Studie zu deutschen Einstellungen Wie groß Sarrazins Basis wirklich ist

Sie würden den Vorwurf weit von sich weisen, doch viele Deutsche haben ausländerfeindliche und chauvinistische Einstellungen. Eine alarmierende Rechtsextremismus-Studie macht klar: Die Radikalen in der Mitte der Gesellschaft sind zum Risiko für die Volksparteien geworden.
NPD-Anhänger: Die Partei ist tabu, doch ihre Themen finden sich auch in den Volksparteien

NPD-Anhänger: Die Partei ist tabu, doch ihre Themen finden sich auch in den Volksparteien

Foto: recherche-nord

Was viele Menschen in Deutschland täglich erleben, hat Günter Wallraff kürzlich in seinem Film "Schwarz auf weiß" einem breiten Publikum gezeigt. Als Afrikaner gab er sich aus, mit schwarzer Schminke, und ließ sich von einer gut gekleideten Dame eine Wohnung zeigen. Wortreich und höflich führte sie ihn umher. Um dann kurz darauf mitzuteilen, dass sie "so einem" sowieso keine Wohnung vermiete.

Die Frau hat geschliffene Umgangsformen, wenn sie einen Ausländer trifft. Aber sie denkt um keinen Deut anders als jener besoffene Prolet, der Wallraff kurz darauf seinen Hass entgegenschleuderte.

Rassismus ist ein Phänomen aus der Mitte der Gesellschaft. Falls man dafür noch einen empirischen Beweis gebraucht hat, wurde er mit der jetzt veröffentlichten Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung erbracht. Die Autoren stellen da zum Beispiel fest, dass "ein Viertel der Deutschen die Fiktion eines Volkes als Schicksalsgemeinschaft" gutheißt. Und zwar "mit einem gemeinsamen Interesse, das von einer Partei verfolgt wird".

Diese Forderung nach einem rechts-autoritären Staat wird im politischen Spektrum der Bundesrepublik ausschließlich von der NPD verfolgt - die bei der Bundestagswahl 2009 nicht mal zwei Prozent bekommen hat.

NPD

Es ist eine der wenigen tröstlichen Erkenntnisse der Studie, dass die offensichtlich weitaus stärker tabuisiert ist als einige ihrer Programmpunkte.

Rechtsextreme versuchen seit Jahren, Wähler aus der Mitte mit populistischen Thesen abseits der Ausländerpolitik zu sich zu ziehen. So propagieren autonome Nationalisten und auch die meisten NPD-Kader eine Art Antikapitalismus von rechts. Ihre Kritik an der Globalisierung wird antisemitisch unterfüttert, ihr Protest gegen vermeintlichen Raubtierkapitalismus liest sich zuweilen wie ein linksextremes Pamphlet. Bei dem Thema sind sie inhaltlich durchaus auf Linie mit vielen Deutschen, wie die Passagen der Studie zu den Themen Kapitalismus, Demokratie und Antisemitismus zeigen (siehe Grafiken zu den Ergebnissen). Aber auch hier verfängt die Propaganda interessanterweise am Ende nicht.

An vielen Stellen der Untersuchung wird klar, dass es eine bemerkenswerte Kluft zwischen dem Misserfolg der Rechtsaußen-Parteien und den tatsächlichen Einstellungen der Deutschen gibt. Die Wahlergebnisse mögen schlecht sein - die Haltung der Radikalen sind aber weiter verbreitet als vielfach vermutet. Millionen Menschen, die den Vorwurf rechtsextremer Denkmuster wohl empört von sich weisen würden, sind der Studie zufolge durchaus chauvinistisch, ausländer- oder islamfeindlich, antisemitisch oder totalitären Gedanken zugetan.

"Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten Araber unangenehm sind" - diese These unterschreiben 55,4 Prozent der Befragten, satte 11,2 Prozentpunkte mehr als vor sieben Jahren. Das zeigt gleich drei Dinge: Erstens sind solche Thesen mehrheitsfähig, zweitens sind "Araber" und "Muslime" offensichtlich Reizworte, und drittens wird das Problem nicht kleiner.

Noch vor Sarrazins Thesen erhoben

Die Daten für die Studie wurden sogar noch vor der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins Thesen gesammelt. Die Zahlen dürften sich seither nicht nach unten bewegt haben. Dass man "für Muslime in Deutschland die Religionsausübung erheblich einschränken" soll, denken der Untersuchung zufolge 58,4 Prozent der Befragten.

