Studie über Wahlrecht ab 16 So reif wie Erwachsene

Sind 16-Jährige reif genug, um an Wahlen teilzunehmen? Jugendministerin Giffey bejaht dies - eine neue Studie stützt ihre Position. Demnach müssen Jugendliche den Vergleich mit jungen Erwachsenen nicht scheuen.
Eine 17-jährige Erstwählerin in Brandenburg (Foto von 2014)

Eine 17-jährige Erstwählerin in Brandenburg (Foto von 2014)

Foto: Britta Pedersen/ picture alliance / dpa

Jugendliche können den Friedensnobelpreis gewinnen wie Malala Yousafzai. Sie können eine globale Protestbewegung initiieren wie Greta Thunberg. Aber wählen dürfen sie in vielen Ländern nicht, auch nicht in Deutschland. In vier Bundesländern dürfen 16- und 17-Jährige zwar bei Landtagswahlen abstimmen, in elf Ländern bei Kommunalwahlen. Im Bund muss man aber volljährig sein, um wählen zu dürfen.

Umstritten ist das schon lange. Bundesjugendministerin Franziska Giffey (SPD) fordert aktuell, das aktive Wahlrecht im Bund schon für 16-Jährige. Unterstützung erhält sie von mehreren anderen Parteien.

"Junge Menschen sollten mitbestimmen können, wenn es um die Gestaltung ihrer Zukunft geht. Das Wahlalter für die nächste Bundestagswahl auf 16 Jahre zu senken, wäre deshalb der richtige Schritt", sagte Grünenchef Robert Habeck dem SPIEGEL. Die Linkenvorsitzende Katja Kipping sagte: "Es ist Zeit, der Klugheit und dem Drive der Jugend mehr Raum in unserer Demokratie zu geben."

"Wir finden wenig, was gegen eine Absenkung des Wahlalters spricht"

Eine aktuelle Studie von zwei Politikwissenschaftlern der Freien Universität Berlin fügt der Diskussion nun Erkenntnisse aus aktuellen Landtagswahlen hinzu. Sie deuten darauf hin, dass Zweifel an der politischen Reife 16-Jähriger kein guter Grund sind, ihnen das Wahlrecht zu verwehren.

Eine Empfehlung sprechen die Forscher zwar nicht aus. Ihre Ergebnisse aber sind klar: "Wir finden wenig, was gegen eine Absenkung des Wahlalters spricht", sagt Studienleiter Arndt Leininger. Man könne es aber kritisch sehen, wenn Menschen das aktive Wahlrecht bekämen, die andere Rechte noch nicht haben, weil sie nicht volljährig sind. Das ändert aber nichts am Befund: 16-Jährige sind demnach offenbar genauso interessiert an Politik wie 18-Jährige und ebenso informiert.

"Wir finden schon bei 15-Jährigen ein recht ausgeprägtes Interesse an und Wissen über Politik", sagt Thorsten Faas, Professor für Politische Soziologie an der FU Berlin. Die Studie wurde von der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall finanziert und veröffentlicht.

Die Wissenschaftler haben für ihre Arbeit nicht auf existierende Wahlumfragen zurückgegriffen, weil in deren Datensätzen meist zu wenig Jugendliche vertreten sind. Sie befragten stattdessen nach den Landtagswahlen 2019 in Brandenburg und Sachsen 6699 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, aus mehreren Städten und grenznahen Landkreisen.

Die Forscher fragten unter anderem nach dem Interesse an Politik und nach dem Gefühl, politische Entscheidung verstehen und diskutieren zu können. Um den Wissensstand einzuschätzen, fragten sie auch nach dem amtierenden Ministerpräsidenten und dem gültigen Wahlalter im Land.

Die Besonderheit: Während bei den Landtagswahlen am 1. September 2019 in Sachsen Menschen erst ab 18 wählen durften, lag das Wahlalter in Brandenburg wie schon fünf Jahre zuvor bei 16 Jahren. So konnten die Wissenschaftler vergleichen, ob es Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen und Lebenslagen gibt.

Unter den Befragten sind Frauen und Menschen aus größeren Städten und die jüngeren Jahrgänge überdurchschnittlich vertreten, die Wahlbeteiligung der Befragten liegt höher als sie in den Altersgruppen tatsächlich war - die Studie zog offenbar eher überdurchschnittlich politische junge Menschen an, ein bekanntes Problem in der politikwissenschaftlichen Forschung. Die Auswahl ist nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Sie erlaube im Vergleich der Gruppen aber trotzdem Rückschlüsse, argumentieren die Autoren.

Dafür spricht, dass die Ergebnisse so eindeutig sind: Egal ob 15, 16, 17, 18, 19 oder 20 bis 24 Jahre alt, egal ob in Brandenburg oder Sachsen - das angegebene politische Interesse ähnelt sich extrem. Es hängt offenbar nicht vom Alter ab, nimmt unter jungen Menschen nicht systematisch zu. Auch das Gefühl, Politik verstehen und beeinflussen zu können, ist in allen erfassten Altersstufen sehr ähnlich ausgeprägt. Dasselbe gilt für das Wissen um den amtierenden Ministerpräsidenten. Sogar die jüngste Gruppe der 15-Jährigen fällt nicht ab.

"Von einer im Vergleich geringeren Reife junger Menschen lässt sich nicht sprechen."

Befund der FU Berlin zur Debatte über Senkung des Wahlalters

Es ist demnach nicht so, dass Interesse und Selbstvertrauen mit dem Alter wachsen. "Von einer im Vergleich geringeren Reife junger Menschen lässt sich nicht sprechen", schreiben die Forscher.

Das Interesse an Politik hängt offenbar auch nicht mit dem Wahlrecht zusammen, das hat die Studie ebenfalls untersucht: Weder in Brandenburg noch in Sachsen sind Befragte, die kurz nach dem Wahltag das Wahlalter erreichten und nicht wählen durften, nennenswert weniger interessiert an Politik als diejenigen, deren Geburtstag kurz vor dem Wahltag lag. Wer die Schwelle zum Wahlalter erreicht, nutzt allerdings häufiger den Wahl-O-Mat, um sich zu informieren.

Einige weitere Unterschiede gibt es: Jüngere Menschen geben sogar an, etwas häufiger über Politik zu sprechen. Mit dem Alter wächst dafür die Überzeugung, dass Wählen eine Pflicht der Bürgerinnen und Bürger ist. Und auch die Bewertung des besten Wahlalters unterscheidet sich: Die Befragten in Brandenburg, wo man bereits ab 16 wählen darf, befürworten eher ein niedrigeres Wahlalter als die Befragten in Sachsen. 

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