Spendenskandal Alle verkohlt

Zum vierten und letzten Mal hat Helmut Kohl die Aussage vor dem Spenden-Untersuchungsausschuss verweigert. Er hält sich für rehabilitiert und droht, sich wieder ins politische Alltagsgeschäft einzumischen. Der Altkanzler lieferte ein Lehrstück über die Arroganz der Macht, an dem sich das Gremium die Zähne ausbiss.

Berlin - Der massige Mann war wütend. Er stemmte sich aus seinem Sessel und griff nach dem Mikrofon. "Ich will so schnell wie möglich vor einen Untersuchungsausschuss geladen werden", rief Helmut Kohl im Dezember 1999 im Bundestag. Dort wolle er dann Rede und Antwort stehen und aufräumen mit dem ungeheuerlichen Verdacht, seine Regierung sei käuflich gewesen. Ziemlich genau zwei Jahre und über hundert Ausschusssitzungen danach hatte der Altkanzler am Donnerstag zum vierten und letzten Mal als Zeuge vor dem Gremium seinen selbst erklärten Aufklärungswillen von damals ad absurdum geführt.

Hartnäckig weigerte er sich weiterhin, die Namen der Spender zu nennen, die ihm zwischen 1993 und 1998 insgesamt 2,1 Millionen Mark in bar zugesteckt hatten, die er souverän an den offiziellen Kassenbüchern vorbei schleuste und nach Gutdünken in der Partei verteilte. Der Mann, der fünfmal als Bundeskanzler einen Eid auf die Verfassung geschworen hatte, ignoriert damit kontinuierlich seinen Amtseid und missachtet anhaltend geltendes Recht wie das Parteiengesetz.

Auch das umfangreiche System von Schwarzgeldkonten will er trotz gegenteiliger Hinweise nicht gekannt haben. Insgesamt 36-mal hatte der ehemals allmächtige CDU-Mann mit dem Elefantengedächtnis von einem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, weil in Bonn ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue gegen ihn lief. Mehr als 200-mal machte er Gedächtnislücken oder Nichtwissen geltend: Ein statistisches Protokoll der Selbstherrlichkeit des Altkanzlers und der Ohnmacht eines Untersuchungsausschusses. Das Gremium verzichtete folgerichtig beim letzen Kohl-Auftritt resigniert auf eine Vereidigung oder Zwangsmittel.

"Man kann ihn nur vereiden auf das, was er gesagt hat, nicht auf das, was er verschweigt", resümierte der Vorsitzende Volker Neumann. Eine Vereidigung hätte also den Wahrheitsgehalt der spärlichen Einlassungen des Pfälzers nicht erhöht. Zwangsmittel wie tausend Mark Bußgeld oder Beugehaft hätten einen wie Kohl, ist sich Neumann sicher, nicht beeindruckt.

Podium für die Generalabrechnung

Der ehemalige Regierungschef verließ mit Siegerlächeln und ohne Schuldbewusstsein zum letzten Mal die Verhör-Arena, die er zuvor in bewährter Manier stundenlang als Podium für eine Generalabrechnung mit seinen politischen Gegnern nutzte.

Nach eigener Einschätzung saß Kohl am Donnerstag wieder einmal Leuten gegenüber, "die sich in Ausschüssen zusammenrotten". So hatte er sich bei einem Besuch der Leuna-Raffinerie geäußert, und so verhielt sich der frühere CDU-Vorsitzende auch bei seiner vierten Nicht-Aussage im Parteispenden-Untersuchungsausschuss.

Schon bei seinen ersten drei Auftritten vor dem Ausschuss hatte Kohl so gut wie nichts zur Aufklärung der Spendenaffäre seiner Partei beigetragen.

In der 103. öffentlichen Sitzung des Ausschusses gab sich Kohl am Donnerstag, was das Spenden-Thema angeht, nicht auskunftsfreudiger, obwohl das Ermittlungsverfahren gegen 300.000 Mark Bußgeld eingestellt und die Grundlage für die Auskunftsverweigerung damit entfallen war. Sein Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner hatte eine neue Begründung gefunden: Er machte für seinen Mandanten ein Schweigerecht als Betroffener geltend.

