Steinbrück an der Uni Professor Peer

Erst Gastprof, später Kanzlerkandidat? An der Uni Duisburg erklärt der Ex-Minister Peer Steinbrück die Finanzkrise und genießt die Zuneigung seiner Zuhörer. Doch der SPD-Mann muss sich bald entscheiden: Will er Angela Merkel beerben?
Vorlesung bei Politiker Steinbrück: Herablassend-knarzige Helmut-Schmidt-Masche

Vorlesung bei Politiker Steinbrück: Herablassend-knarzige Helmut-Schmidt-Masche

Foto: SPIEGEL ONLINE

Zu Beginn, zur Auflockerung ein Witz. Peer Steinbrück erzählt: Es habe einmal einen Politiker gegeben, der wie er nun 60 Minuten reden sollte. Der Kollege habe aber erst 70, dann 80 Minuten gesprochen und das Mikrofon gar nicht mehr hergegeben. Schließlich sei das Publikum bis auf einen einzigen Zuhörer geflüchtet. Der Politiker habe den Mann gefragt: "Was machen Sie noch hier?" Und der habe geantwortet: "Ich soll nach Ihnen sprechen."

Gelächter, Gejohle, Applaus.

Am Ende seiner Antrittsvorlesung als Gastprofessor der Universität Duisburg-Essen wird der Bundesfinanzminister und Ministerpräsident a. D. Peer Steinbrück ebenfalls 20 Minuten überzogen haben - und nicht selten in einem herablassend-knarzigen Ton über die Politik hergezogen sein. So als gehöre er als einfacher Abgeordneter in Berlin nicht mehr dazu, als stehe er inzwischen über den Dingen und könne Tacheles reden: Es ist diese Helmut-Schmidt-Masche, die bei seinen Zuhörern verfängt und allenthalben anerkennendes Nicken auslöst.

"Wenn Sie den Politikern glauben, die Ihnen Entlastungen versprechen, sind Sie selber Schuld", tönt Steinbrück. "Ich werde Ihnen nie versprechen, dass ich die Steuern senken werde!"

Karohemden und freche Kurzhaarschnitte

Kerzengerade, selbstsicher und offenbar frei von jeglichen Zweifeln gibt Steinbrück vor seinen Fans den Aufrechten, der die Mechanismen der Finanz- und Wirtschaftskrise durchdrungen und selbst auf die komplexesten Fragen Antworten hat. Er spricht lässig von Basel III, von Eigenkapitalausstattung und Kreditausfallversicherungen. Die Beispiele aber, die er dazu konstruiert, versteht jeder Kleinsparer: "Wenn ich mir von Professor Korte 10.000 Euro leihen möchte…"

Seine Fans, die sich an diesem Dienstagnachmittag zu Hunderten in dem stickigen Hörsaal drängen, sind zu einem Großteil Menschen zwischen 50 und 70. Die Männer tragen Karohemden, die Frauen freche Kurzhaarschnitte. Es ist die Elite der alten Bundesrepublik, die goldene Generation, im Wirtschaftswunderland zu Wohlstand gekommen, ihren gesellschaftlichen Idealen von damals etwas entfremdet. In Steinbrück sehen sie einen Verbündeten, einen Quasi-Politpensionär, der nicht mehr herumeiern muss, sondern deutliche Worte findet. Glaubwürdig nennen sie ihn.

Doch das Problem ist: So ganz scheint sich Steinbrück mit seiner neuen Rolle als allseits beliebter Altersweiser noch nicht abgefunden zu haben. Immer wieder rutschen ihm Anspielungen auf seine frühere oder eine künftige Bedeutung heraus. So sagt er etwa auf die Frage nach einer staatlichen Rating-Agentur, dass die Märkte eine solche Institution nicht akzeptieren würden. "Die hätten den Eindruck, da fingert der Steinbrück rein." Und schnell schiebt er nach: "Oder wer auch immer."

Die K-Frage schwebt im Hörsaal

Überhaupt schwebt über der ersten Vorlesung von Professor Peer die hartnäckige Frage, ob Steinbrück bei der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat der SPD antreten wird. Deren Chef Sigmar Gabriel hat vor Wochen in einem Interview gesagt, er traue Steinbrück "jedes politische Amt in Deutschland" zu - und bald legte der derart Geadelte selbst nach: "Der Zeitpunkt wird kommen, wo ich mich in Absprache mit zwei oder drei Führungspersönlichkeiten der SPD darüber zusammensetze."

Die Betonung lag auf "ich" und "mich".

Jetzt stolpert am Nachmittag in Duisburg die Crew eines privaten Fernsehsenders durch den Hörsaal und fragt jeden, der nicht schnell genug das Weite gesucht hat, ob er Steinbrück wählen würde. Und ob der denn Kanzler könne. "Er ist ja in den letzten Jahren so ein bisschen aus der Politik verschwunden", schwurbelt der TV-Reporter herum. Schließlich wagt ein anderer Redakteur den Frontalangriff und fragt Steinbrück, "auch im Interesse der versammelten Journalistenkollegen", ob er denn überhaupt Kanzler werden wolle.

Steinbrück sagt: "Ich habe diese Frage jetzt akustisch nicht verstanden." Wieder Gelächter.

Das Dilemma, in dem der SPD-Mann gerade steckt, hat der SPIEGEL kürzlich beschrieben: Der gebürtige Hamburger ist ein Mann ohne Korsett, er ist niemandem verpflichtet außer sich selbst. Er kann gegen Benimmregeln und Sprachregelungen verstoßen, ohne dass es allzu schwerwiegende Folgen hätte. Und er verstößt gerne dagegen - was wohl seine plötzliche Popularität erklärt.

Doch würde er tatsächlich zum Kanzlerkandidaten seiner Partei gekürt, müsste er sich vieles verkneifen, wofür ihn die Leute jetzt verehren, das Anarchische, den unkorrekten Spontanausfall. Er hätte sich die Zwangsjacke des Spitzenkandidaten überzustreifen, in der er vor Jahren schon die nordrhein-westfälische Landtagswahl gegen Jürgen Rüttgers verlor.

"Lassen Sie sich da von der Politik bloß nicht hinters Licht führen!"

Oder er gibt dauerhaft den Guttenberg der SPD, inszeniert sich als eine Art Überpolitiker, der sich nicht im täglichen Kleinklein verlieren muss. Aber kann ein Peer Steinbrück auf diese Weise Kanzler werden?

Zur Griechenland-Krise, dem derzeit sensibelsten fiskalpolitischen Thema Europas, sagt der Gastprofessor in Duisburg jedenfalls vieles, aber ein Satz ist ihm wohl besonders wichtig: "Es wird etwas kosten." Und als sei das angesichts der Milliarden-Rettungsschirme noch nicht provokant genug, setzt der Klartexter Steinbrück noch nach: "Lassen Sie sich da von der Politik bloß nicht hinters Licht führen!"

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