Stoiber-Nachfolge "Wechsel führen leicht zu Verletzungen und Verwerfungen"
SPIEGEL ONLINE: Herr Präsident, am Wochenende wird ihr Nachfolger im einflussreichen CSU-Bezirk Oberbayern gewählt, auch für den Landtag kandidieren Sie nach 38 Jahren nicht mehr. Warum wollen Sie denn nicht weitermachen?
Glück: Nach einer so langen Strecke ist es Zeit, sich anderen Lebensbereichen zuzuwenden. Ich bin über 50 Jahre im Berufsleben, fühle mich aber noch frisch und munter - umso besser, denn so kann ich mir noch Neues erschließen. Für die CSU in Oberbayern ist ein Wechsel natürlich auch gut, so können sich neue Kräfte entwickeln.
SPIEGEL ONLINE: Verglichen mit Noch-Ministerpräsident Stoiber ist Ihr Vorgehen reichlich konsequent für einen CSU-Politiker. Stoiber ist mit bald 66 nur ein Jahr jünger als Sie, mag sich aber nur schwer vom Amt lösen. Warum gelingt Ihnen das so leicht?
Glück: Ich habe da Verständnis. Edmund Stoiber hat mit einer ganz anderen Konsequenz für die Politik gelebt mit vielen Verpflichtungen und Lasten. Ich hatte und habe mehr Freiräume und habe damit auch andere Lebensbereiche pflegen können, das macht es jetzt vielleicht etwas leichter.
SPIEGEL ONLINE: Die erwartete Übergabe an Günther Beckstein wird ihr vierter Ministerpräsidentenwechsel nach Goppel, Strauß, Streibl und Stoiber sein. Ist es diesmal besonders schwierig?
Glück: Sowas läuft im Regelfall kompliziert. Beim Wechsel von Streibl zu Stoiber 1993 war es auch ein schwieriger Weg, mit Verletzungen. Wenn ich mich in den Ländern umschaue, dann ist in den vergangenen Jahren eigentlich nur ein Wechsel in Harmonie gelaufen: in Thüringen von Vogel zu Althaus. Wechsel führen leicht zu Verletzungen und Verwerfungen. Deshalb braucht es die Bereitschaft, Rücksicht zu nehmen und das möglichst miteinander zu gestalten.
SPIEGEL ONLINE: Und all diese Bedingungen für einen ordentlichen Wechsel sehen Sie aktuell in Bayern als erfüllt an?
Glück: Ich habe keine Sorge, dass der Wechsel gut gelingt. Edmund Stoiber hat 1993 begonnen, als die CSU in den Umfragen bei etwa 40 Prozent lag. Jetzt sind wir immer bei 50 plus X. Natürlich ist der Wechsel nicht so ganz einfach.
SPIEGEL ONLINE: Schwere Verwerfungen wollten Sie vermeiden, indem Sie Stoiber mit seinem Wunsch nach einer neunmonatigen Übergangsfrist bis September haben gewähren lassen. War das im Rückblick ein Fehler?
Glück: Es lag nahe, dass mit der Perspektive September Risiken und Irritationen verbunden sein können. Aber es ist doch nicht zwangsläufig eine nicht mehr steuerbare Entwicklung. Bisher ist das alles in allem gut gelaufen. Naja, und die Sommerpause, die mangels sonstigem Stoff sicher ein gewisses Maß an Gefährdung hat, die werden wir auch noch gut hinbringen.
SPIEGEL ONLINE: Im Gegensatz zum profilierten Bundespolitiker Stoiber gilt Nachfolger Beckstein eher als der Typ Landesvater. Schmälert das die Bedeutung der CSU in Berlin?
Glück: Auch Edmund Stoiber ist in die bundespolitische Rolle und Bedeutung erst allmählich hineingewachsen. Günther Beckstein hat bereits bundesweites Ansehen als Innenminister. Entscheidend für den Erfolg ist vor allem ein Faktor: Dass der Politiker authentisch ist. Das ist das Besondere an Beckstein: Er ist vom Auftreten her ja nicht gerade der Typ, den sich Medienberater gern fürs Fernsehen vorstellen. Trotzdem hat er ganz große Zustimmung bei den Leuten. Die spüren: Der spielt keine Rolle, der ist so. Das gibt Vertrauen. Im übrigen ist die Bundeskanzlerin auch eher das Gegenteil ihres Vorgängers: im Hinblick auf Inszenierung und Auftreten. Damit ist sie sehr erfolgreich.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt also Typen-Konjunkturen?
Glück: Gegenwärtig erleben wir anscheinend einen Paradigmenwechsel. Die Inszenierung von Politik und ein bestimmter Politikertypus sind in der aktuellen Phase nicht mehr gefragt. Nehmen Sie den abgelösten Tony Blair als Beispiel. Momentan wird ein eher nüchterner Politikstil nachgefragt.
