Bundestag Abgeordnete werden in Sterbehilfe-Debatte persönlich

Bundestag: Abgeordnete werden in Sterbehilfe-Debatte persönlich
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaBerlin - Der Bundestag hat am Donnerstag ungewohnt ausführlich über die Sterbehilfe beraten. Mehr als vier Stunden lang sprachen Abgeordnete über den assistierten Suizid und die Betreuung Sterbender. Fast 50 Redner kamen zu Wort, einige brachten persönliche Erfahrungen mit sterbenden Verwandten oder Freunden ein. Auf Zwischenrufe aus dem Plenum wurde verzichtet.
Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte zur Begrüßung, die angestrebte Reform der Sterbehilfe in Deutschland sei der "vielleicht anspruchsvollste Gesetzgebungsprozess dieser Legislaturperiode". Die Frage, ob und wie man Sterbebegleitung und Sterbehilfe neu regeln muss, soll im kommenden Jahr entschieden werden (einen Überblick der politischen Positionen finden Sie hier).
Die Differenzen gehen quer durch alle Fraktionen, das wurde im Bundestag deutlich. Weitgehend einig war man sich nur in einem Punkt: Die Palliativmedizin, also die leidlindernde Betreuung Sterbender, müsse verbessert werden.
"Die meisten Menschen haben keine Angst vor dem Tod"
Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) warnte vor einer "Verklärung der Selbsttötung". Er bekräftigte, dass er den ärztlich assistierten Suizid ablehne. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sprach von einer "Perversion der Idee" kommerzieller Sterbehilfevereine. "Die meisten Menschen haben keine Angst vor dem Tod, sondern vor dem Sterben", sagte Kauder. "Wir müssen alles dafür tun, dass beim Sterben niemand allein ist."
"Es gibt gute Gründe für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe", sagte auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. "Mir bereitet es großes Unbehagen, wenn sich Menschen in die Hände von Sterbehilfevereinen begeben. Ich empfinde das als trostlos und falsch, dieser Weg ist oft ein Hilferuf."
An einer gesetzlichen Regelung des ärztlich assistierten Suizids hege er aber Zweifel, räumte Oppermann ein. Gefragt sei auch die Ärzteschaft. "Ein Arzt, der hilft, darf nicht von der Ärztekammer belangt werden dürfen." Ärzten ist die Hilfe zur Selbsttötung in einigen Bundesländern untersagt, grundsätzlich agieren sie in dieser Frage in einer Grauzone.
"Kein Zwang zum Qualtod"
Bundestagsvize Peter Hintze (CDU) warb für eine zivilrechtliche Regelung, um Rechtssicherheit für Ärzte zu schaffen. Hintze drängt auf Erleichterungen für Sterbende. Es sei mit der Menschenwürde nicht vereinbar, "wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod" werde. Ein Arzt müsse beim friedlichen Einschlafen helfen dürfen. "Das will auch die große Mehrheit der Bevölkerung. Der Deutsche Bundestag sollte dieser Mehrheit eine Stimme geben." Staatliche Bevormundung sei hier fehl am Platz.
Hintze zählt zu einer Gruppe von Koalitionsabgeordneten, unter anderem mit den SPD-Abgeordneten Carola Reimann und Karl Lauterbach, die wollen, dass der Arzt des Vertrauens dem leidenden Sterbenden auf Wunsch ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen kann. Mehr über Hintzes Haltung lesen Sie im aktuellen SPIEGEL.
Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast sprach sich gegen ein Verbot von Sterbehilfevereinen aus. Es gebe keine Zahlen, die belegten, dass die Vereine die Suizidrate erhöhten. "Haben wir doch Erbarmen und lassen zu, dass die Menschen ihrer Überzeugung entsprechend leben, aber ihrem Leben auch selbstbestimmt eine Ende setzen dürfen", sagte Künast. Eine ähnliche Meinung vertrat die Linken-Politikerin Petra Sitte. "Ohnmacht und Hilflosigkeit soll niemand erleben müssen", sagte sie.
"Ich stand auch am Sterbebett"
Mehrere Abgeordnete brachten persönliche Erfahrungen mit Sterbenden in die Debatte ein. "Krankheit und Tod waren zu Hause immer mit am Tisch", sagte der CDU-Abgeordnete Michael Brand. Der Grünen-Abgeordneten Lisa Paus kamen am Rednerpult die Tränen, als sie über das Sterben einer ihr nahestehenden Person erzählte.
"Mich stört die Romantisierung der aktiven Sterbehilfe", sagte die 27-jährige CSU-Abgeordnete Emmi Zeulner, deren Eltern verstorben sind. "Ich möchte nicht im Sterben liegen und vermuten müssen, dass der Arzt andere Absichten verfolgt als den Erhalt meines Lebens." Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: "Ich habe auch am Sterbebett gestanden."
Der Linken-Abgeordnete Matthias Birkwald erzählte über seinen Bruder, der an Krebs starb. Je besser Hospize würden, "desto weniger Menschen werden ihr Leben durch einen Suizid beenden wollen", sagte er. "Aber die Menschen, die es tun wollen, sollten es in freier Selbstbestimmung tun können. Auch in Deutschland, auch mit Hilfe. Es gibt keine Pflicht zum Leben."
Dem Bundestag liegen inzwischen Positionspapiere von fünf Parlamentariergruppen vor. In der zweiten Jahreshälfte 2015 will der Bundestag ein Gesetz verabschieden. Die Abgeordneten sollen dann über die Parteigrenzen hinaus nach ihrem Gewissen entscheiden.