Steinbrücks Schach-Partie Die Wahrheit liegt auf dem Brett

Peer Steinbrück spielt ganz vorne mit – in der Politik als Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident. Und beim Schachspiel gegen den amtierenden Weltmeister Wladimir Kramnik in Bonn. Doch den SPD-Mann ereilte am Schachbrett ein ähnliches Schicksal wie seine Partei in aktuellen Umfragen. Lange mithalten, dann untergehen.

Es sind die Füße, die seine Anspannung verraten. Peer Steinbrück zieht die Zehen ein und streckt sie wieder nach vorn, dabei wölbt sich das Leder seiner schwarzen Schuhe und wirft anschließend kleine Falten. Er macht das mechanisch, wie im Takt. Seine Miene ist wie eingefroren. Steinbrück schaut nur auf das Brett, das vor ihm auf dem Tisch mit dem grünen Bezug steht. Dieses Brett mit 64 Feldern in Schwarz und Weiß und Figuren darauf.

Die 15-Minuten-Prognose

Bloß keinen dummen Fehler machen, hat er sich vorher gedacht, so einen Schnitzer, "über den dann alle lachen". Es lacht niemand im Foyer der Bonner Kunsthalle. Rund 80 Zuschauer haben auf den roten Lederklappsitzen Platz genommen, um zu sehen wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Schach spielt gegen den russischen Weltmeister Wladimir Kramnik. Die meisten Besucher sind an diesem Samstagvormittag wegen einer Ausstellung in die Kunsthalle gekommen: "Tutanchamun - das goldene Jenseits", vor den Kassen ist dichtes Gewühl, aber manche steuern auch direkt in das Foyer zur Partie Ministerpräsident gegen Schachweltmeister.

"15 Minuten." Das ist die Prognose von Timur Schmidt, mehr Zeit gibt er Steinbrück nicht. Die Niederlage ist für ihn eine klare Sache. Timurs Vater lächelt. Timur ist neun Jahre alt, seine blonden Haare laufen in der Kopfmitte spitz zusammen, wie man das vom Fußballer David Beckham kennt. Aber mit Fußball hat Timur nicht viel im Sinn. Lieber Schach, "seit er vier Jahre ist, sein Onkel war mal Schachmeister von Kasachstan", sagt sein Vater. Timur hat sein Brett samt Figuren mitgebracht, für den Fall, dass Kramnik später noch etwas Zeit hat.

e2e4, e7e5, g1f3, f1b5, in rascher Abfolge machen Steinbrück und Kramnik ihre ersten Züge, besonders Steinbrück, der die Partie mit Weiß eröffnet. Bei seinem ersten Zug ist die Uhr noch gar nicht eingestellt, die für beide von dreißig Minuten und fünf Sekunden herunterzählt. Also noch einmal von vorn: e2e4.

Eine gute Partie, auch politisch

Kramniks Partien hat Steinbrück schon oft nachgespielt. Er ist passionierter Schachspieler, zwei Computer, das wird er später sagen, hat er dafür zu Hause und ein kleines Magnetspiel, das er auf Reisen mit sich führt. Im vergangenen Jahr war er Schirmherr einer Simultanschachveranstaltung mit Kramnik, und schon länger hatte er Lust, gegen den Weltmeister zu spielen. Schach sei Entspannung, sagt er, man könne darin versinken. Und Parallelen zur Politik? "Beim Schach überlegt man länger", sagt er nach der Begegnung in die Mikrofone.