Alois Glück über den Kampf um den CSU-Vorsitz, seine Wahl und die Kritik an Merkels Modernisierungskurs
SPIEGEL ONLINE: Herr Glück, im Kampf um den CSU-Vorsitz mit Erwin Huber ist Horst Seehofers Privatleben auch deshalb ein Medienthema, weil im neuen CSU-Programm stehen soll: "Für die CSU haben Ehe und Familie besonderen Rang". Wie soll denn ein möglicher Parteivorsitzender Seehofer das verkörpern?
Glück: Zunächst einmal: Wir sollten in einer gewissen Demut feststellen, dass wir in vielen Bereichen des Lebens unsere Leitbilder nicht immer erreichen, ohne sie deswegen aufzugeben. Das christliche Menschenbild ist ein barmherziges, es verlangt nicht den perfekten Menschen. Die Delegierten auf dem Parteitag müssen abwägen, ob der jeweilige Kandidat aus ihrer Sicht den Anforderungen eines Parteivorsitzenden gerecht wird.
SPIEGEL ONLINE: Wissen Sie denn schon, wen Sie wählen werden?
Glück: Ja, das ist klar. Aber ich werde es Ihnen nicht sagen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie mit Huber und Seehofer über Ihre Entscheidung gesprochen?
Glück: Die beiden wissen Bescheid, ja. Ich habe mit ihnen darüber geredet, habe dem einen gesagt, warum ich ihn leider nicht wählen kann. Das halte ich für fair, es wäre Feigheit, zu kneifen.
SPIEGEL ONLINE: Falls es aus irgendwelchen Gründen nicht klappt mit der Wahl zwischen den beiden würden Sie als Kompromisskandidat einspringen?
Glück (lacht): Sicher nicht.
SPIEGEL ONLINE: Herr Glück, die SPD entwickelt sich bundesweit mit Umfragewerten um die 25 Prozent zu einer Art Juniorpartner der Union. Zufrieden?
Glück: Die Union kann kein Interesse an einer sehr schwachen SPD haben. Der Trend geht zur Zersplitterung, die Volksparteien binden weniger Wähler. Das beeinträchtigt die Regierungsfähigkeit in Deutschland. Was mich besonders nachdenklich stimmt: Wir kommen als Union trotz blendender Konjunktur und höchstem Ansehen der Kanzlerin nicht über 39 Prozent in den Umfragen hinaus. Dieses bedenkliche Zeichen zeigt, wie schwierig es heute für die Union ist, 40 Prozent plus X im Bund zu erreichen. Es gibt nicht mehr die großen gesellschaftlichen Gruppen. Das Bürgertum stellt doch heute eine riesige Bandbreite dar. Es wird auch für die CSU immer schwieriger, 50 Prozent plus X der Wählerschaft unter einem Dach zu versammeln.
SPIEGEL ONLINE: Die CDU-Vorsitzende Merkel setzt auf einen Modernisierungskurs, etwa in der Familienpolitik.
Glück: Ich habe der CDU-Führung empfohlen, die Wahlanalysen der österreichischen Volkspartei (ÖVP) zu studieren. Bei der letzten Wahl haben einige hunderttausend Mütter, die eine Erziehungsauszeit vom Beruf genommen haben, nicht mehr ÖVP gewählt, weil sie sich in der Politik der zuständigen ÖVP-Ministerin nicht mehr geachtet gesehen haben. Da müssen wir mit Blick auf die Wahlen und unsere Werte Acht geben. Unser Maßstab ist die Wahlfreiheit und die gleichwertige Behandlung und Förderung, unabhängig von berufstätig oder nicht.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben kürzlich gefordert, die Union müsse "die Aura des Modernen aufbrechen". Was meinen Sie damit? Wollen Sie Merkels Modernisierung zurückdrehen?
Glück: Wenn etwas als modern gilt, wird kaum mehr hinterfragt, wie es auf Menschen wirkt. Weil niemand unmodern sein will, wird weder das Positive noch das Negative reflektiert. Ein konkretes Beispiel: Was bringt denn die Modernität einer totalen Freigabe der Ladenschlusszeiten für die Menschen an Freiheit einerseits und Belastungen andererseits? Es ist allerdings nicht die Aufgabe der Konservativen, nur im Bremserhäuschen zu sitzen. Wir müssen die konstruktive Auseinandersetzung führen: Was ist in einer Zeit des Wandels weiter unverzichtbar wichtig und was muss sich wandeln? Weiß Gott, wir haben zum Beispiel nicht die autoritären Familienleitbilder von früher zu verteidigen.
Das Interview führte Sebastian Fischer