"Stuttgart 21"-Proteste Herbst der Wasserwerfer

"Stuttgart 21"-Proteste: Herbst der Wasserwerfer
Foto: dapdBahnhofsprojekt "Stuttgart 21"
Die Bundeskanzlerin hat den "Herbst der Entscheidungen" angekündigt. Klar soll Merkels neue Politik sein, ohne Schnörkel, zupackend. Zu dieser neuen Linie gehört, dass sie sich hinter das stellt. Der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof ist für sie ein Symbol für Deutschlands "Zukunftsfähigkeit". Stuttgart soll damit an die sogenannte Magistrale Paris-Bratislava angeschlossen werden. Ein Wanken, ein Zaudern, soll es für Merkel nicht geben.
Nun wird aus dem Herbst der Entscheidungen der Herbst der Wasserwerfer. Nun fliegen unter der CDU-Regierung in Stuttgart die Schlagstöcke, sprüht es Pfefferspray. Ob sie es will oder nicht: Damit ist auch Merkel mit in der Verantwortung.
Zwar versucht sie zu deeskalieren. Sie wünscht allen Verletzten gute Genesung. Doch dass der harte Einsatz der Polizei mit Pfefferspray und Wasserwerfen unverhältnismäßig war, sagt sie nicht.

"Stuttgart 21": Wasserwerfer gegen Demonstranten
Das ist eine andere, eine neue Kanzlerin. Die alte , das war die perfekte Inszenierung von Kuschel-Politik. Sie achtete sehr auf gute Bilder: Merkel im Anorak vor dem Eisberg, Merkel lachend mit Obama, Merkel winkend an Deck eines Dampfers. Dahinter steckte das Kalkül, dass man in der neuen Medienwelt den Leuten gefallen muss. Man darf nicht anecken, das sollen andere tun.
Es funktionierte, allerdings nur begrenzt. Merkel ließ im ersten Jahr ihrer schwarz-gelben Regentschaft die Dinge schleifen; das Volk, die Medien, alle vermissten politische Führung. Nun führt Merkel - und es fahren Wasserwerfer auf.
In Stuttgart überzieht die CDU
Nun werden mit ihr andere Bilder verbunden: heulende Mütter mit Kindern, verstörte 18-jährige Abiturienten mit Schlagstock-Beulen am Kopf, gefällte Bäume. Nun lautet die unterschwellige Botschaft: Die neue Merkel kennt kein "sowohl als auch" mehr. Sie kennt nur noch "entweder oder". Nun zeigt sich das ganze Risiko von Merkels neuem Kurs: Wenn unpopuläre Entscheidungen getroffen werden, können Situationen eskalieren, dann können am Ende auch die Knüppel fliegen.
Entschiedenheit ist gut. Doch in Stuttgart überzieht die CDU. Es ist die Rede von Deeskalation, doch es wird polarisiert. Zur Polarisierung gehört, dass es immer einen Teil der Bevölkerung gibt, der die Politik der Polarisierer richtig findet. Aber wer soll die Hau-drauf-Politik richtig finden? Die schwäbische Hausfrau bestimmt nicht. Sie hat sich längst ausgerechnet, dass das Milliardenprojekt in Stuttgart auch für sie selbst ziemlich teuer werden könnte. Da vergeht ihr der Spaß.
Auch die Masse der bürgerlichen Wähler im Südwesten wird sich über diese Art der Kehrwoche kaum freuen. Früher haben viele geklatscht, wenn langhaarige Studenten in Wackersdorf oder an der Startbahn-West eins auf die Mütze bekamen. Da traf es die Richtigen, fand manch einer. Aber in Stuttgart werden Schüler, Opas und Studienräte aus der sogenannten bürgerlichen Mitte von der Staatsmacht verprügelt und aus dem Weg geräumt.
Dies sind keine linken Gegen-alles-Protestierer, sondern - zumindest zu einem Teil - Merkels eigenes Wähler-Potential. Das kann sich bei der Landtagswahl im nächsten Frühjahr bitter rächen.
Der Knüppel ist ein Symbol
In der Politik geht es auch um Symbole: Der Wasserwerfer, die Knüppel sind Symbole. Natürlich muss der Staat sie einsetzen dürfen. Er hat das Gewaltmonopol. Doch sie stehen auch für eine autokratische Politik. Sie gehörten zu der jungen Demokratie, die die Bundesrepublik vor 30 Jahren war. Damals setzten die Lager auf Konfrontation statt auf Konsens. Bei der Atompolitik hat diese Radikalisierung auf beiden Seiten dazu geführt, dass die Gegner nur noch in den Schützengräben sitzen, sich gegenseitig nicht zuhören und kluge Argumente kaum zählen.
Soll das jetzt wieder so sein? Bitte nicht: In einem modernen Staat muss Politik auch ohne Wasserwerfer führen können. Wenn jetzt eskaliert wird, könnte "Stuttgart 21" zum Anziehungspunkt für alle Randale-Freunde der Republik werden. Keine schönen Aussichten.
Die Physikerin der Macht hat sich auf ein neues Experiment eingelassen. In Stuttgart droht es außer Kontrolle zu geraten.