"Vernichtungsfeldzug"

Fragen zur Sache beantwortete Kohl nicht, sondern ging jedes Mal mit heftigen Angriffen auf die rot-grüne Ausschuss-Mehrheit in die Offensive. Er warf ihr Missbrauch des Untersuchungsauftrages vor, um ihn und die CDU zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Vertreter von SPD, Grünen, FDP und PDS - die CDU/CSU stellte demonstrativ keine Fragen an den Altkanzler - hatten alle Mühe, wenigstens Kohls eingestandene Verstöße gegen das Parteiengesetz nicht in der Flut wüster Attacken des Ex-Kanzlers untergehen zu lassen.

Für den "Ehrenbürger Europas" war die Veranstaltung nichts anderes als ein "Vernichtungsfeldzug" von "Ehrabschneidern", die sein "Lebenswerk versenken" wollten mit der "wohl einzigartigsten Diffamierungskampagne in der Geschichte der Bundesrepublik". Belehrungen über Verfassungstreue verbitte er sich von Roten und Grünen, die den Verfassungsauftrag zur Wiederherstellung der Deutschen Einheit verraten hätten.

Genüsslich wies Kohl darauf hin, dass der Ausschuss in keinem Fall habe nachweisen können, dass Entscheidungen der von ihm geführten Bundesregierung gekauft worden sind. Das entspricht zwar dem bisherigen Untersuchungsstand, und dem konnte auch kein Ausschussmitglied widersprechen - selbst im Fall des flüchtigen Ex-Rüstungsstaatssekretärs Holger Pfahls nicht, der 3,8 Millionen Mark aus der Schmiergeldkasse der Panzer-Schmiede Thyssen erhalten hat. Seine Entscheidung, an Saudi-Arabien während des Golfkrieges Fuchs-Spürpanzer zu liefern, habe von Anfang an festgestanden, betonte Kohl. Dass der von ihm ohnehin nicht sonderlich geliebte Pfahls, der nur auf Druck der CSU seinen Posten erhalten habe, darauf Einfluss gehabt habe, sei "völlig ausgeschlossen".

Keine Bewertung möglich

Aber für viele fragwürdige Entscheidungen in der Ära Kohl fehlt es auch an einer Bewertungsgrundlage. Massenhaft sind Akten und Daten beim Ende der Kanzlerschaft Kohls in seinem Amt verschwunden. "Bundeslöschtage" hatte sie der Sonderermittler der Bundesregierung, Burkhard Hirsch (FDP), vor dem Gremium genannt. Aber auch dafür hatte Kohl keine Erklärung, sondern nur Spott übrig: Hirsch habe wohl darunter gelitten, dass er 16 Jahre lang unter ihm nicht Bundesjustizminister geworden sei. "Im Nachhinein beglückwünsche ich mich zu meiner Weitsicht", war alles, was ihm dazu einfiel.

Nur an zwei Punkten konnten der Ausschuss und vor allem das SPD-Mitglied Rainer Wend den Altkanzler, der beständig mit dem rechten Fuß wippte, noch mal mit hartnäckigem Nachfragen in Bedrängnis bringen.

Offene Fragen und Zweifel bleiben

Ausweichend und mit spürbarer Unsicherheit äußerte sich Kohl auf Fragen zu einer Festrede seines früheren Vertrauten Uwe Lüthje. Dieser hatte bei einer Feier zur Verabschiedung des ehemaligen CDU-Finanzberaters Horst Weyrauch am 10. September 1997 eine Rede gehalten und sinngemäß erklärt, Kohl habe während der Flick-Spendenaffäre Anfang der 80er Jahre nur deswegen nicht zurücktreten müssen, weil er - Lüthje - und Weyrauch vor dem damaligen Untersuchungsausschuss des Bundestages falsch ausgesagt hätten. Er kenne die Rede nicht, sagte Kohl, und verwies im übrigen auf den Gesundheitszustand des inzwischen schwer kranken Lüthje.

Lüthje selbst hatte wegen seiner Krankheit nicht als Zeuge geladen werden können, sondern sich nur schriftlich zu einigen Fragen geäußert. Dabei hätte er als ehemaliger "Herr der schwarzen Kassen" wahrscheinlich zur Wahrheitsfindung mit am meisten beitragen können. In den Ausschussakten befinden sich immerhin Zeugenaussagen über ein Telefongespräch Kohls mit Lüthje zur jüngsten CDU-Spendenaffäre, bei dem Lüthje in den Hörer gebrüllt haben soll: "Herr Kohl, es wird nichts geändert. Und gelogen wird dieses Mal auch nicht."

