Sprengsatz aus dem Jemen Info-Panne verhinderte Bombenkontrolle in Köln

Die Sendung wurde als verdächtig erkannt, doch Beamte konnten sie nicht mehr kontrollieren: Beim Umschlag des Bombenpakets aus dem Jemen gab es nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen eine Panne am Flughafen Köln/Bonn. Frachtdaten wurden laut Zoll zu spät vorgelegt - und das ist kein Einzelfall.
Mit PETN präparierte Druckerpatrone: Perfider Sprengsatz mit Zeitzünder

Mit PETN präparierte Druckerpatrone: Perfider Sprengsatz mit Zeitzünder

Foto: AP/ CBS News

Berlin - Beim Verladen des mit Sprengstoff präparierten Druckers aus dem Jemen gab es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE eine bisher unbekannte Sicherheitspanne auf dem Flughafen Köln/Bonn. Eine gründliche Kontrolle des Pakets und eine mögliche frühzeitige Entdeckung der mit Sprengstoff gefüllten Druckerpatrone durch den deutschen Zoll waren deswegen nicht möglich.

Das Bundesfinanzministerium (BMF) bestätigte, es habe in dem Fall eine "fehlerhafte Datenübermittlung" zwischen dem Paketdienst UPS und dem Zoll gegeben. Daran sei die Kontrolle der gefährlichen Sendung durch die deutschen Behörden gescheitert.

Die Analyse des Falls offenbart gravierende Lücken bei den Kontrollen des in Deutschland umgeschlagenen Frachtguts. So übermittelte der Paketdienst UPS, bei dem die Sendung in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa aufgegeben worden war, laut Behörden die Frachtpapiere für die explosive Sendung mehr als zwölf Stunden zu spät an den deutschen Zoll.

Paket hätte schon in Deutschland gestoppt werden können

Obwohl das Paket aus dem Jemen bereits am Donnerstag, 28. Oktober, um 22.56 Uhr auf dem Flughafen eintraf und dann gegen 2 Uhr morgens nach England weitergeschickt wurde, erhielt der deutsche Zoll nach eigenen Angaben erst einen Tag später, also Freitag, die Frachtunterlagen über die Sendung aus dem Jemen.

Ohne die Datenpanne wäre das Bombenpaket, in dem rund 400 Gramm hochexplosives PETN versteckt waren, möglicherweise schon in Deutschland gestoppt worden. Allein das Absenderland Jemen und die Fracht, ein per Luftpost versandter gebrauchter Drucker, machten jedenfalls die Zollbeamten nach Einsicht der UPS-Frachtpapiere an jenem Freitag sofort stutzig.

Umgehend wandten sie sich laut BMF an den Paketdienst, verlangten eine persönliche Kontrolle der Sendung. Zu diesem Zeitpunkt aber war es bereits zu spät: Die Lieferung 1Z20001 V66809 43792 war früh morgens ins britische UPS-Frachtzentrum East Midlands versandt worden.

"Keine Kenntnis von der Sendung"

Im Finanzministerium hielt man sich mit Kritik zurück, nicht mal der Name UPS wurde in einer schriftlichen Antwort des Hauses von Ressortchef Wolfgang Schäuble genannt. Allerdings stellte das Ministerium nüchtern fest, dass das Paket "einen Tag früher, als dem Zoll vom Frachtunternehmen angekündigt, über den Flughafen Köln/Bonn umgeschlagen" worden sei.

Das hatte weitreichende Folgen: Der Zoll hatte laut Ministerium wegen der Datenpanne "während des Transportes durch deutsches Hoheitsgebiet keine Kenntnis von der Sendung" und "konnte daher keine Kontrolle des Paketes durchführen", so das für den Zoll verantwortliche Ministerium.

Faktisch also lief das Paket völlig kontrollfrei durch Deutschland.

Aufgefallen war die Sendung schließlich erst nach einem Tipp aus Saudi-Arabien. Der Geheimdienst informierte den Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts (BKA) in der Nacht zum Freitag, man habe Hinweise auf Bombenpakete und lieferte auch die Sendungsnummer der beiden Pakete.

Als diese Information in Deutschland gegen 3 Uhr morgens am 29. Oktober einging, war das Paket jedoch bereits umgeladen. Bei der nächsten UPS-Verladestation in England wurde es entdeckt und unschädlich gemacht.

