Streit über Rentengarantie Steinbrücks Ehrlichkeit ärgert Genossen
Berlin - Nicht mit ihm. Er werde den "Teufel tun", drei Monate vor der Bundestagswahl "Stichworte in die öffentliche Debatte zu werfen", bei denen er fünf Tage brauche, "um die Stange wieder geradezubiegen". O-Ton Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) vor gut zwei Wochen. Damals ging es um eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung nach der Wahl, um aus dem riesigen Schuldenloch zu kommen, grundsätzlich um Auswege aus der Misere. "Ein falsches Stichwort von mir, und ein leises Lächeln huscht über Ihr Gesicht", sagte er seinerzeit vor Journalisten.
Nun muss sich Steinbrück plötzlich doch um eine Stange kümmern, die es geradezubiegen gilt.

Finanzminister Steinbrück: Schwierige Debatte, wichtige Wähler
Foto: Michael Sohn/ APDenn seit er an diesem Freitag mit zwei Interviews in die Offensive ging, reibt man sich in seiner Partei und beim Koalitionspartner verwundert die Augen. "Rentengarantie" heißt das Stichwort - jene Regelung, mit der die Bundesregierung Ende April in einer Hauruck-Aktion der Angst vor möglichen Rentenkürzungen entgegentrat.
Eine Maßnahme, die Steinbrück offenbar für derart verantwortungslos hält, dass er sich am Freitag gleich zweimal auffallend deutlich von ihr distanzierte. "Ich habe große Zweifel, ob das für nachfolgende Generationen das richtige Signal ist", monierte der Minister in der "Frankfurter Rundschau". Der heutigen Rentner-Generation gehe es "so gut wie niemals einer zuvor", während andere Menschen angesichts der Wirtschaftskrise um ihren Arbeitsplatz bangen müssten. "Die Gekniffenen sind die 25- bis 35-Jährigen, die Kinder in die Welt setzen wollen." Im ARD-Morgenmagazin legte er nach: Es stelle sich "langsam die Frage, ob das unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit nicht grenzwertig ist".
Unmut in der SPD-Bundestagsfraktion
Äußerungen, die aus Steinbrücks Sicht durchaus nachvollziehbar sind. Zuletzt monierte er, dass der Bundeszuschuss zur Rente mittlerweile 25 Prozent des Haushalts beträgt. Das kann keinen Finanzminister erfreuen, der Ausgabenblock engt den Gestaltungsspielraum massiv ein - erst recht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen.
Und doch ist die Kritik Steinbrücks für die SPD zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl nicht unproblematisch. Denn der Minister legt sich ausgerechnet mit einer der wichtigsten Wählergruppen an: den rund 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, ein Drittel der Wahlberechtigten. Gegen sie wird es immer schwieriger, Wahlen zu gewinnen. Zumal in einem Land mit so geringer Geburtenrate und hoher Lebenserwartung wie Deutschland.
In Steinbrücks eigener Partei war man denn am Freitag bemüht, eine Rentendebatte erst gar nicht entstehen zu lassen. Parteichef Franz Müntefering hielt sich ebenso zurück wie seine Stellvertreterin Andrea Nahles und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Keiner aus der ersten Riege der SPD wollte sich zu der Sache äußern - um die Debatte nicht noch anzuheizen, denn ein Risiko ist sie für den Wahlkampf auch so schon.
In der SPD-Bundestagsfraktion machte sich über die Äußerungen des Finanzministers offen Unmut breit. "Ich kann Steinbrücks Kritikpunkte intellektuell nicht nachvollziehen", sagte der Abgeordnete Karl Lauterbach SPIEGEL ONLINE. Der Finanzminister sei in dieser Frage "weit vom Zentrum der Partei" entfernt. "Die Rentengarantie läuft der Generationengerechtigkeit mitnichten zuwider. Sie ist Teil der Generationengerechtigkeit, schließlich betrifft sie doch gerade die Jüngeren und Mittelalten, die erst in Jahren in Rente gehen. Sie sind die eigentlichen Profiteure."
