
Die Lage: Superwahljahr 2021 Liefern Söder und Laschet jetzt Episode II ihres Machtkampfs?

Liebe Leserin, lieber Leser,
heute beschäftigen wir uns mit einem möglichen Steuerstreit zwischen CSU und CDU, dem Trend als neuem Freund von Olaf Scholz und natürlich: mit dem Urlaub.
Es urlaubt (ein bisschen)
Lesen Sie das hier am Strand? Sei Ihnen gegönnt. Ich bin gerade zurück, eben noch Kniepsand, jetzt märkischer Sand. Aber ach, an der Spree scheint auch meist die Sonne. (Grüße gehen raus nach Hamburg!) »Berlin streckte die Riesenarme und langte über die See«, schrieb Kurt Tucholsky melancholisch über den Rückweg aus dem Schwedenurlaub. Als Wählerin oder Wähler können wir uns alle vor der Bundestagswahl (26. September) und der vierten Coronawelle (zum Schulbeginn) noch mal schön entspannen.
Was aber ist mit der Kanzlerkandidatin und ihren beiden Kontrahenten? Dürfen die auch? Armin Laschet urlaubt in diesem Sommer wie die vier Jahrzehnte zuvor am Bodensee. Keine Experimente, das Wolfgangseesyndrom. Annalena Baerbock hat Anfang Juli nicht verraten, wohin es geht. Olaf Scholz setzt aufs Allgäu.

DER SPIEGEL
»Ich will in diesem Urlaub überhaupt nicht arbeiten, sondern ich möchte in die Bäume gucken und mich mal richtig ausruhn«, meinte Tucholsky. Baerbock, Laschet und Scholz können das vergessen. Laschet erklärte, er werde im Urlaub viel arbeiten, telefonieren und sei immer erreichbar, ansonsten lese er Krimis. Und Baerbock muss sich mit Plagiatsvorwürfen und allerlei Defensivaktivitäten plagen. Kein guter Zeitpunkt für einen Urlaub.
Warum lassen sie es dann nicht gleich? Ernsthaft. Wenn die Bundestagswahl eine so entscheidende Richtungswahl ist, wie jetzt immer alle sagen, warum dann elf Wochen vorher mehr oder weniger abtauchen? Erholung kann’s nicht sein, eher das Klischee vom auftankenden Spitzenpolitiker. Wer braucht schon Klischees?
Steuern runter! Steuern runter?
Der beliebteste Reigen im Wahlkampf ist der Steuerreigen. Weil man den Leuten da so schön suggerieren kann, wie materiell und konkret sie durch die Wahl von Partei X oder Y profitieren könnten. Ich meine natürlich den Steuer s e n k u n g s reigen.
Aufsehenerregend wird der Reigen allerdings, wenn er innerhalb einer Partei oder Parteienfamilie mit gegensätzlichen Zielen aufgeführt wird, also etwa zwischen CDU und CSU.
Noch aufsehenerregender schließlich, wenn er von den Parteispitzen und alten Rivalen gegeben wird, also zum Beispiel von Armin Laschet und Markus Söder.
Genau dieses Szenario deutet sich gerade an: Nach der Entscheidung in der Machtfrage um die Kanzlerkandidatur ist vor dem Steuerstreit.
Den Aufschlag machte Laschet im ARD-»Sommerinterview«. Anfangs noch blieb er linientreu, folgte der reinen Christenunionslehre: »Jetzt Steuern zu erhöhen, wäre genau das falsche Mittel.« Check. Aber dann dieser Satz: Die Grundbotschaft der Union sei, »keine Steuererleichterung im Moment – dazu haben wir nicht das Geld«.
Oha! Unionswahlkampf ohne Steuersenkungsgedöns, das ist wie Spaghetti Bolo ohne Bolo. Schließlich steht doch im Unionswahlprogramm, der Soli solle komplett abgeschafft und die Unternehmensteuern gesenkt werden. Hat Laschet Krimis gelesen statt Wahlprogramm?
Oder tut er das, was der gesunde Menschenverstand lehrt: Steuersenkungen passen einfach nicht zu den massiven Ausgaben und Hilfen, die die Coronakrise nötig gemacht hat und machen wird. Laschet sprach auch nicht prinzipiell, sondern nutzte diese Worte: »im Moment«.
CSU-Chef Söder aber lässt Laschet das nicht durchgehen – so flammt die alte Rivalität der beiden wieder auf. »Steuersenkungen sind das Herzstück unserer Steuerpolitik. Im gemeinsamen Wahlprogramm findet sich das eindeutig wieder«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung«. Und auch Laschets Wortwahl (»Grundbotschaft«) scheint Söder aufzugreifen und lädt damit seine Attacke nur weiter auf: »Steuerentlastungen sind die Grundphilosophie der Union – das ist der Unterschied zur politischen Linken: Grüne wollen Steuern erhöhen, wir wollen senken.«
Laschet muss (darf?) an diesem Donnerstag nach Seeon ins Chiemgau reisen, wo sich die CSU-Bundestagsabgeordneten mit Söder zur Klausur im Kloster versammelt haben. Die Christsozialen wollen von Laschet ein Bekenntnis zu Steuersenkungen, so viel dürfte klar sein. Eine Machtprobe.
