Streit um SPD-Rebell Walter Grüne drohen Ypsilanti mit Liebesentzug
Frankfurt am Main Es ist eine andere Partei, ein anderer Ort. Die Hauptrolle jedoch spielt derselbe Mann: Jürgen Walter - der unkalkulierbare Faktor für alle rot-grünen Regierungsträume
Hier in Frankfurt am Main beim Parteitag der Grünen dominiert er die Debatten wie am Tag zuvor bei der SPD in Fulda. Es geht darum, wie zuverlässig der parteiinterne Rivale der Sozialdemokratin Andrea Ypsilanti ist, die sich am Dienstag auch mit seiner Stimme zur Chefin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen lassen will - und wie sehr man sich von ihm provoziert fühlen soll.

Al-Wazir bei Parteitag: Drohungen gegen die Rebellen in der SPD
Foto: DDPNur 24 Stunden nach der SPD votieren in Frankfurt auch die Grünen mit breiter Mehrheit dafür, den rot-grünen Koalitionsvertrag anzunehmen und Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen bei acht Gegenstimmen.
Gastgeber und Grünen-Chef Tarek Al-Wazir zeigt sich gerne als besonnener Stratege. In den vergangenen Wochen hat er es unterlassen, seinen Unmut über die zerstrittene Sozialdemokratie öffentlich zu äußern. Das ist ihm öfter nur unter kaum übersehbaren Anstrengungen gelungen - und an diesem Sonntag hat er keine Lust mehr. Nach den Ereignissen vom Fuldaer Parteitag, bei dem Walter den Koalitionsvertrag harsch kritisierte, will der designierte Umweltminister nicht mehr schweigen.
Sollte der Machtwechsel an Walter scheitern, warnt Al-Wazir, "fällt die SPD für lange Zeit als verlässlicher Koalitionspartner aus". Und ergänzt: Dieser Verantwortung sollten sich "alle bewusst sein".
Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE wird der Grünen-Chef noch deutlicher: "Wenn Ypsilanti es am Dienstag nicht schafft, ist klar, wer es verbockt hat." Er schaue sehr genau auf die Probeabstimmung der Genossen am Montagabend, sagt Al-Wazir. Sollte Walter sich dort nicht erklären, müsse er auch am Dienstag im Landtag zustimmen.
Die SPD raubt Al-Wazir nicht den Schlaf
Al-Wazirs Einschätzung der hessischen Sozialdemokraten: Deren Streit drehe sich in Wahrheit nicht um die Linkspartei, deren Stimmen Ypsilanti am Dienstag für ihre Kür zur Ministerpräsidentin braucht, und um den Umgang mit ihr. Tatsächlich herrsche bei den hessischen Genossen ein sehr viel tiefer wurzelnder "Richtungsstreit".
Bei allem Ärger über die SPD - der Grünen-Chef bemüht sich, das Gespräch dann doch wieder mit einem Gag zu beenden: Die brisante Situation beim angehenden Koalitionspartner führe "keinesfalls dazu", dass er "die beiden kommenden Nächte nicht schlafen" könne.
Dies zu glauben, fällt schwer, wenn man weiß, wie schwer Al-Wazir politische Konstellationen erträgt, die er nicht beeinflussen kann.
Auf seinem Frankfurter Parteitag hatte er anders als Ypsilanti keinen ernsthaften Widerstand zu befürchten. Von 30 ausgelosten Rednern kritisierten gerade einmal drei oder vier den Koalitionsvertrag oder die Kooperation mit der Linkspartei.
"Risiko geht doch von der SPD aus"
Einer davon ist Bernd Eckhardt aus Fulda. Der Schnurrbartträger sagt, er sehe das Vorhaben "ausgesprochen skeptisch". Die Linke sei eine "Kaderpartei" und müsse auch so eingeschätzt werden. Zudem hätten SPD und Grüne im Koalitionsfragen zu viele Versprechen gemacht, die "schwer zu finanzieren" seien.
Ihm widerspricht wenig später ein klassischer Alt-Grüner. Der 67-jährige Elmar Diez ist Gründungsmitglied der Partei und war 20 Jahre Fraktionschef in Hanau. Keinesfalls sei die Linke eine Kaderpartei sie habe mit ihrer Urabstimmung für die Tolerierung ihre demokratische Orientierung unter Beweis gestellt. "Das Risiko geht doch viel mehr von der SPD aus", sagt Diez. Damit spricht der Mann mit dem weißen Vollbart aus, was viele im Saal denken, er erntet Applaus und Gelächter.
Die Situation ist tatsächlich abstrus: Während Grüne und Linke ihre Zustimmung für das Linksbündnis nie in Frage gestellt haben, drohen zwei Abweichler in den Reihen der SPD Ypsilanti zum Verhängnis zu werden. Dagmar Metzger, die sich bereits auf ein Nein festgelegt hat, und Walter, von dem im Moment niemand weiß, was ihn treibt. Böse Zungen in Frankfurt am Main sagen, das wisse er wohl momentan selbst nicht mehr.
Bütikofer hat "großes Interesse" am Erfolg der Hessen
Bei allem Chaos der Genossen wissen die Grünen, dass auch ihnen Gefahr droht. Sollte Ypsilanti scheitern, sind auch Al-Wazir und seine Führungsmannschaft desavouiert. Nicht zuletzt deshalb versucht die Ökopartei, den Wunschpartner mit aller Macht zur Geschlossenheit zu bewegen.
Wenn es trotz allem am Dienstag tatsächlich klappt, kehren die Grünen nach einer Durststrecke in die Landesregierung eines Flächenlandes zurück. Momentan regieren sie nur in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg. Der Gast aus Berlin, Parteichef Reinhard Bütikofer, spricht daher auch vom "großen Interesse" der Bundespartei, dass die "hessischen Parteifreunde" es schaffen.
Bei Ypsilantis Parteitag ließ sich übrigens am Samstag niemand von der SPD-Prominenz aus der Hauptstadt blicken weder der Vorsitzende Franz Müntefering noch Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier. Nicht einmal Generalsekretär Hubertus Heil.