Studie Tausende Migrantinnen werden zur Ehe gezwungen

Die Zahlen sind alarmierend. Auf mehr als 3000 Mädchen und Frauen - meist aus muslimischen Familien - wurde in Deutschland innerhalb eines Jahres Zwang ausgeübt, eine Ehe einzugehen. Oft ist ihr Leben bedroht. Das ist das Ergebnis eines neuen umfangreichen Berichts. Unter den Betroffenen sind viele Minderjährige.
Frau mit Kopftuch: Die meisten Zwangsehen-Opfer stammen aus muslimischen Familien

Frau mit Kopftuch: Die meisten Zwangsehen-Opfer stammen aus muslimischen Familien

Foto: Wolfram Steinberg/ dpa

Berlin - Jeden Tag werden in Deutschland mehrere Frauen und Mädchen unter Androhung von Gewalt in eine Ehe gedrängt. Diese Zahlen gehen aus einer neuen Studie hervor, die Familienministerin Kristina Schröder (CDU) und die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) am Mittwoch vorstellen werden. Danach haben im Jahr 2008 3443 Frauen und Mädchen Hilfe bei Beratungsstellen gesucht, weil sie zwangsverheiratet wurden oder ihnen eine Zwangsehe drohte. Familienministerin Schröder gab Ergebnisse der Untersuchung bereits vorab in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bekannt.

Die Opferzahlen liegen weit über bisherigen Schätzungen: Die Hilfsorganisation Terre des Femmes ging bislang davon aus, dass sich in Deutschland jährlich mehr als tausend Frauen und Mädchen aus Migrantenfamilien wegen Zwangsheiraten an Beratungsstellen wenden.

Für die neue umfangreiche Studie wurden 1445 Beratungsstellen angeschrieben. 830 davon meldeten sich zurück. Die Ergebnisse geben auch Aufschluss über Herkunft, Alter und Vorgeschichte der Opfer. So wird jede dritte Betroffene im Zusammenhang mit der Zwangsverheiratung mit dem Tod bedroht. Die allermeisten Zwangsehen-Opfer stammen aus muslimischen Elternhäusern - 83,4 Prozent. Laut "Süddeutscher Zeitung" stammen fast zwei Drittel der erfassten Fälle aus stark religiös geprägten Familien.

Viele haben extreme Brutalität erlebt

Insgesamt kommen nahezu alle Betroffenen aus Migrantenfamilien, aber ein Drittel der Mädchen und Frauen, die in eine Ehe gezwungen wurden, ist der Befragung zufolge in Deutschland geboren, 23 Prozent kamen in der Türkei zur Welt. Bei den Herkunftsländern der Familie war die Türkei am stärksten vertreten, gefolgt von Serbien, dem Kosovo, Montenegro sowie dem Irak.

Viele Opfer haben extreme Brutalität erlebt - mehr als die Hälfte war bei der Zwangsverheiratung selbst körperlicher Gewalt ausgesetzt, 27 Prozent wurden laut Ministerin Schröder mit Waffen oder Mord bedroht. Nach Angaben der "Welt" ist fast ein Drittel der von Zwangsheirat Betroffenen in Deutschland 17 Jahre oder jünger. 40 Prozent sind zwischen 18 und 21 Jahren alt.

Familienministerin Schröder forderte, dass das Thema Zwangsehen schon in den Schulen stärker zur Sprache gebracht werden müsse. Außerdem seien deutsche Sprachkenntnisse oft der Schlüssel zu einem "selbstbestimmten, im wahrsten Sinne des Wortes ungezwungenen Leben jenseits elterlicher Bevormundung", so Schröder am Dienstag in der "FAZ".

Zum ersten Juli dieses Jahres trat eine gesetzliche Neuregelung in Kraft. Seitdem ist die unfreiwillige Eheschließung ein eigener Straftatbestand, der mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann. An dem möglichen Strafmaß hat sich mit der Neuregelung aber nichts geändert. Auch schon vorher war es möglich, Zwangsheiraten zu verfolgen - nämlich als besonders schwere Nötigung.

anr/dpa
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