Street-View-Streit Schwarz-Gelb vergoogelt sich

Google-Nutzerin: Welche gesetzlichen Grenzen braucht der Konzern?
Foto: Julian Stratenschulte/ dpaBerlin - Die Kanzlerin ist in bester Urlaubsstimmung. Wäre da nicht eine Sache, die Angela Merkels Laune trübt: Was ihr Kabinett in den vergangenen Tagen zum Thema geboten hat, missfällt der Regierungschefin.
Sie sieht exekutiven Handlungsbedarf, ist zu hören. Merkel verlangt aus der Ferne wenigstens eine gemeinsame Linie der zuständigen Minister, nachdem Google zu Wochenbeginn den Start seines Street-View-Projekts bis Jahresende herausposaunt hat. Darum soll sich nun Kanzleramtschef Ronald Pofalla kümmern.
"Es wird eine abgestimmte Haltung innerhalb der Bundesregierung geben", kündigte ein Sprecher des Innenministeriums an. Schon in der kommenden Woche soll die Bundesregierung außerdem über die Forderung des Bundesrats beraten, Panoramaaufnahmen im Internet schärfer zu regulieren. Im Gespräch sind ein Widerspruchsrecht und eine Pflicht, Menschen und Autokennzeichen unkenntlich zu machen - Google tut das, aber nur als freiwilliges Entgegenkommen.
Das Thema hat die Bundesregierung offensichtlich überrascht. Dabei handelt es sich um ein Problem mit Ansage. Seit langem hat der Konzern Kamerafahrzeuge durch die Republik rollen lassen, um Bilder für seinen Straßenpanorama-Dienst zu sammeln. Schon Ende Februar deutete der Internetriese an, in Deutschland 2010 mit Street View an den Start zu gehen. Nun ist es soweit - mit Einspruchsmöglichkeit für Hausbesitzer bis 21. September und fürs erste nur in 20 Städten wie Berlin und Frankfurt, Hamburg und München, Bielefeld und Wuppertal.
Die zuständigen Bundesministerien für Verbraucherschutz, Justiz und Inneres stehen zwar in regem Kontakt mit Google und wussten auch, was da auf sie zukommt. Trotzdem haben sie keine einheitliche Position entwickelt. "Das ist eben rechtliches Neuland", hieß es am Mittwoch aus Regierungskreisen.
Künast findet Aigners Pixel-Aktion "putzig"
Dass man Google nicht am Bildersammeln in Deutschland hindern könnte - das schien klar. Nun aber, da eine öffentliche Debatte losbricht, kommt es doch zu Aktionismus. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner pocht darauf, dass der Konzern sauber jeden Widerspruch von Bürgern bearbeitet. Und sie fordert eine Verlängerung der Widerspruchsfrist wegen der Ferienzeit in einigen Bundesländern um vier Wochen. Auch Innenminister , der an dem Street-View-Projekt bisher keinerlei Anstoß genommen hat, gibt sich plötzlich kritisch. Man müsse darauf achten, "wann Quantität in Qualität umschlägt und aus etwas Normalem, der Blick auf eine Häuserfassade mit Klingelschildern und Briefkästen, ein weltweit möglicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen werden kann", sagte der CDU-Politiker der "WAZ".
In den Bundestagsfraktionen von Union und FDP sind die Abgeordneten plötzlich ebenso hellwach. Peter Bleser, verbraucherschutzpolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, sagte dem "Handelsblatt", schon nach der Sommerpause müsse eine generelle Regelung geschaffen werden - nicht nur für Google, sondern für alle solchen Dienste. "Wenn der Rechtsrahmen nicht ausreicht, müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Privatsphäre bei dieser Technologie gewahrt bleibt." Sein FDP-Kollege Erik Schweickert zeigte sich zuversichtlich für einen gemeinsamen Vorstoß im Herbst.
Getrieben werden die Regierungspolitiker von der Opposition, die genüsslich auf Gesetzesdefizite verweist. zieht dabei besonders viel Kritik auf sich. Mit Gesetzesinitiativen fiel sie nicht auf, hat aber lautstark gegen die Google-Fotografen gepoltert, frühzeitig zum Widerspruch aufgefordert und für ihren privaten Wohnraum nun schon Einspruch einlegt. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hat für Letzteres nur einen hämischen Kommentar übrig: "Das ist putzig - sie soll uns alle schützen statt nur populistischen Aktionismus zur betreiben." Künast, selbst Ex-Verbraucherschutzministerin, wirft Schwarz-Gelb vor, zu wenig Klarheit geschaffen zu haben. "Nur ein Gesetz schafft klare Regelungen über die Rechtsgrundlagen bezüglich Zustimmungserfordernis", sagt sie.