Dieser Tag ist wahrscheinlich nicht der schlechteste Termin für diese Begegnung: Ein paar Kilometer weiter im Norden, in Bochum, schwört sich die NRW-CDU auf ihrem Landesparteitag zum Machtwechsel in Düsseldorf ein, am 22. Mai wird gewählt. Das Medieninteresse gilt deshalb vor allem dem CDU-Spitzenkandidaten Jürgen Rüttgers. Aber auch in Bonn bei Steinbrück ist das Fernsehen dabei, das ZDF filmt den Minsterpräsidenten am Schachbrett. Der Ministerpräsident als Stratege, der Zug für Zug überlegt, abwägt und im richtigen Moment in die Offensive geht: Solche Bilder kann Steinbrück gebrauchen, gerade jetzt, da sich die Umfragen wieder deutlich gegen ihn und Rot-Grün wenden. Acht Prozentpunkte liegt die SPD hinter der CDU.

d5e4, Kramnik schlägt einen Bauern von Steinbrück und bedroht dessen Pferd auf f3. Es ist der 18. Zug des Weltmeisters und allmählich schmilzt Steinbrücks Zeitvorsprung. Bis zu vier Minuten weniger Bedenkzeit hatte er zwischendurch, jetzt tickt vor allem seine Uhr. Er kräuselt die Stirn, setzt für einen Moment die Brille ab und schlägt den Bauern mit d3e4.

Steinbrück gerät jetzt zunehmend in die Defensive. Er hätte manchmal die Gelegenheit gehabt, Kramnik stärker "zu binden", sagt er später, aber damit ist es bald vorbei. d8d1, Kramnik schlägt einen Turm, Steinbrück antwortet mit seinem zweiten Turm von e1 auf d1.

Die Verluste halten sich noch die Waage: Zwei Läufer und ein Turm bei Steinbrück, ein Turm und zwei Springer bei Kramnik. Der 29-jährige Schachweltmeister ist konzentriert. Den Kopf hat er in die linke Hand gestützt, manchmal löst er seinen Blick von dem Brett und wendet ihn ins Publikum, aber er fixiert niemanden. Denken, ziehen, Uhr drücken. Kramnik schlägt Steinbrücks Dame, Steinbrück wiederum mit einem Turm die von Kramnik. Jeder hat jetzt 31-mal gezogen.

Am Zug oder schon am Ende?

Es ist jetzt nicht mehr lang hin bis zu einer Schlüsselszene, wie Steinbrück es später nennen wird. Sein Springer auf h6 wird von Kramniks König bedroht, Steinbrücks Uhr ist auf drei Minuten herunter gelaufen. Er hat nicht mehr viel Zeit, der Gegner macht Druck und er selbst einen Fehler: Steinbrück zieht seinen Turm von a6 auf a7, um Kramniks Läufer auf e7 zu bedrohen. Der ist aber durch einen Turm gedeckt. Mit seinem König schlägt der Weltmeister Steinbrücks Springer. Kramnik ist jetzt klar im Vorteil.

Vielleicht ist dies der Moment, der Steinbrück am meisten an seinen Wahlkampf erinnert, nur dass es dort nicht um die Position des Königs, sondern um seine als Ministerpräsident geht: Die Macht an Rhein und Ruhr steht auf dem Spiel, es geht um die Regierung, um die inzwischen 39 Jahre währende Regentschaft der SPD. Herzkammer der Partei nennen sie dieses Land.

Steinbrücks Füße sind ganz ruhig geworden. Er greift zu seinem König, nimmt ihn vom Feld und gibt sich geschlagen. Nach rund 52 Minuten. Er lacht dabei, weil er weiß, dass er lange Zeit gut mitgehalten hat. "I really had to fight", sagt Kramnik im anschließenden Gespräch anerkennend vor den Zuschauern. Wenig später signiert Kramnik Autogrammkarten, Steinbrück gibt Interviews. Die Umfragen zur Landtagswahl seien nur "Wasserstände", das Rennen bleibe offen. Ob er eine Revanche von Kramnik fordern werde, will einer wissen. "Nein", sagt Steinbrück, er wolle "Herrn Kramnik nicht ungebührlich in Anspruch nehmen".

Der Kampf in der Bonner Kunsthalle ist vorbei. Der um die Wähler Nordrhein-Westfalens geht weiter. "Den gebe ich nicht auf, der ist erst am 22. Mai zu Ende", sagt der Ministerpräsident. Derzeit sieht es aber so aus, als hätte er in dieser Partie nur die schwarzen Figuren in der Hand.

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