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Stuttgart 21 In Grund und Boden geschlichtet

Wer hat bei der Schlichtung durch Heiner Geißler gewonnen? Auftraggeber Stefan Mappus, der das vergiftete Angebot der Grünen, Hilfe von außen zu holen, clever zu seinem Vorteil drehte. Jetzt hat sein umstrittenes Bahnhofsprojekt das Siegel des Edelvermittlers.
Von Christoph Schwennicke

Heiner Geißler

Stuttgart

Der alte Fuchs hat es wieder geschafft. Das ist die Lesart. Superstar. In einer Karikatur wurde das in den vergangenen Tagen lustvoll aufgespießt. Heiner Geißler - erst erfolgreicher Schlichter in , dann in Korea und im Nahen Osten, am Ende zwischen dem lieben Gott und dem Teufel. Tausendsassa Geißler, der Red Adair der politischen Brennpunkte, der Notarzt, der Tote wieder zu Leben erweckt.

Bahnhof Stuttgart 21

Stefan Mappus

Der eigentliche Fuchs in der Schlichtungsgeschichte um den aber heißt , bisher mehr im Verdacht, eher um eine Ecke zu wenig als um eine Ecke zu viel zu denken. Mit der Einberufung einer Schlichtungsgruppe unter dem CDU/Attac-Mann Heiner Geißler und dem heutigen Abschluss der Gespräche hat der baden-württembergische Ministerpräsident einen Zug getan, dessen Brillanz sich erste einige Züge weiter erwiesen hat. Nämlich jetzt.

Als die Grünen, namentlich der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer, nach einem Schlichter Geißler riefen, da hat Mappus sich diese Idee zu eigen gemacht. Er hat sich in dieser Sache übrigens als strategisch klüger erwiesen als die normalerweise weitsichtige Schachspielerin Angela Merkel. Die hatte im Frühjahr dieses Jahres den vergifteten Vorschlag des Grünen Fraktionschefs Jürgen Trittin, Joachim Gauck zum Allparteien-Kandidaten für das Bundespräsidentenamt zu machen, ausgeschlagen. Die schwarz-gelbe Koalition wurde daraufhin von Rot-Grün vorgeführt und Christian Wulff hangelte sich mit Müh und Not ins Amt.

Der baden-württembergische Regierungschef aber nahm das vergiftete Angebot an und machte es sich zunutze.

In welch aussichtsloser, defensiver Lage befand sich Mappus noch vor wenigen Wochen! Er stand im Schicksalsbund mit dem Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster an dem Punkt, an dem eine schwäbisch-ungestüme Bürger-Revolution die schwarze Macht in Stadt und Land mit ihrem Protest gegen den neuen unterirdischen Großbahnhof brechen würde und die Palmers von Tübingen bald überall sitzen würden.

Schlichterrunde? Ein gut getarntes trojanisches Pferd

Dann ergriff der Regierungschef den Strohhalm, dem ihm der Himmel reichte, und stellt sich voll hinter die Schlichtungsrunde unter dem weisen alten Mann. Es sah aus wie die erste Stufe einer Kapitulation, in Wahrheit war es die erste Stufe einer Machtarrondierung, der erste Schritt, überhaupt wieder politischen Boden unter die Füße zu bekommen.

Verbesserungsliste zu Stuttgart 21

Denn wer glaubt, diese Schlichtung habe zwischen hundertjährigen Bäumen, Gipskeuperschichten und internationalen Streckennetzen nichts als die schiere, schöne, neutrale Wahrhaftigkeit gesucht, der glaubt auch daran, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ausschließlich auf der Suche nach der Wahrheit ist. Diese Schlichterrunde war ein ungemein gut getarntes trojanisches Pferd, das Mappus hinein in die Reihen seiner Kontrahenten geschoben hat. Ein politisches Kampfinstrument.

Denn Schlichtung kommt auch von schlicht: Und schlicht und ergreifend ist es nun so, dass die Boris Palmers und andere nicht mehr Sturm laufen können gegen ein modifiziertes Stuttgart 21, das durch die Geißler-Schlichtung politisch veredelt wurde. Es wurde lang und breit und ressentimentfrei über Fürs und Widers gesprochen und jeder, der daran teilhatte, muss jetzt die beruhigende Wirkung der Schlichtung hinnehmen. Auch wenn dieser Schlichterspruch formal gesehen nicht bindend ist, die Botschaft ist klar: Wer nun immer noch protestiert, stellt sich quasi gegen alle Spielregeln, macht sich selbst zum Außenseiter.

Die Landtagswahlen? Trotzdem kein Selbstläufer

Hart formuliert kann man sagen: Mappus hat mit seinem Geißler-Coup seine Kontrahenten eingewickelt, eingelullt und partiell unschädlich gemacht. Es scheint Palmer und seinen Gefolgsleuten schon zu dämmern, in welche strategische Falle sie da getappt sind, denn sie stimmen schon das Hohelied auf die Schlichtung an. Das ist jetzt auch das einzige, was noch übrig bleibt: Gute Miene zu einem Spiel zu machen, von dem manche dachten, es sei das eigene, und zu spät merkten, dass es längst von der Gegenseite zu deren Vorteil gespielt wurde.

Das heißt alles noch lange nicht, dass die Landtagswahlen in Baden-Württemberg hiermit zu einem Selbstläufer für den Amtsinhaber werden, mitnichten. Aber er hat bis hierher das Maximum an politischem Profit herausgeholt. Und Politik vollzieht sich immer in Wellen.

Bahnhof Stuttgart 21

Nach der Wutwelle gegen den könnte es sehr gut nun die Solidarisierungswelle für den Bahnhof Stuttgart 21 geben. Umfragen zufolge ist das Potential dafür jedenfalls vorhanden. Die Frage ist dann nur noch, ob diese Pro-Welle bis zum Wahltag anhält, oder schon von der nächsten Gegenwelle abgelöst worden ist.

Und betrachtet man so diese unverhofft günstigere Lage der CDU, dann ist auch der Gedanke zulässig, dass sich Mappus sehr genau abgestimmt hat mit der großen Schachspielerin im Kanzleramt, die ihr eigenes politisches Schicksal an Baden-Württemberg und damit den Bahnhof geknüpft hat.

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