Fällt Laschet um, hätte die CSU den Kanzlerkandidaten auf Linie gebracht. Was zwar dem Selbstverständnis der CSU entspräche, nicht aber dem eines Kanzlerkandidaten aus der CDU. Beharrt Laschet, zündete er den Steuerstreit mit der CSU. Oder – Laschet being Laschet – er windet sich freundlich lächelnd raus. Stichwort: »im Moment«. Schauen Sie genau hin.
Die CSU bastelt derweil noch am eigenen Programm, das das Unionswahlprogramm ergänzen soll. Da kommen dann traditionell jene Forderungen rein, die es nicht durch den Abstimmungsprozess mit der CDU geschafft haben.
Zum Beispiel der christsoziale Klassiker: höhere Mütterrente. Wie sang einst der niederländische Rockstar Hendrik Simons über die »Mama«? »Ich werd es nie vergessen, was ich an dir hab besessen, dass es auf Erden nur eine gibt, die mich so heiß hat geliebt.« Alle mal mitschunkeln bei der CSU.
Differenzen in der Union: Söder spricht sich für Steuersenkungen aus – und stellt sich gegen Laschet
Umfrage der Woche
Dieser Trend ist eine Schnecke, und er arbeitet tatsächlich für die SPD. Hätte nicht gedacht, dass ich einen solchen Satz hier einmal schreiben würde.
In der aktuellen SPIEGEL-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey ist die SPD mit rund 19 Prozent den Grünen (20 Prozent) mittlerweile dicht auf den Fersen. Der Zeitverlauf zeigt zudem: Die Grünen sind im Abwärtstrend, die SPD im leichten Aufwärtstrend. Die Unionsparteien liegen stabil bei rund 28 Prozent.
Heißt: In der nächsten Zeit haben die Spötteleien über die Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz Pause.
Denn auch bei der Direktwahlfrage findet der sich im langsamen, aber stetigen Aufwärtstrend, bei Baerbock geht es entsprechend nach unten. Kann es sein, dass hier frühere Grünen-Sympathisanten zur SPD überlaufen? Schon möglich.
Wahlkreis der Woche: #126
Hier regiert die CDU. Stets war der direkt gewählte Abgeordnete im Bundestagswahlkreis Borken II Christdemokrat. Eine Frau, drei Männer. Darunter viele Jahre der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik: Theodor Blank.
Erneuerung kann es in Borken II also nur in der CDU, nicht gegen sie geben. Genau das hat Anne König geschafft. Die 36-jährige Lehrerin hat Amtsinhaber Johannes Röring in einer Kampfabstimmung die Direktkandidatur abgejagt.
Und wenn nun nicht die grüne oder rote Welle übers schwarze Münsterland hereinbricht, wird König ziemlich sicher im neuen Bundestag sitzen. Meine Kollegin Milena Hassenkamp hat die Kandidatin getroffen. Die sei »eine Vorzeigekandidatin«, schreibt Milena: »Eine junge Frau, die verkrustete Strukturen in der Partei aufbricht – und sich trotzdem bescheiden gibt.«
Social-Media-Momente der Woche
Weil die Liberalen sich in den vergangenen Tagen in den sozialen Netzwerken so angestrengt haben, gibt es heute und hier die FDP-Sonderedition.
Es gibt ein Allgemeines Lebensrisiko. Kinder sollten nicht zur Angst erzogen werden. Aufklären über Gefahren und auch mal Dreck essen lassen.
— FDP Heilbronn 🚥 (@fdphn) July 12, 2021
Den Auftakt macht ein Twitter-Schwergewicht, die Heilbronner FDP mit ihren mehr als 600 Followern und der Erkenntnis, dass es mit Blick auf Corona und die ungeimpften Kinder nun mal ein allgemeines Lebensrisiko gebe. »Aufklären über Gefahren und auch mal Dreck essen lassen«, das ist der Rat aus dem Südwesten. Was uns nicht umbringt, macht uns nur noch härter. Jedenfalls die Starken unter uns. So geht liberaler Spirit für diesen Wahlkampf. Bon Voyage.
Und dann Marco Buschmann. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag erinnerte an diesem Dienstag dankenswerterweise an den »Steuerzahlergedenktag«: »Bis heute haben die Deutschen rechnerisch nur für den Staat gearbeitet.«
Bis heute haben die Deutschen rechnerisch nur für den Staat gearbeitet. Sie arbeiten damit über ein halbes Jahr, ehe aus brutto netto wird. Klar ist: Mit den Freien Demokraten wird es keine neuen Belastungen geben. Wir müssen die Menschen endlich entlasten. #Steuerzahlergedenktag
— Marco Buschmann (@MarcoBuschmann) July 13, 2021
Schlimm. Sechseinhalb Monate für nix gearbeitet, alles weg. Und das nicht zum ersten Mal. Wie viele unnütze Bauwerke zum Beispiel stehen in diesem Land herum aufgrund solcher Abzocke? Krankenhäuser, Schulen, Kitas, Polizeistationen, Feuerwehrhäuser, Straßen, Brücken. Braucht kein Mensch. Stattdessen: »Privat vor Staat«.
Und wer es doch braucht? Kann bisschen Dreck essen.
Die Storys der Woche
Diese Geschichten aus unserem Hauptstadtbüro möchte ich Ihnen besonders empfehlen:
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Analyse zum Wahlrecht: Wird der Bundestag nach der Wahl noch größer?
Herzlich
Ihr Sebastian Fischer
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