Streit um "Reichskristallnacht"-Gedenkfeier Warum Görlitzer Stadtväter Angst vor einer Tora-Rolle haben
Berlin - Beim Zentralrat der Juden schüttelt man den Kopf. "Unwürdig" findet der Generalsekretär Stephan Kramer den Streit in Görlitz um das Gedenken an die Pogromnacht vor 70 Jahren: "Es kann doch keinen Wettbewerb darum geben, wer die schönere und bessere Veranstaltung macht."
Die jüdische Gemeinde in der sächsischen Stadt wollte erstmals mit einer eigenen Feier in der Synagoge den Opfern gedenken. Doch das Gotteshaus gehört der Stadt - und die möchte ein gemeinsames, öffentliches Gedenken. Im Rathaus fühlt man sich überrumpelt von den Plänen der Gemeinde. Die wiederum fühlt sich ausgegrenzt. "Die Stadt will der Gedenkfeier ihren Stempel aufdrücken", sagt der Vorsitzende und Kantor der Gemeinde, Alex Jakobowitz.
Der Fall hat auch in Israel Schlagzeilen gemacht: Die Tageszeitung "Jerusalem Post" berichtete auf ihrer Website von dem Vorfall mit der Überschrift "Deutsche Stadt lehnt Kristallnacht-Veranstaltung ab".
In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, der sogenannten "Reichskristallnacht", zerstörten die Nationalsozialsten Synagogen, jüdische Friedhöfe und Wohn- und Geschäftshäuser. Über 30.000 Juden wurden verhaftet. Den Brand in der Görlitzer Synagoge löschte die Feuerwehr, der Bau mit dem Kuppelturm blieb erhalten.
Auseinandersetzungen um eine Tora-Rolle
Ausgerechnet um das Gedenken an die Opfer von 1938 gibt es nun Streit. Der Förderkreis der Synagoge und die jüdische Gemeinde wollten zusätzlich zu der jährlichen Veranstaltung der evangelischen Kirche eigene Feierlichkeiten ausrichten. So soll ein 85-jähriger Zeitzeuge aus Israel von seinen Erlebnissen berichten und eine polnische Tänzergruppe auftreten.
Eine Tora-Rolle könnte die aktuellen Auseinandersetzungen ausgelöst haben. Diese hatte Kantor Jakobowitz für die Gedenkfeier von der jüdischen Gemeinde aus Dresden leihen wollen. Sie sollte feierlich in den Raum getragen werden. Doch die Stadt befürchtet, dass die Gemeinde das Gebäude mit der Tora-Rolle zur Synagoge weihen will und eine Nutzung für andere öffentliche Veranstaltungen dann nicht mehr möglich ist. Die Stadt ist Eigentümer des Gebäudes und droht mit der Absage der Gedenkfeier.
Der Konflikt schwelt seit Monaten. Es geht um die Nutzung der fast hundert Jahre alten Synagoge - und es geht um das Miteinander von Stadt und jüdischer Gemeinde.
Kultur-und Begegnungsstätte oder Gotteshaus?
Seit dem 14. Jahrhundert siedelten sich Juden in Görlitz an. Die heutige Synagoge errichteten sie 1911, damals lebten etwa 900 Juden in der Stadt. 1938 wurden sie von den Nazis enteignet, die Synagoge - wie alle Synagogen in Deutschland - beschlagnahmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Synagoge in den Besitz der jüdischen Gemeinde in Dresden über. Die jüdische Gemeinde in Görlitz zählte nur noch zwei Mitglieder - die übrigen waren ermordet worden oder geflohen.
Die Stadt Görlitz kaufte das Gotteshaus im Jahre 1963, das daraufhin allerdings jahrzehntelang leer stand und verfiel. In den neunziger Jahren verzichtete die Jewish Claims Conference, die die Ansprüche von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus vertritt, nach Verhandlungen auf ihr Recht auf die Synagoge und erhielt dafür Entschädigungszahlungen.
Die Stadt will die Synagoge nun als "Kultur- und Begegnungszentrum" nutzen. Bereits in den neunziger Jahren fanden Konzerte, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen statt, initiiert vom Förderkreis der Görlitzer Synagoge. Das Gebäude wurde damals teilweise saniert, für weitergehende Bauarbeiten fehlte aber das Geld. In diesem Jahr übernahm die Stadt selbst die Sanierung und ließ das Bauwerk mit 305.000 Euro größtenteils aus Fördergeldern instand setzen.
Schon seit einem Jahr hält die inzwischen 28 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde hier auch Gottesdienste ab. Der Vorsitzende der Gemeinde, Jakobowitz, möchte die Synagoge wieder mit jüdischem Leben füllen. Er weist die Vermutungen der Stadt zurück, dass die jüdische Gemeinde weitergehende Ansprüche habe. Seine Gemeinde sei zu klein, um das Haus allein zu verwalten.
"Nicht mit dem Kopf durch die Wand"
Der Streit um die Synagoge zwischen Stadt und Gemeinde dauert schon länger. Der Görlitzer Geschäftsmann Avi Goldreich wollte 2007 die Synagoge kaufen und wieder zum Gotteshaus weihen lassen. Die Stadt lehnte jedoch ab, weil ihr der Kaufpreis mit 20.000 Euro zu niedrig erschien. Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden appellierte an den Vorsitzenden Jakobowitz, Kompromisse zu suchen und nicht "mit dem Kopf durch die Wand" Interessen durchzusetzen: "Es geht nicht um die Selbstdarstellung einer Gemeinde, sondern um den Gedenktag."
Nun könnten sich die Streitenden doch noch einigen, wenngleich ein endgültiger Beschluss über die Feierlichkeiten am 9. November erst kommende Woche gefasst wird. Die Tora-Rolle darf wahrscheinlich nicht in die Synagoge getragen werden, die Gedenkfeiern von Förderkreis und Gemeinde dürfen aber abgehalten werden.
Auch der ökumenische Gedenk-Gottesdienst wird stattfinden, den der evangelische Pfarrer Hans-Wilhelm Pietz seit Jahren organisiert. Er sei "sehr betrübt" über die Unstimmigkeiten, sagte er der "Sächsischen Zeitung". Es widerspreche dem Geist des Gedenktags, sich um ihn zu streiten.