
Zensus 2011: So läuft die Volksbefragung ab
Start der Befragung Volkszähler kämpfen gegen die Zensus-Angst
Hamburg - Der Startschuss für den Zensus 2011 ist gefallen, seit Montag läuft die erste große Volkszählung in Deutschland seit den achtziger Jahren. Mehr als 80.000 Interviewer schwärmen aus und klingeln an deutschen Haustüren. Die Aufgabe ist gewaltig: Insgesamt sind rund 26 Millionen Personen aufgefordert, Informationen preiszugeben. Gegner der Zählung fürchten jedoch den "Gläsernen Bundesbürger", dessen Datenbestand spielend leicht einsehbar wird - und der womöglich schon bald Besuch von Finanz- oder Sozialamt bekommen könnte. Wenn nämlich die erhobenen Daten an diese Behörden weitergereicht würden.
Solche Befürchtungen hält der Chef der von der Regierung eingesetzten Zensuskommission, Gert Wagner, für überzogen: "Das Statistische System ist von der Verwaltung abgeschottet. Um ein Bild aus der Computerwelt zu nehmen: Die Firewall ist extrem hoch."
Auch das Statistische Bundesamt bemüht sich, datenschutzrechtliche Bedenken zu zerstreuen. Kein Befragter müsse Nachteile durch den Zensus befürchten, wenn er zum Beispiel nicht korrekt an seinem Wohnort gemeldet sei, sagte Präsident Roderich Egeler am Montag in Berlin. Die Daten würden nicht weitergegeben - auch nicht an Finanzämter, Sozialämter, Einwohnermeldeämter oder Sicherheitsbehörden.
Zuletzt waren 1987 rund 600.000 Volkszähler ausgerückt, um Fragebögen an jeden Haushalt zu verteilen. Furcht vor einem Überwachungsstaat, Boykottaufrufe und massive Proteste waren damals die Folge. Wagner erwartet, dass die Interviewer diesmal kein Akzeptanzproblem haben werden. Anders als bei der umstrittenen Volkszählung der achtziger Jahre gingen die Befrager diesmal diskret vor. "Um es klar zu sagen: Niemand muss einen Interviewer in seine Wohnung lassen", so Wagner. Der ausgefüllte Fragebogen könne auch per Post an die Rücksendeadresse geschickt werden.
Teilnehmer unterliegen der Auskunftspflicht
Wie viele Personen leben in Ihrer Wohnung? In welcher Branche arbeiten Sie? Welchen Schulabschluss haben Sie? Solche und ähnliche Fragen erwarten die Teilnehmer der Befragung (siehe linke Spalte). Alle Angaben müssen sich auf den 9. Mai beziehen - er ist der Stichtag. Die Teilnahme ist Pflicht. Wer einen Fragebogen zugeschickt bekommt, diesen aber ignoriert und nicht zurückschickt, muss mit einem Bußgeld von 150 Euro oder darüber rechnen.
Worum geht es bei dem Zensus genau? Fast acht Millionen zufällig ausgewählte Menschen werden im Rahmen der Haushaltsbefragung zu Bildung, Erwerbstätigkeit oder Migrationshintergrund interviewt - das entspricht rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Zusätzlich sollen rund 17,5 Millionen Eigentümer von Häusern und Wohnungen Auskunft über ihr Eigentum geben.
Wesentliches Ziel der Volkszählung ist es, die exakten Einwohnerzahlen für Deutschland, die Bundesländer und die Kommunen festzustellen. Diese Bevölkerungsdaten sollen die Basis für Regelungen wie den Länderfinanzausgleich, die Einteilung der Bundestagswahlkreise, die Stimmenverteilung der Bundesländer im Bundesrat oder die Sitze Deutschlands im Europaparlament liefern.
Werden Fehler entdeckt, dürfen sie nicht zurückgemeldet werden
Neben der Datensammlung an der Haustür und per Brief werden bestimmte Daten aller Bürger aus den Melderegistern der Kommunen und dem Register der Bundesagentur für Arbeit zusammengetragen. Nach Ansicht von Kritikern liegt darin der heikelste Punkt des Zensus. Doch Volkszähler Wagner beschwichtigt: "Es werden nur Kopien der Melderegister an das Statistische Bundesamt beziehungsweise an die Statistischen Landesämter übermittelt - mit einem Rückspielverbot." Im Klartext: Wenn Fehler entdeckt werden, dürfen sie nicht zurückgemeldet werden.
Kritiker trauen dem Staat jedoch nicht über den Weg. Aktivisten des Chaos Computer Club (CCC) befürchten, dass "die umfassendste Bevölkerungskartei in der Geschichte Deutschlands" entsteht. Sie verweisen darauf, dass es den Statistikämtern im Zensus-Gesetz ausdrücklich erlaubt wird, "für jede Anschrift, jedes Gebäude, jede Wohnung, jeden Haushalt und jede Person" eine Ordnungsnummer zu vergeben und diese bei der Zusammenführung der Datensätze zu nutzen.
Volkszähler nennen Skandinavien als Vorbild
Wagner hält die Furcht vor dem Überwachungsstaat für unbegründet. Er verweist darauf, dass der registergestützte Zensus in Skandinavien die Regel ist. "Dort gibt es nicht die Ängste wie in Deutschland, dass über eine Registerzusammenführung der Staat zu viel über den Einzelnen weiß."
Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert hält die Volkszählung für nicht notwendig. Es lägen genügend auswertbare Informationen in den verschiedenen Behörden vor, sagte Weichert am Montag auf NDR Info. Als Beispiele nannte er Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit und Melderegister. Er zeigte Verständnis für die Bedenken in der Bevölkerung. Jedoch hätten Datenschutzexperten mit den Statistikämtern und Erhebungsstellen zusammengearbeitet, um Missbrauch vorzubeugen.
Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar, hatte sich im Vorfeld skeptisch geäußert, ob sich der hohe Aufwand letztendlich rechne. Auch lehne er ab, dass neben Alter, Familienstand und Beruf, auch Weltanschauung und Religionszugehörigkeit abgefragt würden.
Die derzeitigen Zahlen basieren auf der letzten Volkszählung in den alten Bundesländern im Jahr 1987 sowie der Volkszählung in der damaligen DDR im Jahr 1981. Diese Daten reichen nach Überzeugung der Statistiker als Grundlage nicht mehr aus. Die Kosten des Zensus werden mit 710 Millionen Euro beziffert, erste Ergebnisse sollen Ende 2012 vorliegen.