSA-Schnüffelskandals. Ein anderes zeigt Merkel mit Kanzleramtschef Ronald Pofalla und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (beide CDU), versehen mit der Frage: "Merkels Kompetenzteam?"

Eine Volkspartei, die nicht den eigenen Kandidaten zeigt, sondern das Konterfei der Konkurrentin - gibt's das? Die SPD beweist: Ja, das gibt es.

Fünf Millionen Hausbesuche

Steinbrück soll ein nahbarer Wahlkämpfer sein, im Rahmen seiner "Klartext Open Air"-Tour diskutieren Bürger mit ihm unter einem großen Schirmdach. Auch kämpft die Volkspartei, die zwischen 1998 und 2009 die Hälfte ihrer Wähler verloren hatte, mit allen Ressourcen. Eine Armada von Ehrenamtlichen soll bis zum Wahltag insgesamt fünf Millionen Hausbesuche (Nahles: "Tür-zu-Tür-Aktionen") machen.

Steinbrück sagt, wegen seines vollen Kalenders werde Sport für ihn erst mal ausfallen ("Squash geht sowieso nicht, wegen der Fußgelenke"). Er könne nur versuchen, mit Schlaf und gesunder Ernährung dem Stress entgegenzusteuern.

Trotz aller Mühen wird man den Eindruck der Unentschlossenheit nicht los. Sich abzugrenzen, das wird schwer. Viele Themen hat Merkel der SPD bereits geklaut, ob Kinderbetreuung, Mieten, Bürgerdialog oder Euro-Politik. Und nur gegen Merkels Rolle in der Spähaffäre kacheln, das hat der SPD bislang wenig genutzt. In den Umfragen konnte sie nicht aufholen, das bemängelte zuletzt der frühere SPD-Innenminister Otto Schily. Also versucht Steinbrück in Neukölln ein bisschen was von allem. Auch die Wahlplakate sind ein bisschen was von allem.

Zum Schluss soll Steinbrück noch ein paar Worte zu Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sagen, der sich wegen gesundheitlicher Probleme zurückzieht. "Jeder trifft solche Entscheidungen für sich persönlich. Es gibt ein Leben nach der Politik", sagt Steinbrück.

Ähnliches mag vielleicht ein tröstender Gedanke für den SPD-Kanzlerkandidaten sein: Es gibt ein Leben nach dem Wahlkampf.

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Skurrile Parteiwerbung: Kekse, Klartext, Claudia

Foto: Stefan Sauer/ picture alliance / dpa
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