Parallelen zur Flick-Affäre

Die Strategie von Kohl und seinen Vertrauten scheint damit am Ende aufzugehen - wie in der Flick-Affäre der achtziger Jahre. SPD und Grüne vermuten, dass es wie damals Absprachen, eine Art "Drehbuch", unter den Hauptbeteiligten gegeben habe. Zu Zeiten der Flick-Affäre hatte der ehemalige CDU-Generalbevollmächtigte Uwe Lüthje 1984 ein "Memo" geschrieben, in dem es heißt: "Der Weg durch die Steuerinstanzen muss mit sturer Beharrlichkeit gegangen werden. In Langzeitverfahren gewinnen Argumente allein schon durch Wiederholung Gewicht. Die Feststellungen der Steuerfahndungsstelle werden in keinem Punkt anerkannt." "Genauso", sagte SPD-Obmann Frank Hofmann, hätten sich die Akteure von damals auch in der CDU-Spendenaffäre verhalten - allen voran Helmut Kohl.

Aber die Frage nach den anonymen Spendern, bei der Kohl genau nach diesem System "Beharren-Verschweigen" verfuhr, war dem Altkanzler offensichtlich lästig. Immer wieder legte Wend den Finger in die Wunde, denn mit der ungeklärten Herkunft der 2,1 Millionen Mark bleibt eine offene Flanke: "Sie sagen, die Spender seien alle Ehrenmänner und mit dem Geld sei kein Regierungshandeln erkauft worden. Wenn dem so ist, warum wollen Sie die Namen dann nicht nennen?" insistierte der SPD-Mann. Durch sein Schweigen nähre er den Verdacht, dass es anders war. "Wenn alles in Ordnung war, räumen Sie doch jetzt ein für allemal mit diesem Verdacht auf, indem Sie die Namen nennen", forderte Wend. Kohl schwieg.

Viele Ausschuss-Mitglieder glauben inzwischen, dass es die von Kohl selbst ins Spiel gebrachten anonymen Spender gar nicht gibt und sie nur herhalten müssen, um Geldflüsse von anderen Konten zu verschleiern.

"Arroganz der Macht"

Für den Obmann der Grünen, Christian Ströbele, war der letzte Auftritt des Altkanzlers "absurdes Theater", mit dem alle verkohlt werden: "Er nutzt die Arroganz der verblichenen Macht als Zuflucht."

Der Ausschuss ist mit seinem Latein am Ende. "Das liegt einzig und allein daran, dass der Einzige, der für Aufklärung sorgen könnte, nämlich Helmut Kohl, es versäumt hat, die Karten offen auf den Tisch zu legen", resümierte der FDP-Sprecher Max Stadler nach Abschluss der Sitzung, während der Verschweiger lächelnd Autogramme setzte unter die Porträts der Gerichtszeichner und sich dann mit einem jovialen "Tschüss, das war's" verabschiedete.

"Nutzt das aus!"

Der Ausschuss wird nun nur noch den ehemaligen Kohl-Vertrauten Hans Terlinden und im Hinblick auf die Leuna-Affäre den früheren Elf-Manager Alfred Sirven in Paris vernehmen. Im Sommer will er dann dem Bundestag seinen Abschlussbericht vorlegen.

Doch die CDU feierte sich bereits an diesem Donnerstag als Sieger. "Das war die Stunde der Wahrheit", frohlockte ihr Obmann Andreas Schmidt, dem Kohl beim Weggehen noch zuflüsterte: "Nutzt das aus!" Doch mit neuem Selbstvertrauen ausgestattet, hatte der Altkanzler auch für seine Partei noch eine selbstlose Spende übrig, die dort wegen der offenen Fragen in der Affäre noch für Schweißausbrüche sorgen könnte. Der alte Machttaktiker hat angekündigt, sich noch mal aktiv in den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr einzumischen: "Ich werde mitkämpfen, und zwar massiv und gut."

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