Stasi-Akten Birthler-Behörde gerät immer stärker unter Druck

Die Kritik an der Birthler-Behörde wird immer lauter. Nach der Veröffentlichung eines Dokuments zum Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze fordern Historiker die Auflösung der Behörde und die Übergabe der Stasi-Akten an das Bundesarchiv.

Berlin - "Wenn die Stasi-Akten bereits in das Bundesarchiv überführt worden wären, wäre so etwas wohl nicht passiert", sagte der Leiter der Forschungsgruppe SED-Staat an der Freien Universität Berlin, Klaus Schroeder, der "Märkischen Oderzeitung". Er spielte damit auf das nun als Neuigkeit vorgestellte Dokument zum Schießbefehl an, dessen Inhalt aber bereits 1997 veröffentlicht worden war. In die Arbeit der Behörde werde viel öffentliches Geld gesteckt, es komme aber "kümmerlich wenig dabei heraus", sagte Schroeder.

Die Stasi-Akten müssten für die Forschung frei zugänglich sein, so Schroeder in der "Frankfurter Rundschau". "Dass Frau Birthler jetzt, wo es um die Existenz der Behörde geht, diesen angeblich neuen Fund präsentiert, um die Kompetenz der Behörde zu belegen, ist verständlich, ging aber nach hinten los, weil nicht einmal die Arbeit der eigenen Forscher bekannt ist." Behördenchefin Marianne Birthler hatte eingeräumt, dass ihr die frühere Veröffentlichung zunächst nicht bewusst war, gleichzeitig aber die Präsentation eines ähnlichen Dokuments zum Jahrestag des Mauerbaus verteidigt.

Der stellvertretende Vorsitzende der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Bernd Faulenbach, sprach sich ebenfalls für eine Umlagerung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv "in einer überschaubaren Zeitspanne" aus. "Die SED-Diktatur lässt sich nicht allein aus Stasi-Akten heraus erklären, dafür braucht man einen breiteren wissenschaftlichen Ansatz", sagte Faulenbach der "Berliner Zeitung". Der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, betonte jedoch in der "Passauer Neuen Presse", er halte das Versäumnis von Birthler für "ein Kommunikationsproblem, das nicht überbewertet werden sollte". Gleichwohl votierte auch er für eine Umschichtung der Akten.

Der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Michael Beleites, bewertete den Fehler der Birthler-Behörde bei der Einschätzung eines Stasi-Schießbefehls als Beleg für Versäumnisse bei der Erschließung des Stasi-Aktenbestandes. "Wenn man ein solches Grundsatzdokument schon einmal gefunden hat, dann muss gesichert sein, dass es jederzeit wieder auffindbar ist, um es mit neuen Aktenfunden zu vergleichen", sagte Beleites der "Berliner Zeitung". Weil das in der Birthler-Behörde offenbar nicht klappe, sei eine engere Kooperation mit dem Bundesarchiv und anderen staatlichen Archiven bei der Aktenerschließung notwendig.

Beleites befürwortete eine Übergabe der Stasi-Akten an das Bundesarchiv und die Landesarchive in naher Zukunft. "Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, also etwa die Bearbeitung persönlicher Akteneinsichtsanträge gewährleistet ist und das Bundesarchivgesetz so verändert wurde, dass es den besonderen Charakter der Stasi-Akten berücksichtigt, dann muss man nicht mehr ewig warten", sagte Beleites.

Der Finder des Aktenstücks verteidigte dessen Bedeutsamkeit. "Das Dokument ist keine alte Kamelle", sagte der Leiter der Magdeburger Außenstelle der Stasi-Unterlagen-Behörde, Jörg Stoye, der "Magdeburger Volksstimme". Das in Magdeburg gefundene Dokument forderte Mitglieder einer an der Grenze eingesetzten Stasi-Spezialtruppe dazu auf, bei Fluchtversuchen auch auf Frauen und Kinder zu schießen. Eine wortgleiche Formulierung ist seit 1997 in einem Dokumentationsband zur DDR-Geschichte zu lesen, der jedoch wenig Aufmerksamkeit auf sich zog.

Nach der Erstveröffentlichung 1997 habe es keine öffentliche Diskussion und Wertung gegeben, so Stoye. Das müsse nun nachgeholt werden und sei man den Opfern schuldig. Das 1997 veröffentlichte Dokument war jedoch unter "Fahnenflucht" statt "Schießbefehl" kategorisiert und der breiten Öffentlichkeit unbekannt geblieben.

Die Zeitung schreibt weiter, sie habe vor einigen Monaten eine Recherche in Stasi-Unterlagen bei der Magdeburger Außenstelle beantragt. Dabei sei Stoye auf das Aktenstück gestoßen und habe im Juni auch seine Berliner Pressestelle über den Fund informiert.

Die Berliner Staatsanwaltschaft will den Fund nun prüfen.

asc/dpa/ddp

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