Stefan Kuzmany

SUV in Städten Die sinnlose Panzerkapsel

Schon die Bezeichnung "Stadtgeländewagen" zeigt die Absurdität des Autotyps SUV, der weder fürs Gelände gebraucht wird noch für den Transport von Sportgerät, sondern einzig der persönlichen Aufrüstung im Straßenverkehr dient.
Das Ende einer Fahrt mit dem SUV: Sicherheit nur für die Insassen

Das Ende einer Fahrt mit dem SUV: Sicherheit nur für die Insassen

Foto: Paul Zinken/ DPA

Zur Stunde freut sich BMW über einen schönen Zuwachs beim Verkauf seiner Fahrzeuge, 4,1 Prozent mehr konnten im vergangenen Jahr abgesetzt werden. Über die Hälfte davon waren SUV. Die Deutschen lieben diese Art von Autos: 2019, so wird geschätzt, werden erstmals mehr als eine Million solcher Fahrzeuge neu zugelassen werden.

In Berlin ist der Fahrer eines SUV der Marke Porsche mit hoher Geschwindigkeit auf einen Bürgersteig gefahren. Wir wissen noch nicht genau, warum das passiert ist. Wir wissen nicht, ob der Fahrer vielleicht einen Krampf hatte oder einen epileptischen Anfall, ob er deshalb vielleicht nicht anders konnte. Wir wissen nur, dass er dabei vier Menschen getötet hat, vier Fußgänger: Zwei junge Männer, eine ältere Frau. Und einen dreijährigen Jungen. Es ist ein schrecklicher Unfall.

Darf man ihn zum Anlass nehmen, über den Sinn dieser Autos nachzudenken? "Die Instrumentalisierung eines fürchterlichen Verkehrsunfalls und seiner Toten markiert einen neuen Tiefpunkt der Debatte um eine Verkehrswende", meint Ulf Poschardt, der "Welt"-Chefredakteur mit Benzin im Blut. Und sein Kollege Jan Fleischhauer vom "Focus" nutzt die Gelegenheit, die schärfsten Autokritiker an den Rand der Demokratie zu schieben: "Auch die Umwelthilfe hat den Dreh raus, wie man eine tragische Geschichte so spinnt, dass ein Gewinn herausspringt und am Ende immer der alte Feind schuld ist. Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde, grüner Populismus sieht nicht sehr viel weniger eklig aus als rechter."

Schön abgelenkt und sich als Stimme der Vernunft inszeniert: Wer sich jetzt gegen SUV stellt, die Grünen und die Umwelthilfe, ist nicht besser als irgendwelche Rechten, die jeden islamistischen Anschlag zum Vorwand nehmen, gegen alle Muslime zu hetzen. Dieser Logik kann allerdings nur folgen, wer Autofahren für eine Religion hält, deren Anhänger schlimmster gesellschaftlicher Diffamierung ausgesetzt sind.

Davon ist in der Realität allerdings wenig zu bemerken. Kein anderer Industriezweig genießt in diesem Land so viel Macht und Einfluss wie die Autobranche. Das Auto ist noch immer wichtigstes Statussymbol der Deutschen, es steht sinnbildlich für deutsche Wirtschaftskraft. Hochgeschwindigkeitsfahrten auf deutschen Autobahnen gelten als edler Ausdruck freier Persönlichkeitsentfaltung. Und das SUV ist das neue Lieblingsauto der Deutschen.

Da kann man ja doch einmal die Frage stellen, warum das so ist.

Nutzwert und gesunde Lebensweise

SUV steht für "Sport Utility Vehicle", dieser genial erdachte Begriff der Autoindustrie behauptet Nutzwert und gesunde Lebensweise: Der SUV-Fahrer ist ein sportlicher Typ, der einen so großen Wagen braucht, weil er darin sein, sagen wir mal, Mountainbike verstauen können muss, um damit dann schnell über die Autobahn in die Berge brausen zu können, zur körperlichen Ertüchtigung. Mag sein, dass es tatsächlich Menschen gibt, die ihr SUV so nutzen, begegnet ist mir noch keiner.

In den Medien wird das SUV oft "Stadtgeländewagen" genannt. Mit diesem Wort kommen wir der Absurdität dieses Autokonzepts schon näher. Denn was soll das denn bitteschön sein, ein Stadtgeländewagen? Es gib in Städten kein unwegsames Gelände, das macht die Stadt als durch und durch menschlich gestalteten Lebensraum ja aus. Es gibt hier auch keine legale Möglichkeit, die Spitzengeschwindigkeit von weit über 200 Stundenkilometern auszufahren, die zum Beispiel ein Porsche Macan leisten kann. Es hat in der Stadt auch keinen Sinn, von null auf hundert in unter zehn Sekunden beschleunigen zu können, auch nicht als Kraft- und Sicherheitsreserve ist so eine Motorleistung in bewohnten Gebieten nötig. Tatsächlich bewegen sich solche Autos durch die Städte wie Obelix durch sein gallisches Dorf: Stets in Gefahr, mit ihrer übergroßen Kraft unabsichtlich Schaden anzurichten.

Bestens gerüstet durch den Verkehr

Ich glaube nicht, dass - abgesehen vielleicht von den gut 1000 deutschen auf Nutztiere spezialisierten Tierärzten - irgendjemand so ein Auto wegen seiner theoretischen Geländegängigkeit oder des großzügigen Stauraums kauft. Gekauft wird es vor allem, weil es sicher ist. Genauer, das hat der schreckliche Unfall in Berlin einmal mehr gezeigt: sicher für die Insassen.

Bestens gerüstet, etwas erhöht über dem herkömmlichen Straßenverkehr, schalldicht abgedichtet und drinnen mit feinstem Stereosound berieselt, gleitet der SUV-Fahrer in einer Hochsicherheitskapsel durch die Umwelt da draußen. Verkapselt ist man in jedem Auto, aber in keinem so wie in einem SUV.

Als bekennender Fahrradhelmträger gebe ich es ungern zu, aber es stimmt schon, was Forscher der Universität Jena herausgefunden haben: Wer einen Helm trägt, neigt dazu, ein höheres Risiko einzugehen, wähnt er sich doch geschützt. Wenn das stimmt, dann kann man ahnen, was der tatsächliche Rundumschutz einer SUV-Fahrgastzelle im Hirn der Person am Steuer auslöst: Mir kann keiner was. Das ist kein Vorwurf. Der großstädtische Straßenverkehr, gerade in Berlin, ist aggressiv bis hin zur Lebensgefahr. Selbstschutz ist da allzu verständlich.

Die Polizei wird herausfinden, welche genaue Ursache der Unfall in Berlin hatte. Ganz unabhängig davon und ganz ohne Zorn auf den Autofahrer als solchen müssen wir aber feststellen, dass es so nicht weiter gehen kann. Wir sind zu viele, die zu schnell von hier nach dort kommen wollen. Rücksicht ist ein schönes Wort, im Alltag spielt sie leider keine Rolle. Wir werden neue Regeln brauchen. Eine davon könnte tatsächlich sein, als ersten Schritt übermotorisierte Panzerkapseln aus den Städten zu verbannen, denn sie sind gefährlich, umweltschädlich und verbrauchen Platz. Wer damit trotzdem in die Stadt will, sollte einen hohen Preis bezahlen, mit Geld. Nicht die Fußgänger mit ihrem Leben.

Was spricht dagegen? Es würde mich wirklich interessieren.

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