Auch Koalitionspolitiker sympathisieren mit einer Datenschutzreform
SPD-Fraktionsvizechef Ulrich Kelber sieht das genauso. "Union und FDP haben es verpennt, rechtzeitig ein Datenschutzgesetz auf den Weg zu bringen", sagte er. Jan Korte, Mitglied im Vorstand der Linksfraktion: "Google Street View gibt es nicht erst seit gestern." Die Regierung sei durch die aktuelle Gesetzeslage jetzt dazu verdammt, auf den guten Willen von Google zu hoffen.
Die Opposition zielt auf eine Überarbeitung des deutschen Datenschutzrechts. Die Gesetze seien zu alt, sagt Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz. Entsprechend aufwendig sei es, zu Neuregelungen zu kommen. Eine reine "Lex Google", wie von manchen favorisiert, sei da gar nicht hilfreich. Es brauche einen größeren Ansatz.
So sieht es auch mancher bei Schwarz-Gelb. Gisela Piltz, Vizechefin der FDP-Bundestagsfraktion, fordert ein weitreichendes neues Datenschutzgesetz. "Legislativ kann man im Hauruck-Verfahren nichts Sinnvolles machen", sagte sie SPIEGEL ONLINE. Es gehe "um ein umfassendes, modernes und technikfestes Datenschutzgesetz, das Entwicklungen wie Street View umfasst, aber auch alle anderen Herausforderungen moderner Kommunikation".
Google selbst sieht die Aufregung mit Unverständnis. In 23 Ländern läuft Street View schon. In keinem davon mache man ähnliche datenschutzrechtliche Zugeständnisse wie in Deutschland, argumentiert der Konzern und verweist auf die Widerspruchsmöglichkeit ab kommender Woche per Internet oder Post.
Probleme hat Street View nicht nur in Deutschland
Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar sieht den Konzern indes vor einem größeren Problem - nämlich der selbstauferlegten Pflicht, die Widersprüche abzuarbeiten. Caspar ist wegen des Standorts der Google-Deutschland-Zentrale in der Stadt zuständig. Er spricht bei den Einspruchsmöglichkeiten von einem "komplexen Massenverfahren": "Ich hoffe, dass Google den verwaltungstechnischen Aufwand bei der Abarbeitung der Widersprüche schafft." Sonst drohe dem Konzern eine sehr unangenehme Diskussion: "Die Opt-in-Debatte könnte wiederkommen, wenn es da Probleme gibt."
Opt-in bedeutet, dass Google jeden Bürger im Voraus fragen müsste, ob eine Erlaubnis zum Fotografieren seiner Wohnung oder seiner Hauses vorliegt. Das wäre wohl das Ende für Street View in Deutschland. Der Konzern wird alles dafür tun, dass es so weit nicht kommt.
Derzeit sehen einer Emnid-Umfrage zufolge 41 Prozent der Deutschen in dem Dienst mehr Vorteile als Nachteile, 39 Prozent geht es umgekehrt. 16 Prozent wollen ihr Haus oder ihre Wohnung unkenntlich machen lassen. Wie viele aber umgekehrt aktiv ihr Einverständnis zu einer Veröffentlichung geben würden - das wurde erst gar nicht gefragt.
Tatsächlich ist Deutschland nicht das einzige Land, in dem Google Probleme mit Datenschutzbedenken hat. Dass bei Street-View-Kameratouren Datenschnipsel aus offenen W-Lan-Netzen gesammelt wurden, hat kürzlich weltweit Verärgerung ausgelöst - und den Konzern zu einem spektakulären Fehlereingeständnis gezwungen. Und in der Schweiz gibt es eine ganz ähnliche Debatte um die Street-View-Aufnahmen wie in Deutschland. Dort muss Google seine Routen anmelden - und das Bundesverwaltungsgericht in Bern über das Streitthema entscheiden.