"Steinbrück will als harter Kämpfer für Nachhaltigkeit wahrgenommen werden", sagte ein führendes Mitglied der Netzwerker, des reformorientierten Parteiflügels. "Doch dafür die Rentengarantie zu zerlegen, ist völlig falsch."
Manchen Genossen ärgert auch die Tatsache, dass Steinbrück mit seiner Kritik einem Parteifreund öffentlich in die Parade fährt: Arbeitsminister Olaf Scholz.
Er war es, der die Regelung mit Rückendeckung von Kanzlerin Angela Merkel maßgeblich vorangetrieben hat. Seit Wochen schon sorgt die Rentenpolitik zwischen beiden für Zwist. So soll Steinbrück Scholz in einem Telefonat angeschrien haben, unmittelbar nachdem dieser seinen überraschenden Vorstoß kundtat.
Dass Scholz selbst am Freitag in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" die Garantie vehement verteidigte, verstärkte den Eindruck eines Scharmützels zweier SPD-Minister. Fast jeden Tag rechne "ein neuer schlauer Professor oder ein neues schlaues Institut" aus, was alles schiefgehen könne, so der Arbeitsminister. "Diesen Panikmachern, die bei vielen Millionen Rentnern Unsicherheit verbreiten, wollen wir mit der eindeutigen Sprache des Gesetzes Einhalt gebieten."
Unterstützung und Kritik in der Union
In der Union löste Steinbrücks Interview Erstaunen aus. Schließlich hatte der SPD-Minister die Rentengarantie und den Beschluss Anfang Mai im Kabinett mitgetragen. Als einer der wenigen Abgeordneten in der Großen Koalition sprach sich damals der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn gegen die Maßnahme der Regierung aus. Sie sei "ungerecht" - alle sollten auch weiterhin in einem Boot sitzen und die Krise gemeinsam durchstehen. Die jüngsten Äußerungen des Bundesfinanzministers kann Spahn, der sich seit Jahren für das Thema Generationengerechtigkeit engagiert, nachvollziehen. "Grundsätzlich sind Steinbrücks Äußerungen zu begrüßen", sagt er SPIEGEL ONLINE. Allerdings "hätte ich sie mir früher, lauter vernehmbar und in der Kabinettssitzung gewünscht".
Spahn weiß, welchen Zorn man sich als Politiker mit deutlichen Worten zur Rente einhandeln kann. Der 29-Jährige hatte sich bereits 2008 gegen einen Eingriff in die Rentenformel ausgesprochen - und damit mächtigen Ärger in der eigenen Partei bekommen. Er bekam Hassbriefe und E-Mails, ein Vertreter der Senioren-Union versuchte, Spahns Kandidatur im Wahlkreis zu torpedieren.
Dass Steinbrück nun nach vorne prescht, erklärt sich Spahn mit der Konkurrenz aus dem Bundeswirtschaftsministerium, wo CSU-Kollege Karl-Theodor zu Guttenberg mit ordnungspolitischen Vorstellungen in der Öffentlichkeit punktet. "Es scheint mir der Versuch zu sein, im Nachhinein einen Abklatsch von Guttenbergscher Geradlinigkeit abzugeben", sagt Spahn.
In der Senioren-Union innerhalb von CDU/CSU hält man sich mit allzu scharfer Kritik an Steinbrück zurück. "Ich bin erstaunt über die Haltung von Herrn Steinbrück, der vor kurzem noch eine andere Meinung vertreten hat und jetzt die Rentner dafür verantwortlich machen will, die Jungen zu überfordern", sagt der Vorsitzende Otto Wulff SPIEGEL ONLINE. Der jungen Generation sei am besten dadurch zu helfen, dass der Wunsch nach Kindern unterstützt und die Erziehung der Kinder erleichtert werde, dass Job- und Bildungschancen verbessert würden.
Schon gegen Mittag versuchte das Bundesfinanzministerium, Steinbrücks Äußerungen tieferzuhängen. Sie würden "weit überinterpretiert", sagte ein Sprecher in der Bundespressekonferenz. Der Minister habe nur darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung, die für eine bestimmte Gruppe von Vorteil sei, "auch mit Nachteilen erkauft werden muss".