Studie zu Geburtenrückgang Deutschland im Baby-Blues

Neugeborene: Nicht mehr für alle Deutschen der zentrale Lebensbereich
Foto: Waltraud Grubitzsch/ picture alliance / dpaMünchen - Der Aufwand war groß, das Resultat überschaubar: Höheres Kindergeld, Elterngeld, Vätermonate, Kita-Ausbau - und dennoch setzen die Deutschen nicht mehr Nachwuchs in die Welt. Die Geburtenrate liegt seit rund 40 Jahren ziemlich konstant bei etwa 1,4 Kindern pro Frau. Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hat nun die Gründe dafür untersucht.
Die Ergebnisse sind ernüchternd. Vielen Deutschen sind ihr Beruf, ihre Hobbys und ihre Freunde wichtiger als ein Kind zu bekommen. Dem Bericht zufolge lautet das Fazit: "Kinder stellen nicht mehr für alle Deutschen einen zentralen Lebensbereich dar."
Die Gründe dafür sind vielfältig. So hat sich die gesellschaftliche Haltung zum Thema Elternschaft deutlich verändert. Vor einem halben Jahrhundert galt man eigentlich erst als richtig erwachsen, wenn man einen Beruf hatte, verheiratet war und Kinder hatte. Heute gibt es für das Kinderkriegen keine Anerkennung mehr. Und kaum noch jemand erwartet, dass sich seine gesellschaftliche Stellung durch Nachwuchs verbessert. Viele Menschen befürchten offenbar sogar, dass mehr als zwei oder drei Kinder ein Makel sein könnten.
Hochqualifizierte verzichten ganz auf Nachwuchs
Problematisch sehen viele Deutsche der Studie zufolge auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Sorge, dass man nicht gleichzeitig den Kindern und den Arbeitgebern gerecht werden kann, ist groß - vor allem bei den Müttern. Sie sehen sich in einem zeitlichen Dilemma und damit vor der grundsätzlichen Entscheidung zwischen Kindern und Job. Viele Frauen - besonders in Westdeutschland - werden demnach noch immer von alten Rollenbildern geleitet. Sie haben die Vorstellung, dass sie keine guten Mütter sind, wenn sie ihr Kind in fremde Hände geben. Vor allem Hochqualifizierte lassen es dann gleich ganz bleiben mit dem Nachwuchs.
Erstaunlicherweise zeigt sich der Untersuchung zufolge auch, dass der Vater bis heute in Deutschland nicht als adäquater Ersatz für die Mutter gesehen wird. Im internationalen Vergleich trauen wir unseren Männern deutlich weniger zu als etwa Franzosen oder Belgier. Beides Länder, in denen arbeitende Mütter viel stärker akzeptiert sind.
Bei so vielen Schwierigkeiten leidet offenbar gleich die gesamte Einstellung gegenüber Kindern. Sie werden der Erhebung zufolge nicht mehr selbstverständlich als Quelle für Zufriedenheit und Lebensfreude angesehen. Nur noch 45 Prozent der kinderlosen Deutschen von 18 bis 50 Jahren glauben, dass sich ihre Lebensfreude und ihre Zufriedenheit verbessern würde, wenn sie in den kommenden drei Jahren Kinder bekommen würde.
Kinderwunsch nicht ausgeprägt
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, das dem Bundesinnenministerium unterstellt ist, hat in seiner Studie erstmals die Gefühlslage der Deutschen bei der Frage des dauerhaften Geburtenrückgangs berücksichtigt, dies mit bekannten Daten zur Familienforschung kombiniert und die Werte international verglichen. In Europa gebe es nur zehn Länder, in denen die Geburtenziffern niedriger seien als in Deutschland, heißt es. Hier betrage die Zahl 1,39. Lettland liege mit einer Quote von 1,17 ganz hinten, Island führe mit 2,20 Kindern die Statistik an.
Während in einigen Ländern Europas in den vergangenen Jahren wieder mehr Babys auf die Welt kamen, bleibt dieser Trend hierzulande aus. Im weltweiten Vergleich habe Deutschland den höchsten Anteil dauerhaft kinderloser Frauen. Knapp ein Viertel der Frauen der Geburtsjahrgänge 1964 bis 1968 hat dem Bericht zufolge bewusst keine Babys geboren.
Generell ist in der Bundesrepublik der Wunsch nach einem Kind nicht so weit ausgeprägt wie in anderen europäischen Ländern. In nur sechs weiteren Staaten möchte die Mehrheit der Befragten keine oder ausdrücklich weniger als zwei Kinder bekommen.
OECD mahnt bessere Kinderbetreuung an
Auch eine Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus. Junge Frauen sind demnach besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen, haben aber auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen. Fazit der Studie: Deutschland solle ein hochwertiges Betreuungsangebot für Kinder schaffen, das Ehegatten-Splitting abschaffen - und das gerade erst beschlossene Betreuungsgeld auch.
27 Prozent der Frauen in Deutschland von 25 bis 34 Jahren haben einen Abschluss von einer Universität, einer Fachschule oder einen Meisterbrief. Bei den gleichaltrigen Männern sind es nur 25 Prozent. "Zwar sind Frauen heute in vielen Ländern häufiger berufstätig als noch vor zwanzig Jahren, aber gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeiten sie überproportional oft in Teilzeitanstellung", heißt es. "Das hat negative Auswirkungen auf ihr Gehalt und auf ihre Karriere." Frauen mit einem mittleren Einkommen verdienen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer, Freiberuflerinnen sogar 63 Prozent weniger - mit entsprechenden Folgen für die Rente.