Ein Werk von Profis

Nach neuesten Erkenntnissen der britischen Polizei sollte die Bombe offenbar während des Transports über dem Festland der USA explodieren. Demnach war der Zünder so eingestellt, dass der Sprengsatz über den USA oder Kanada detoniert wäre.

Nach Einschätzung deutscher Ermittler, die auch ein Team nach England entsandt haben, hätte die Bombe eine gewaltige Explosion ausgelöst. Die Sprengvorrichtung, da sind sich die Experten sicher, ist ein Werk von Profis: Demnach hätten selbst Experten des BKA, die nach dem Bombenfund Röntgenbilder der Bombe vorgelegt bekamen, den Sprengsatz nicht auf den ersten Blick erkennen können.

Was die britischen Ermittler sicherstellten, war eine trickreich aufgebaute Bombe: Die Terroristen füllten einen Teil einer Medizinspritze aus Plastik mit bis zu fünf Gramm Bleiazid auf, einer entzündbaren Masse, die auch in militärischen Sprengkapseln eingesetzt wird. Das Spritzenstück war eingebettet in weißes Pulver, 400 Gramm Nitropenta (PETN). In das Bleiazid eingetaucht war eine zerbrochene Leuchtdiode, daran angeschlossen Platine und Batterie eines Handys.

Die Zündung sollte laut einem Dossier des BKA erfolgen, wenn das angeschlossene Handy den vorher eingestellten Alarm auslöst. Die Diode würde dann erleuchten, sich erwärmen und das Bleiazid entflammen, das wiederum das Nitropenta zünden würde - eine potentiell tödliche Kettenreaktion.

Der Sprengstoff PETN, stellen britische Kriminaltechniker fest, sei "von äußerst hoher Konzentration". Die Herstellung im Jemen setze "eine Logistik voraus, über die nur staatliche Einrichtungen verfügen dürften", heißt es im Dossier der Ermittler.

Zöllner klagen über gravierende Kontrollmängel

Die Explosion, so jedenfalls der erste Befund der britischen Ermittler, wäre ein "supersonic blast" gewesen, der in jedem Fall die Bordwand durchschlagen und ein Flugzeug zum Absturz gebracht hätte. Auch wenn bei einem Anschlag auf einen Frachtjet nur wenige Menschen getötet worden wären, so eine Analyse, wäre die symbolische Wirkung immens gewesen.

Die nun aufgedeckte Panne in Deutschland verdeutlicht die bisher eher laxe Handhabe bei einem Bereich der Frachtkontrollen. So berichteten Zöllner auf dem Flughafen Köln/Bonn, dass die Identifizierungen von verdächtigen Paketen über die Frachtlisten in der Praxis oft ins Leere laufen. Demnach kommt es in mehr als einem Drittel der Fälle trotz eines Verdachts der Zöllner nicht zur Kontrolle. Diese Lieferungen, so berichtet ein Beamter resigniert, seien "schon wieder in der Luft", wenn die Beamten sie sehen wollten.

In Sicherheitskreisen hieß es, der Fall sei ein weiteres Beispiel für die undurchsichtigen Kontrollebenen für Luftfracht. Allerdings wiesen Experten auch darauf hin, dass der Sprengstoff aus dem Jemen so professionell versteckt war, dass ihn die Zöllner selbst bei einer Kontrolle durch Beamte vielleicht nicht entdeckt hätten. Trotzdem sei die Informationspanne nicht hinnehmbar, hieß es.

Ob die peinliche Panne Folgen haben wird, ist unklar. Der Paketdienst UPS teilte auf Anfrage mit, der Zoll habe das Paket erst am Nachmittag des 29. Oktober zum Sicherheitscheck angefordert, da aber sei es schon in England gewesen. Man überprüfe nun noch einmal die Vorgänge und wolle bis dahin keinen weiteren Kommentar abgeben.

Das Bundesfinanzministerium teilte indes mit, "eine vollständige körperliche Kontrolle des gesamten Warenverkehrs" sei aufgrund der schieren Menge "nicht möglich". Allerdings würde die "sogenannte Sicherheitsrisikoanalyse", durch die auch das Jemen-Paket auffällig wurde, "insbesondere hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Daten sowie der Analysemöglichkeiten umfassend erweitert".

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