
Berliner Stadtschloss: Wie bei Kaiser Wilhelm
Stadtschloss Berlin Millionenschwerer Fassadenschwindel
Berlin - Es wird wieder gebaut im Zentrum der Macht. Wo einst der Kaiser residierte und die DDR ihren Palast der Republik betrieb, sind nun acht Bagger bei der Arbeit. Sie heben Sand aus und bereiten das Gießen der Bodensohle vor.
An diesem Mittwoch wird der Grundstein gelegt für den Nachbau der letzten Hauptstadt-Residenz von Wilhelm II. 2018 soll der Bau fertiggestellt, ein Jahr später das Humboldtforum eröffnet werden. Dann können hinter den Barockfassaden die ethnologischen und außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einziehen. Auch die Landesbibliothek und die Humboldt-Universität werden sich im neuen Schloss präsentieren dürfen.
Die Spitzen von Staat und Gesellschaft jedoch halten sich zur Feierstunde zurück. Kanzlerin Angela Merkel will nicht erscheinen, Bundespräsident Joachim Gauck wird nur als stiller Gast erwartet, eine Rede halten möchte er nicht.
Politiker scheuen Spatenstiche und Richtfeste eher, seit öffentliche Großprojekte regelmäßig zu Kostenexplosionen führen. Auch beim Berliner Schlossbau stehen zur Grundsteinlegung schlechte Nachrichten an.
Spenden fließen spärlich
Die Schlossfreunde unter den Politikern beteuern zwar seit mehr als zehn Jahren, dass die für die barocke Fassade erforderlichen 80 Millionen Euro ausschließlich von privaten Spendern aufgebracht würden. Dieses Versprechen trug maßgeblich dazu bei, dass der Bundestag anstelle eines modernen Gebäudes die historisierende Variante beschloss.
Doch beim staatlichen Bauherren sind erst rund 10 Millionen Euro an Spenden eingegangen. In aller Stille hat der Haushaltsausschuss das Bundesbauministerium deswegen ermächtigt, das Finanzierungsloch notfalls mit Steuergeldern zu stopfen. Denn die ersten Aufträge für die Fassade müssen bald vergeben werden, ein weiteres Warten auf Spenden würde die Bauarbeiten dramatisch verzögern.
Interne Unterlagen deuten auf einen von langer Hand geplanten Fassadenschwindel hin. Bereits beim entscheidenden Beschluss des Haushaltsausschusses im Jahr 2011 erklärte sich die Bundesregierung bereit, notfalls einzuspringen, falls das Geld der privaten Spender nicht reicht. Die Pläne sollten jedoch unter der Decke bleiben - um potentielle Spender nicht abzuhalten.
Eine "von Anfang an durchschaubare Trickserei", nennt deshalb der Berliner Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland (Grüne) den Versuch, erst die Kritiker mit Spendenversprechen zu ködern und dann doch öffentliche Kassen anzuzapfen.
Das Engagement des Wolfgang Thierse
Im Juli 2002 hatte der Bundestag seine Entscheidung für einen Nachbau auch damit begründet, dass ein barockes Schloss eher "privates Kapital mobilisieren" würde als ein modernes Gebäude. In den Jahren danach wurde über die Idee des Stadtschlosses bis zur Erschöpfung gestritten. Immer wieder versuchten Gegner, das Projekt zu stoppen. Aber eine kleine Gruppe von unermüdlichen Befürwortern kämpfte dafür, dass die Pläne nie ganz aufgegeben wurden.
Wie kein anderer setzte sich der Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss, Wilhelm von Boddien, für den Neubau ein. Sein Pendant auf Seiten der Politik hieß in all den Jahren Wolfgang Thierse (SPD). Der langjährige Bundestagspräsident saß nicht nur in der Jury für den entscheidenden Architektenwettbewerb, er mischte auch im Vorfeld mit. Das zeigen bislang unbekannte Akten aus dem Bundesbauministerium, die der SPIEGEL dank des Informationsfreiheitsgesetzes jetzt einsehen konnte.
Im Oktober 2007 schrieb Thierse an den damaligen Bauminister Wolfgang Tiefensee (SPD), der Ausschreibungstext dürfe "keinerlei Zweifel" daran lassen, dass die historischen Fassaden und der alte Innenhof Bestandteil des neuen Schlosses würden. Das sei "Minimum", forderte Thierse ausdrücklich.
