Streit über Segelschulschiff "Gorch Fock"-Mannschaft beschwert sich bei Guttenberg

"Gorch Fock" in Ushuaia: Stammbesatzung wehrt sich gegen Vorwürfe
Foto: Selknam Ush/ AFPBerlin - Mit einem Appell an den Dienstherren setzt sich die Stamm-Mannschaft des Marine-Segelschulschiffs gegen die in den letzten Tagen erhobenen Vorwürfe zu Wehr, Segelschüler seien an Bord drangsalisiert worden oder wären gar Opfer sexueller Nötigung geworden.
Der offene Brief soll demnach "Ausdruck und Zeichen sein, wie sehr die Stammbesatzung hinter ihrem Kommandanten" stehe. Dieser war vergangenen Freitag spontan vom Minister abberufen worden. Der SPIEGEL ONLINE vorliegende Brief ist direkt an Karl-Theodor zu Guttenberg gerichtet. Als Absender ist die "Besatzung Segelschulschiff Gorch Fock" genannt. Ob das Schreiben im Namen aller Besatzungsmitglieder verfasst wurde, war am Abend nicht klar.
Der Brief ist die erste Reaktion der Mannschaft, die den politischen Streit um ihr Schiff aus vielen Tausend Kilometern Entfernung mitverfolgt. Noch immer liegt die "Gorch Fock" vor Feuerland, erst am Freitag ist ein Ermittlerteam der Marine eingetroffen, das die vielen Vorwürfe gegen die Schiffsführung aufklären soll. Durch Klagen der Soldaten gegenüber dem Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus über das Drangsalieren der Marine-Rekruten an Bord, Alkholexzesse, Drohungen und sogar einen Fall der versuchten sexuellen Nötigung war eine politische Affäre entstanden, die Minister zu Guttenberg unter Druck setzt.
Verteidigungsminister Guttenberg
Aus ihrer Frustration über machen die Soldaten keinen Hehl. "Wir, die Stammbesatzung der 'Gorch Fock', fühlen uns sehr alleine gelassen - hier am Ende der Welt", heißt es im Text. Es sei "unverständlich", den Kommandanten "so abzuservieren, wie es hier der Fall war". Warum, fragen die Besatzungsmitglieder, "wurde ein zuverlässiger, loyaler Offizier ohne Untersuchung bzw. Untersuchungsergebnis so behandelt und bloßgestellt"? Aus ihrer Sicht fehle "der Rückhalt unserer übergeordneten Dienststellen, welche sich zu keiner Zeit vor uns stellten oder sich nach unserem Befinden erkundigt haben".
Die Kommentare zielen auf einen politisch hitzig diskutierten Teil der Affäre um die "Gorch Fock" und letztlich auf den Minister selbst. Guttenberg war von der "Bild"-Zeitung informiert worden, dass die Boulevardzeitung Fotos von einer angeblichen Karnevalsfeier kurz nach dem Unfall-Tod einer jungen Segelschülerin durch einen Sturz aus der Takelage des Schiffs bringen werde. Daraufhin ordnete Guttenberg die Suspendierung des Kapitäns an.
"Ein Schlag ins Gesicht jedes Einzelnen"
Für die Mannschaft ist dieser Schritt völlig unverständlich. Die Abberufung von Schatz sei allein vor "dem Hintergrund unbestätigter Anschuldigungen, welche eine Gruppe von Petenten (Offiziersanwärter) in Form einer Eingabe an die Öffentlichkeit gebracht haben", erfolgt. Dies sei "ein Schlag ins Gesicht jedes Einzelnen hier an Bord und Rufmord", heißt es in dem Brief der Crew.
Die Aussagen sind für Guttenberg durchaus heikel, denn neben allen Bemühungen zur Aufklärung betonte er immer wieder, dass er sich wie kein anderer Minister zuvor vor seine Soldaten stellen wolle.
