Steinmeier in Cuxhaven Streicheleinheiten vom Kanzlerkandidaten
Cuxhaven - Jetzt könnten sie doch schon mal ein bisschen rocken. Der Song, den die zehnköpfige Schülerkappelle vorne auf der Bühne der Kugelbake-Halle in Cuxhaven zum Besten gibt, ist ein echter Klassiker: "Sweet Home Alabama". Aber das Publikum, rund 1500 Genossen, ist so regungslos, als lausche es gerade den Cellosonaten von Johannes Brahms. Mag sein, dass es am nordischen Gemüt liegt. Oder daran, dass man hier lange suchen muss, um jemanden zu finden, der jünger ist als 65. Jedenfalls lässt sich schnell feststellen, dass der Politische Aschermittwoch nicht in Cuxhaven erfunden worden ist. In Wallung kommt hier niemand. Nicht mal Alkohol wird ausgeschenkt.

Steinmeier in Cuxhaven: Der Kanzlerkandidat schaut kurz zum Streicheln vorbei
Foto: APDas ist, es mag verwundern, für Frank-Walter Steinmeier ein ziemlich perfektes Ambiente. Der Kanzlerkandidat ist Hauptredner beim Politischen Aschermittwoch der Niedersachsen-SPD in Cuxhaven, und Bierzelte waren noch nie seine Sache. Schon gar nicht in einem Krisenjahr wie diesem. Mit "Mätzchen", wie er die Faschingssprüche nennt, ließen sich keine Wahlen gewinnen. Und so gerät sein 50-minütiger Auftritt zu einem grundsoliden Referat - bei Kaffee und Kuchen.
50 Minuten sind lang, aber Steinmeier ist kein Kurt Beck. Er hat eine klar umrissene Struktur: Es geht um Wirtschaft, Arbeitsplätze, Bildung und die eigene Partei. Er kritisiert die "Selbstbedienung" von Managern, warnt vor einem Demokratieverdruss, lobt das jüngst beschlossene Konjunkturpaket. Steinmeier zählt die Inhalte auf: Abwrackprämie, die neuen Regeln zur Kurzarbeit und die Investitionen in Schulen und Universitäten - "das waren unsere Ideen", ruft er den Genossen zu. Artiger Applaus.
Die Botschaft des Kanzlerkandidaten ist klar: Habt Selbstvertrauen - trotz Krise! Und er weiß schon, wem er das sagt. Sie sehnen sich nach ein paar netten Worten, die niedersächsischen Genossen. Seit Wolfgang Jüttner vor etwas über einem Jahr das schlechteste SPD-Ergebnis der Nachkriegszeit einfuhr, ist die Partei überwiegend damit beschäftigt, sich selbst zu zerlegen. Nicht ohne Schuld daran ist ausgerechnet Landeschef Garrelt Duin, der im letzten Jahr gleich zweimal mit voller Wucht gegen die Wand lief. Da war zum einen die von ihm provozierte Fehde mit der Landtagsabgeordneten Swantje Hartmann, einer medienaffinen Aufsteigerin. Sie solle Partner-Bahncards und Handys über die Partei abgerechnet haben, so der Vorwurf von Duin, dem Hartmann wiederum chaotische Kassenführung unterstellte. Am Ende erwies sich keine der Anschuldigungen als haltbar. Doch das beiderseitige Denunziantentum schockte und lähmte die Partei über Monate.
Und dann wollte Duin auch noch mit Traditionen brechen. Er schlug im letzten Jahr vor, die vier Partei-Bezirke des Landes aufzulösen und die Partei stärker zentralistisch von Hannover aus zu führen. Allerdings hatte er die Rechnung ohne Umweltminister Sigmar Gabriel gemacht, der einem der Bezirke vorsteht und nur ungern seine Macht teilen würde.
Da tut es gut, wenn der Kanzlerkandidat mal kurz zum Streicheln vorbei schaut. Steinmeier tut das, indem er historisch wird. Die Sozialdemokratie habe längst bewiesen, dass sie in Turbulenzen die einzige Partei "mit Kompass" sei. Das gelte für den Crash der New-Economy-Blase, die Zeit nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und die Entscheidung, 2003 nicht am Irak-Krieg teilzunehmen. "Das ist immer noch richtig", ruft Steinmeier. "Wo erneuert und gestaltet werden muss, da sind Sozialdemokraten zur Stelle!" Heftiger Applaus.
Dann ist doch noch der politische Gegner dran. Vor allem einer. Philipp Mißfelder. Der CDU-Bundestagsabgeordnete hatte vor ein paar Tagen die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze als einen "Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie" bezeichnet. Eine dankbare Vorlage. "Zyniker", zischt Steinmeier. Ob dieser "29-jährige Jüngling" denn wisse, wie viele Menschen auf zusätzliche Hartz-IV-Gelder angewiesen seien, weil ihr Lohn nicht vom Leben reiche? "Ich sage Euch: Er weiß es nicht, und er will es nicht wissen!" Da wackeln die Tassen.
Zum Abschluss gibt's einen Lacher. Der geht auf Kosten des neuen CSU-Wirtschaftsministers, Karl-Theodor zu Guttenberg - Steinmeier liest einfach dessen sämtliche Vornamen vor. Es sind 10, gefolgt von Freiherr. Politischer Aschermittwoch ist woanders.