Die zunächst geplante Besetzung der Fachjury passte Thierse ebenso wenig. Er soll nach Angaben eines Beteiligten durchgesetzt haben, dass ein ihm suspekter Architekt ersetzt wurde. Thierse will sich nicht zu diesen Vorgängen äußern.
Den Wettbewerb gewann 2008 der bis dahin kaum bekannte Italiener Franco Stella, dessen Entwurf den Wünschen der Schlossfreunde entsprach: Alles sieht ungefähr so aus wie bei Kaiser Wilhelm, nur an der Ostseite wird eine moderne Fassade aufbetoniert.
80 Prozent des Spendensolls fehlen noch
2011 hatten Thierse und seine Freunde endgültig gewonnen. Der Haushaltsausschuss des Bundestags stellte insgesamt 590 Millionen Euro für die Rekonstruktion des Schlosses bereit. Der Bund zahlt 478 Millionen Euro, das Land Berlin bringt 32 Millionen ein. Der Rest, 80 Millionen für die Fassade, sollte aus Spenden kommen. Auch die Kuppel und die Innenportale für 28,5 Millionen Euro sollten privat finanziert werden.
Wilhelm von Boddien wirbt mit seinem Förderverein seit knapp zehn Jahren um Spenden. Stolz verkündet er, alles laufe "wie geschnitten Brot". Der Verein, sagt Boddien, habe rund 20 Millionen Euro an den Bund übergeben. "20 Prozent des Spendensolls ist schon erbracht", meldeten sein Verein und die vom Bund eingesetzte Stiftung Berliner Schloss - Humboldtforum, die als Bauherr fungiert, Anfang Juni.
Was die Schlossfreunde verschwiegen: Den Wert der Sachspenden - die angeblich die Hälfte der bislang aufgebrachten 20 Millionen Euro ausmachen - hat die Stiftung nach eigenen Angaben nie präzise ermittelt. Niemand weiß genau, wie viel zum Beispiel Pläne oder Fassadenelemente, die der Verein übergeben hat, tatsächlich wert sind.
Wie wollen die Spendensammler noch auf die 80 Millionen für die Fassade und weitere 28,5 Millionen für die Kuppel kommen? Und was geschieht, wenn das Spendenwunder ausbleibt?
Schweigen und bauen
Die Grünen-Abgeordnete Bettina Herlitzius stieß im Oktober vorigen Jahres in einem Bericht des Bauministeriums auf eine Passage, die sie stutzig machte: Für die Fassaden sei es bereits ab Mitte 2013 notwendig, erste Verpflichtungen einzugehen. Der Regierungsentwurf für den Haushaltsplan 2013 berücksichtige dies, heißt es im Papier des Ministeriums. Für Herlitzius war klar, was das bedeutet: "Der Bund übernimmt faktisch eine Bürgschaft für die Fassaden."
Bei der Sitzung des Bauausschusses hakte sie beim Geschäftsführer der Stiftung, Manfred Rettig, nach. Zwar betonte der Fachmann, dass die aktuellen Spenden ausreichten, um laufende Kosten zu begleichen. Doch schon jetzt sei ein "Verpflichtungsrahmen für den Bau der Fassade erforderlich". Es handle sich um eine "Vorfinanzierung aus dem Projekt heraus, die später eine finanzielle Abdeckung durch die Spenden erfahren werde".
Intern hat der Bund bereits im Oktober 2011 Zuschüsse aus dem Staatshaushalt angekündigt. In einem Bericht der Bundesregierung an den Haushaltsausschuss hieß es: "Um das Projekt nicht in einer bestimmten Phase stoppen zu müssen, wäre gegebenenfalls die Zusicherung erforderlicher Mittel aus öffentlichen Haushalten (...) unabwendbar."
Auch damals fragte Bettina Herlitzius im Bauausschuss nach. Doch der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke (FDP) warnte vor zu viel Transparenz: "Im gemeinsamen Haushaltsinteresse ist es besser, die Diskussion nicht in aller Öffentlichkeit und ganz breit zu führen." Ansonsten, so die Furcht der Regierung, könnten mögliche Spender abspringen.
Schweigen und bauen, lautet also die Devise. Die Grünen-Abgeordnete Herlitzius will das nicht länger hinnehmen. Die Architektin fordert einen Stopp für die Arbeiten an der barocken Fassade: "Geben wir einem neuen Gebäude auch eine neue Fassade."