Rechtsextremismus

Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge hält es inzwischen für verkehrt, als Randphänomen zu begreifen. Weil sich "die Themen der Rechten" häufig "mit den Themen der Mitte überschneiden", tauge der Begriff eigentlich sowieso nichts mehr, sagt er.

Da ist zum Beispiel die häufig zu hörende Unterscheidung zwischen Ausländern, die "uns" etwas bringen und jenen, die die Gemeinschaft belasten. Weit verbreitet sei diese Denkart, schreiben die Autoren und folgern: "Im modernen Rassismus greifen die biologisch-rassistischen und kulturalistischen Begründungen ineinander." Soll heißen: Rassismus, der auf biologischen Annahmen beruht, geht inzwischen mit kulturell begründeter Ausgrenzung zum Beispiel von Türken, Arabern, Muslimen einher.

Gesellschaftsfähiger "Nützlichkeitsrassismus"

Gerade unter den Anhängern der Volksparteien sind chauvinistische und ausländerfeindliche Einstellungen verbreitet. Um die 20 Prozent sind es der Studie zufolge bei SPD und Union im Westen. Im Osten sind die Werte bei der Ausländerfeindlichkeit noch höher, und auch die Linke - im Osten eine Volkspartei - ist betroffen.

Ausgerechnet die Linke, die viel auf ihren Internationalismus hält? Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Partei, wundert es nicht, wie verbreitet Vorstellungen von der Ungleichheit der Menschen sind. Sie spricht von "Nützlichkeitsrassismus". Gerade Sarrazin bediene eine Grundeinstellung, die nach dem Motto funktioniere: "Suche die Schuld für Dein Elend nicht bei den Schuldigen, sondern bei denen, die Dein Elend teilen - und deshalb aus demselben Topf wie Du beköstigt werden!" Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Partei seien viele Linke-Wähler empfänglich für Ressentiments, sagt Kipping. "Die kritisieren uns für unsere Integrationspolitik - wählen uns aber trotzdem, weil ihnen andere Themenfelder wichtiger sind."

Wie unzufrieden viele Deutsche mit dem System der BRD sind, zeigen seit Jahren konstant hohe Werte zu Thesen wie "Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut" (94 Prozent) und "Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren" (90,4 Prozent). Demokratie an sich findet breite Zustimmung (93,2), aber die Demokratie des Grundgesetzes bei weitem nicht mehr so stark (73,6 Prozent), und die Demokratie im politischen Alltag der Bundesrepublik nicht mal bei der Hälfte der Befragten (46,1 Prozent).

Sozialneid und Politikverdrossenheit als Ursachen für rechtsextremistische Denkweisen, gepaart mit Systemkritik - keine neue Entwicklung. Aber eine, die den Volksparteien immer wieder gefährlich werden kann, wie die SPD in der Sarrazin-Debatte erfahren musste. Die Thesen des einstigen Spitzenpolitikers hätten Anhängern der Sozialdemokraten durchaus gefallen, sagt Manfred Güller, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. "Die sind sauer, dass die SPD ihre Energie auf den Parteiausschluss Sarrazins verschwendet, statt sich um ihre Probleme zu kümmern."

Deutsche fahren Ellenbogen aus

Die Grünen, mit Abstrichen auch die FDP haben es da leichter. Was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass deren Wähler im Schnitt einen höheren Bildungsgrad haben und sich stärker für andere Themen interessieren. Weder die Zukunft der Atomkraft noch die des Spitzensteuersatzes hat viel mit Migration zu tun.

Die Studie ist ein Warnruf für die Volksparteien, aber auch die Kirchen und die Gewerkschaften, bei denen die Ergebnisse ebenfalls heikler sind (siehe Grafik oben). Schon länger berichten Betriebsräte, dass Anti-Rassismus-Kampagnen bei weiten Teilen der eigenen Klientel skeptisch beäugt werden. Nicht viel skeptischer als im Bevölkerungsdurchschnitt - aber eben auch nicht weniger. In Zeiten knapp gewordener Verteilungsspielräume fahren Millionen Deutsche den Ellenbogen aus: So kann man die Studie auch interpretieren.

"Die Bedrohung der Demokratie ist nicht von den Rändern zu sehen", stellen die Autoren in ihrem so nüchternen wie alarmierenden Fazit fest, "sondern aus der Mitte der Gesellschaft heraus."

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