Staatsbesuch aus der Ukraine Mordvorwurf gegen Kanzleramtsgast

Der Präsident der Ukraine muss sich in Berlin gegen Vorwürfe wehren, Auftraggeber der Ermordung eines unbequemen Journalisten zu sein.
Von Holger Kulick

Berlin - Diplomatie im Schnellverfahren winkt meistens Gästen, mit denen sich ein Gastgeber nicht so gerne schmückt. So geschehen heute Mittag im Kanzleramt, wo Gerhard Schröders Terminplan knapp 35 Minuten für Leonid Kutschma, den Staatsschef der Ukraine, ließ. Kutschmas Land klopft immer lauter an die Tür der EU, um dort langfristig Aufnahme zu finden. Und Gerhard Schröder soll der Türöffner sein. Doch Leonid Kutschma gilt nicht als glaubwürdiger Vertreter seines Landes. Sogar in den "Tagesthemen" forderte gestern Abend ARD-Moderator Ulrich Wickert den Kanzler auf, diesem Präsidenten "klare Worte" zu sagen, denn Kutschma "poliert Journalisten nicht nur die Fresse", wie Wickert den ukrainischen Präsidenten zitierte. Er steht auch im Verdacht, die Ermordung eines 31-jährigen Reporters in Auftrag gegeben zu haben.

Georgij Gongadse war am 16. September 2000 spurlos verschwunden. Zwei Monate später wurde seine geköpfte Leiche entdeckt. Ein früherer Leibwächter Kutschmas beschuldigte daraufhin seinen Präsidenten, mit der Tötung Gongadses in Verbindung zu stehen. Eine Tonbandaufzeichnung von einem Telefongespräch, die angeblich ein Gespräch Kutschmas mit seinem Innenminister wiedergibt, wurde gestern Journalisten in der ukrainischen Stadt Charkow vorgespielt. Demnach soll der Präsident gefordert haben, den unliebsamen Reporter aus dem Verkehr zu ziehen. Seit mehreren Tagen wurde wegen dieses "Gongadse-Gates" auch vor der deutschen Botschaft in der Ukraine protestiert und ein Bittbrief an Gerhard Schröder übergeben.

Kutschma spielte Unschuldsengel

Schröder, so verlautete aus Regierungskreisen, sprach Kutschma auch unverblümt darauf an. Dieser aber wies alle Verdächtigungen von sich und sagte - wie nicht anders zu erwarten - "eine eingehende Prüfung des Todes" zu. Schließlich sei er selbst "Garant der Menschenrechte in seinem Land". Zuvor hatte schon der außenpolitische Berater des Kanzlers, Michael Steiner, in Vorgesprächen auf völlige Aufklärung des Falls gedrängt, allerdings nicht mit viel Erfolg.

Nach dem Treffen im Kanzleramt kritisierte Kutschma Versuche in seinem Land, "dem Kriminalfall eine politische Färbung zu geben". Er sei mit dem bisherigen Ermittlungs-Ergebnis nicht zufrieden. Linke und Rechte würden die Sache benutzen, um ihn in Misskredit zu bringen. Ihr Ziel sei, die Reformen in der Ukraine zu stoppen und Unruhe unter der Bevölkerung zu verbreiten. Nachfragen von Journalisten wurden verwehrt, obwohl ursprünglich eine Pressekonferenz angekündigt war.

Zum Gutwettermachen: Bach

Stattdessen mühte sich Kutschma, etwas anderes zum Gesprächsthema in Deutschland zu machen. Er kündigte an, 5000 Dokumente aus dem Nachlass des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) an Deutschland zurückzugeben. Sie gehören zum Bestand der Sing-Akademie zu Berlin und waren 1943 zunächst in ein Schloss nahe Breslau ausgelagert worden. Dort erklärte sie die Rote Armee zur Beutekunst, dann verlor sich ihre Spur. Überraschend fand sich die verloren geglaubte Sammlung aber im Staatsarchiv von Kiew wieder. Aus dieser Sammlung überreichte Kutschma dem Kanzler als Mitbringsel und "Geste des guten Willens" eine Kantatenniederschrift. Schröder verkündete daraufhin, damit sei "ein Durchbruch" erzielt. Aber nur in dieser Frage.

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