Sehr detailreich nimmt der offene Brief zu den verschiedenen Vorwürfen gegen die Stamm-Mannschaft Stellung. So sei der Unfall an Bord auch für die Besatzung "ein harter Schlag" und "nicht leicht zu verarbeiten" gewesen. In der Öffentlichkeit hingegen entstehe der Eindruck, die Schiffsführung bestehe aus "Menschenschindern". In der Tat hatten Rekruten gegenüber dem Wehrbeauftragten berichtet, die Schiffsbesatzung habe schnell versucht, nach dem Unfall zur Tagesordnung überzugehen. Besonders Kommandant Schatz habe bei einer kurzen Ansprache sehr trocken gewirkt.
Auch die später in "Bild" mit einem Foto illustrierte Karnevalsfeier habe es nie gegeben, behauptet die Mannschaft. Vielmehr habe der Offizierslehrgang am letzten Tag in Salvador für die Besatzung und die Ausbilder ein Bier ausgegeben, um gemeinsam die Geschehnisse zu besprechen. Dies sei "im Gedenken an unsere verstorbene Kameradin" geschehen und sei vom "Lehrgang gewünscht und initiiert" worden. Ebenso habe die Schiffsführung unmittelbar auf den Unfall reagiert, das Aufentern in die Segel sei sofort als freiwilliger Bestandteil der Ausbildung erklärt worden, viele Rekruten hätten auch nicht mehr aufentern müssen.
Mannschaft findet Drill und rauen Umgangston notwendig
Den Vorwurf der Drangsalierung bis hin zur Nötigung weisen die Soldaten ebenfalls zurück. Vielmehr sei es Ziel der Mannschaft gewesen, den Segelschüler "behutsam und unter Aufsicht physisch und psychisch bis an die Grenzen seiner individuellen Belastbarkeit" zu führen, damit er im Fall des Falls "ruhig, sicher und beherrscht handeln kann". Dazu seien aber "drillmäßiges Segelexerzieren" nötig und ab und an auch ein rauerer Umgangston, allein wegen des Windes müssten Befehle eben gebrüllt werden. Die Darstellungen in der Presse über die Zustände an Bord hingegen seien "falsch und extrem verzerrt".
Ähnlich erklärt die Mannschaft auch Berichte über eine sexuelle Nötigung an Bord. Ein Rekrut hatte erwähnt, er sei beim Duschen von Unteroffizieren bedroht worden. Aus Sicht der Mannschaft hingegen seien dies nur "lapidar geäußerte Sprüche von jungen Soldaten" gewesen. Auch wenn diese "unterhalb der Gürtellinie" gewesen sein mögen, handele es sich um eine Art Scherz. "Zu keiner Zeit wurde hier an Bord ein Soldat von einem anderen angefasst oder gar sexuell belästigt", stellen die Besatzungsmitglieder fest. Zudem habe der Kapitän alle an Bord nach dem Fall eindringlich verwarnt.
Aus dem Schreiben geht die tiefe Frustration der Mannschaft hervor. Demnach sei der Name des Schiffs "nach diesen Vorfällen nur noch sehr schwer reinzuwaschen". Der Minister solle durch den Brief verstehen, dass die Mannschaft durch die Presseberichte aber auch durch die Suspendierung des Kapitäns schwer verunsichert sei. Man habe sich immer bemüht, "qualitativ hochwertig Kadetten an Bord auszubilden", nun aber werde man als "schlechte Menschen, ja gar als Unmenschen dargestellt".
Verteidigungsminister Guttenberg erreichte der vermeintliche Brandbrief seiner Soldaten am Freitagnachmittag per E-Mail in Davos, wo der Minister am Weltwirtschaftsforum teilnimmt. Guttenberg zeigte Verständnis für die teils emotionalen Aussagen der Verfasser des Schreibens. "Ich nehme solche Briefe von Soldaten grundsätzlich sehr ernst und kann die aufgewühlten Gefühle auch nachvollziehen", sagte er SPIEGEL ONLINE. Die Soldaten würden schon bald eine Antwort erhalten, sicherte der Minister zu.
Zudem liefen derzeit intensive Ermittlungen zu den Vorgängen. Vor deren Abschluss werde es "keinerlei Vorverurteilungen" geben, betonte Guttenberg.