
Kampf gegen Schlaglöcher (2011 in Dresden): Viel Geld für neue Straßen
Foto: Arno Burgi/ picture alliance / dpaFernstraßen verkommen, Brücken verfallen, doch die Bundesregierung finanziert lieber Neubauprojekte. SPIEGEL ONLINE zeigt, wohin die Millionen fließen - besonders oft profitieren Wahlkreise prominenter Unionspolitiker von der Spatenstich-Politik.
Der Zustand der deutschen Autobahnen erhitzte in den letzten Wochen die Gemüter. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig forderte an Ostern eine Sonderabgabe in Höhe von 100 Euro pro Autofahrer, um die Sanierung der maroden Fernstraßen und Brücken zu bezahlen. CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt wies den so genannten "Schlagloch-Soli" zurück. Er will ausländische Autofahrer mit einer PKW-Maut abkassieren.
Dabei könnte die Bundesregierung schon lange viel mehr Geld in den Erhalt des Fernstraßennetzes investieren - wenn sie denn wollte. Wie der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, investierte das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium (BMVI) zuletzt lieber in den Neu-und Ausbau von neuen Bundesstraßen und Ortsumfahrungen statt in den Erhalt. Auch die Wahlkreise prominenter Unionsvertreter wurden dabei nicht vergessen.
Die Spatenstich-Politik zeigt sich exemplarisch am sogenannten Infrastrukturbeschleunigungsprogramm (IBP), das die Bundesregierung noch in der vergangenen Wahlperiode beschloss. Insgesamt 1,75 Milliarden Euro stellte die Bundesregierung für das Sonderprogramm in zwei Tranchen zur Verfügung - bei sonstigen Verkehrsinvestitionen in Höhe von rund 10 Mrd. Euro jährlich. Die Zuteilung der bewilligten Mittel auf die unterschiedlichen Verkehrsträger macht deutlich, dass das Verkehrsministerium seinen Schwerpunkt auf die Fernstraßen legte.
In der nächsten Grafik wurden sämtliche Maßnahmen auf einer Deutschlandkarte eingetragen. Die Daten stammen aus den Projektlisten, die das Bundesverkehrsministerium zusammengestellt hatte. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages segnete diese Projektliste in mehreren Sitzungen des Jahres 2012 ab.
In der Karte sind alle Projekte dargestellt, die sich eindeutig verorten lassen - Fernstraßen rot, Wasserstraßen blau, Schienenwege gelb. Klicken Sie auf die Markierungen, um eine Beschreibung der Projekte und ihre bewilligte Förderung zu sehen*. Vermerkt wurden die Fördersummen für die Jahre 2012 bis 2014, nicht die voraussichtlichen Gesamtkosten.
Wer sich die einzelnen Projekte anschaut, wird feststellen, dass der Bund bei den Verkehrsträgern unterschiedliche Akzente setzte. Die Mittel für die Deutsche Bahn flossen überwiegend in Sanierungsmaßnahmen von Bahnhöfen, also in neue Bahnsteige, Treppen und Beleuchtungsanlagen; zum Teil wurden auch Lärmschutzmaßnahmen gefördert. Das Schienennetz erhielt dagegen keine wesentlichen Mittel aus dem Sonderprogramm. Aus dem BMVI heißt es dazu, dass angeblich kaum baureifen Projekte in der Schublade gelegen hätten.
Bei den Wasserstraßen sollten allein 300 Millionen Euro in den Bau der fünften Schleusenkammer in Brunsbüttel am Nordostsee-Kanal investiert werden. Das Projekt hat sich aber wegen Problemen bei der Vergabe bis in dieses Frühjahr hingezogen. Ansonsten waren bei den Wasserstraßen die Ausgaben für den Neubau und den Erhalt relativ ausgeglichen.
Ganz anders sieht es dagegen bei den Fernstraßen aus. Hier bewilligte der Bund nur 15 Prozent der Mittel für den Erhalt - der Rest sollte in den Aus- und Neubau von Fernstraßen fließen.
Besonders auffällig ist die hohe Zahl von Neubauten in Bayern. Gleich elf neue Projekte für Bundesstraßen, Autobahnen und Ortsumfahrungen wurden mit dem Sonderprogramm angeschoben - so viele wie in keinem anderen Bundesland.

Verteilung der Fernstraßenprojekte im Bundesgebiet
Die Folgen für den Haushalt sind gravierend. Denn viele Projekte wurden nur mit relativ geringen Mitteln aus dem IBP gefördert, während sich die Gesamtkosten zum Teil auf mehr als 200 Millionen Euro belaufen.
Diese Belastungen machen sich auch in den aktuellen Haushaltsberatungen im Bundestag bemerkbar. Die Bundesregierung hat beschlossen, dass das Verkehrsministerium in dieser Wahlperiode fünf Milliarden Euro zusätzlich erhält. Geld, das in den Erhalt der kaputten Fernstraßen fließen könnte. Doch erst einmal müssen die Neubauten aus dem IBP abgeschlossen werden. Nach Angaben einer Sprecherin des BMVI werden 1,5 Milliarden Euro in laufende Projekte aus dem Infrastrukturbeschleunigungsprogramm investiert. Sie betonte allerdings, dass auch die Mittel für den Erhalt der Bundesstraßen ausgeweitet werden sollen.
Zuletzt lohnt sich noch ein Blick in die Wahlkreise einiger prominenter Unionspolitiker. Der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) stammt aus dem Berchtesgardener Land. Sein Wahlkreis durfte sich neben einem Zuschuss über 10 Millionen Euro für den Neubau einer Ortsumfahrung in Traunstein auch über zwei sanierte Bahnhöfe in Bad Reichenhall und Piding freuen. Sein damaliger Staatssekretär Andreas Scheuer - heute CSU-Generalsekretär - berichtete einer Lokalzeitung stolz , welche Erfolge er in Berlin für seine Heimatregion Passau erzielen konnte.
Viele dieser Erfolge finden sich in den Projektlisten des IBP wieder. So förderte der Bund unter anderem den Umbau des Bahnhofs Vilshofen, die Sanierung der Autobahn 3 von Passau-Süd nach Pocking und den Ausbau des Wehrs in Kachlet aus dem IBP. In Mecklenburg-Vorpommern wurden übrigens nur drei Fernstraßenprojekte aus dem Sonderprogramm gefördert. Zwei davon lagen im Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zufall? Vielleicht.

Die Förderung der Infrastruktur - in den Bundesländern und ausgewählten Wahlkreisen
Foto: DER SPIEGEL*) In dieser Auswertung werden sämtliche Projekte so dargestellt, wie sie der Haushaltsausschuss bewilligt hat. Nachträgliche Änderungen, vor allem bei Schienenwegen, sind im Einzelfall möglich.