Gastbeitrag von SPD-Fraktionschef Steinmeier "Die deutsche Außenpolitik ist der Syrien-Krise nicht gewachsen"

Wie geht es weiter in Syrien? In einem Gastbeitrag ruft SPD-Fraktionschef und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Kanzlerin zu einer eigenen Initiative auf - und zeigt sich besorgt über den Zustand der deutschen Außenpolitik.
Ex-Außenminister Steinmeier: "Die Gewaltspirale muss durchbrochen werden"

Ex-Außenminister Steinmeier: "Die Gewaltspirale muss durchbrochen werden"

Foto: Hannibal Hanschke/ dpa

Die Bilder der getöteten syrischen Kinder sind unerträglich. Für Politiker nicht weniger als für Fernsehzuschauer. Das endlose Morden, die Verzweiflung der Menschen, die Ausweglosigkeit der Flüchtlinge in Lagern - all das hinterlässt ohnmächtige Wut.

Der Giftgasangriff darf nicht folgenlos bleiben; die Weltgemeinschaft steht in der Verantwortung und darf nicht nur zusehen. Aber verantwortliche Außenpolitik muss mehr sein als Handeln um des Handelns willen. Und die Entlastung von öffentlichem Druck darf ebenso wenig Motiv für eine militärische Strafaktion sein wie die Verschaffung eines guten Gewissens. Die Millionen Syrer, die furchtbar unter dem Bürgerkrieg leiden, haben aber mehr und Besseres von uns verdient.

Syrien muss das Top-Thema des heute beginnenden G-20-Gipfels sein. Er bietet die letzte Chance, die Gewaltspirale zu durchbrechen und sich endlich wieder ernsthaft um eine echte, das heißt politische Lösung des Syrienkonflikts zu bemühen. Deutschland ist gefragt, um die beiden entscheidenden Player, die USA und Russland, an einen Tisch und damit auch den Weltsicherheitsrat wieder ins Spiel zu bringen. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel, ob eine deutsche Außenpolitik, die in Washington an Gewicht verloren hat und in Moskau kaum noch über funktionierende Gesprächskanäle verfügt, dieser Aufgabe gewachsen ist.

Die Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen Assad und sein Regime sind weit fortgeschritten. Der amerikanische Kongress wird Präsident Obama seine Unterstützung für einen begrenzten Einsatz wohl nicht versagen. Aber selbst dem eingefleischtesten Hardliner ist dabei nicht wohl in seiner Haut. Jeder weiß, dass die USA in einem schrecklichen Dilemma sind. Um seine Glaubwürdigkeit zu retten, tritt Präsident Obama die Flucht nach vorn an. Sein langes Zögern zeigt, wie genau er um dieses Dilemma weiß: Nichts spricht dafür, dass die geplante Bestrafungsaktion die Situation in Syrien zum Besseren verändern wird.

Morden würde trotz Angriffen weitergehen

Die International Crisis Group hat vor wenigen Tagen noch einmal die Argumente zusammengefasst, die es gegen die amerikanische Bestrafungsaktion gibt. Die militärischen Ziele eines Angriffs sind ebenso unklar wie die politischen. Es droht eine weitere Eskalation und Internationalisierung des Konflikts. Und dass Assad als Verlierer vom Platz geht, ist alles andere als klar. Überstehen er und sein Regime die Angriffe ohne größeren Schaden, ist er in den Augen vieler eher noch gestärkt.

Ganz entscheidend aber: Das hunderttausendfache Morden, die Vertreibung von Millionen von Menschen werden trotz der Angriffe ungehindert weitergehen. So richtig es ist, den verbrecherischen Einsatz von Giftgas gegen unschuldige Zivilisten und Kinder nicht schulterzuckend hinzunehmen, so unbefriedigend ist es, darauf nur mit Bomben und Marschflugkörpern zu antworten. Gerade wenn uns das Leiden der vielen unschuldigen Menschen zu Herzen geht, muss unsere Antwort eine andere sein. Nur mit einer ernsthaften Anstrengung zur politischen Beendigung des Konfliktes wird die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung gerecht.

Um es klar zu sagen: Nicht eine zweitägige Bombardierung ist gefährlich für Assad. Wirklich gefährlich ist eine Annäherung zwischen den USA und Russland und die Beendigung der Spaltung im Weltsicherheitsrat. Und dabei sind jetzt vor allem die beiden Großmächte USA und Russland gefragt.

Vor einem Jahr hat der amerikanische Senator Richard G. Lugar der russischen Regierung einen Vorschlag für eine russisch-amerikanische Initiative zur Sicherung und Vernichtung der syrischen Chemiewaffenbestände gemacht. Er hat richtig gesehen, dass hier ein Punkt ist, wo sich russisches und amerikanisches Interesse deckt. Diesen Gedanken nahm Peer Steinbrück auf, als er in der vergangenen Woche einen gemeinsamen Vorstoß des Weltsicherheitsrates zur Kontrolle der C-Waffen ins Spiel gebracht hat.

Merkel zielt nur auf innenpolitische Effekte

Trotz aller Gegensätze, die es in der Beurteilung des Syrien-Konfliktes durch die USA und Russland geben mag - keines dieser Länder und niemand sonst auf der Welt hat ein Interesse daran, dass die Hemmschwelle zum Einsatz chemischer Waffen weiter sinkt. Und ebenso furchtbar ist die Vorstellung, dass die Terroristen von morgen mit Senfgas und Sarin aus syrischen Beständen ausgerüstet sind.

Der Schlüssel zu einer einheitlichen Haltung der Staatengemeinschaft liegt in Moskau. Bisher hat Präsident Putin ein gemeinsames Vorgehen der internationalen Gemeinschaft blockiert. Und an dieser Stelle kommt Deutschland ins Spiel.

Seit den Zeiten der Entspannungspolitik fällt Deutschland die Rolle zu, auch in schwierigen Zeiten Gesprächskanäle mit Russland offen zu halten und allen Gegensätzen zum Trotz nach Feldern gemeinsamen Interesses zu suchen. Leider gibt es diese belastbaren Kanäle zwischen Berlin und Moskau nicht mehr. Das hat mit einer Verhärtung der russischen Haltung zu tun. Manchmal hat man den Eindruck, Präsident Putin mache sich geradezu einen Spaß daraus, den Westen zu provozieren, wo er nur kann. Das ist aber auch Folge der kurzsichtigen, nur auf innenpolitische Effekte zielenden deutschen Außenpolitik von Frau Merkel, der jeder gestalterische Ehrgeiz fehlt.

Statt weiter tatenlos an der Seitenlinie zu stehen, wäre es dringend notwendig, dass Frau Merkel den Gipfel in St. Petersburg nutzt und die Initiative zu einer politischen Lösung ergreift. Dazu gehört nach einer schnellen und umfassenden Untersuchung des Giftgasangriffs vom 21. August die klare Aufforderung des Weltsicherheitsrates an Syrien, das Chemiewaffenübereinkommen umgehend zu ratifizieren und seine Bestände einer internationalen Aufsicht und Kontrolle zu unterstellen. Zudem braucht es, ganz entscheidend, eine weitere Syrien-Konferenz zur politischen Konfliktlösung, an der nicht nur die wichtigsten innersyrischen Konfliktparteien, sondern auch die regionalen Akteure unter Einschluss des Iran zu beteiligen sind.

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