Grüner Tarek Al-Wazir in Hessen Im Dauerlauf

Tarek Al-Wazir ist Spitzenkandidat der Grünen in Hessen - und könnte sogar eine Chance haben, Ministerpräsident zu werden. Doch zu viel Euphorie will er nicht aufkommen lassen. Denn das stärkt den Gegner.
Tarek Al-Wazir

Tarek Al-Wazir

Foto: Thomas Lohnes/ Getty Images

In manchen Situationen geht sogar bei den hessischen Grünen nicht alles glatt in diesem Wahlkampf: Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir steht vor einem grünen Mikrofon in der Wiesbadener Innenstadt, er will für seine Anhänger noch schnell einen Motivations-Clip für den Sonntagvormittag aufnehmen: "Guten Morgen", sagt er fröhlich in die Kamera, "heute ist Wahltag, heute gilt's!"

Doch der Parteifreund an der Kamera unterbricht: "Geht das noch'n bisschen flüssiger?" Beim zweiten Versuch donnert direkt hinter Al-Wazir ein Lastwagen durchs Bild. Beim dritten dröhnt das Mittagsläuten der Wiesbadener Marktkirche los.

Doch der grüne Spitzenmann wirkt, als könnte er noch 20 Mal neu ansetzen, ohne seine gute Laune zu verlieren. Er ist nun seit 29 Jahren Mitglied seiner Partei, seit 23 Jahren im Landtag, er hat gute und weniger gute Zeiten erlebt, aber diesmal läuft der Wahlkampf fast wie von selbst: Die politische Konkurrenz zerlegt sich auf der Berliner Bühne, von der eigenen Bundespartei kommt Rückenwind, die Umfragewerte sind sehr gut und einige Kommentatoren wähnen den 47-jährigen Wirtschafts- und Verkehrsminister der schwarz-grünen Koalition schon als nächsten Ministerpräsidenten des Landes. "Wenn's läuft, läuft's halt", sagt Al-Wazirs Kameramann und klappt nach dem fünften Aufsager-Versuch seines Chefs endlich zufrieden sein Stativ zusammen.

Manchmal scheinen die hessischen Grünen ihre eigene Stärke noch zu unterschätzen. Vor zwei Wochen enthüllten Al-Wazir und seine Co-Kandidatin Priska Hinz vor dem Landtag ein Großplakat für die Schlussphase des Wahlkampfs. "Tarek statt GroKo" stand drauf. Eine Warnung vor einer Kopie bundespolitischer Verhältnisse in Hessen, falls es für eine Fortsetzung von Schwarz-Grün nicht mehr reichen sollte.

Ein paar Tage später erschien eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF, die alles auf den Kopf stellte: Die Grünen waren danach in Hessen auf 22 Prozent gestiegen, die SPD auf 20 abgerutscht und die CDU stehe bei 26. "Die Große Koalition", bemerkte ein Al-Wazir-Vertrauter, "das sind ja jetzt wir!"

Die Umfrage war offenbar ein Ausreißer. Andere Institute sahen die Grünen schwächer, die SPD dagegen stärker und fast immer auf Platz zwei vor den Grünen. Aber die Möglichkeit war nun in der Welt: Eine grün-rot-rote Landesregierung mit Al-Wazir als Ministerpräsident.

Er selbst würde sich das Amt zutrauen, davon sind seine Parteifreunde überzeugt. In Umfragen wird der in Offenbach geborene Al-Wazir seit Jahren zum beliebtesten Politiker des Landes gekürt, vor dem CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier und SPD-Oppositionsführer Thorsten Schäfer-Gümbel. Obwohl er formal nur auf Platz zwei hinter seiner Kabinettskollegin Hinz auf der quotierten Grünen-Liste zur Wahl steht, ist Al-Wazir in Hessen ein politischer Popstar geworden - das Gesicht der Grünen wie einst Joschka Fischer.

Bloß nicht die andere Seite aufstacheln

Aber er ist auch erfahren genug, um die Gefahr zu spüren, die in solchen Zuschreibungen steckt. Am Dienstag dieser Woche steht er mit einem anderen Popstar der Partei, Robert Habeck, in einem rammelvollen Offenbacher Szenecafé und gibt sich alle Mühe, tief zu stapeln: "Ich mach das schon so lange, dass ich auf Umfragen nichts mehr gebe." 2013 waren die Grünen vier Wochen vor der Hessenwahl auch bei 15 Prozent gehandelt worden, zwei Wochen davor noch bei etwa 13, am Ende landeten sie bei 11,1 Prozent.

Al-Wazirs Befürchtung: Wenn die Grünen in Umfragen so gut abschneiden, dass sie sogar die Regierung führen könnten, wird das möglicherweise solche Wähler anderer Parteien mobilisieren, die einen Grünen-Regierungschef auf keinen Fall wollen. Am Ende helfe das den anderen also mehr als den Grünen. Ausgeschlossen hat Al-Wazir ein Bündnis mit SPD und Linken jedoch nicht, ebensowenig wie eine Jamaika-Koalition mit CDU und FDP. "Es geht nur um die Inhalte", versichert er.

Aber das kann vieles heißen: Nach der Landtagswahl vor fünf Jahren haben SPD und Grüne in vier Sitzungsrunden mit der Linken sondiert. Am Ende entschieden Schäfer-Gümbel und Al-Wazir, dass die Linke nicht regierungsfähig sei. Fünf Jahre zuvor, 2008, hatte Al-Wazir mit der Sozialdemokratin Andrea Ypsilanti allerdings schon einen rot-grünen Koalitionsvertrag ausgehandelt, mit Tolerierung durch die Linkspartei. Das scheiterte damals nicht an den Grünen, sondern an vier Abgeordneten der SPD, die auf keinen Fall mit den Linken kooperieren wollten.

Helden oder Deppen?

Al-Wazir hat in seinem politischen Leben mehrfach gezeigt, dass er ungewöhnliche Wege zu gehen bereit ist, um seiner Partei Machtoptionen zu verschaffen. Nichts anderes war 2013 der Schwenk von jahrzehntelang demonstrierter rot-grüner Zusammenarbeit in Hessen zu einer schwarz-grünen Koalition ausgerechnet mit der als ultrakonservativ verschrienen Hessen-CDU.

In einem SPIEGEL-Interview sagte Al-Wazir damals, diese erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland biete seiner Partei die Chance, in die Geschichte einzugehen: "Ob wir das dann als Helden oder als Deppen tun, das wissen wir leider noch nicht."

Heute, nach fünf Jahren, ist er sich angesichts der guten Aussichten bei der Wahl am Sonntag sicher: "Als Deppen schon mal nicht."

Wer steckt hinter Civey?

An dieser Stelle haben Leser in der App und auf der mobilen/stationären Website die Möglichkeit, an einer repräsentativen Civey-Umfrage teilzunehmen. Civey ist ein Online-Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Berlin. Das Start-up arbeitet mit unterschiedlichen Partnern zusammen, darunter sind neben SPIEGEL ONLINE auch der "Tagesspiegel", "Cicero", der "Freitag" und Change.org. Civey wird durch das Förderprogramm ProFit der Investitionsbank Berlin und durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren