Tarifbindung Mindestlohn-Kommission startet im Streit

SPD-Kundgebung in Würzburg: "Wir überlegen eine Erhöhung deutlich nach oben"
Foto: A3609 Daniel Karmann/ dpaBerlin - Olaf Scholz überreicht Michael Sommer die Urkunde. Der goldene Bundesadler darauf blitzt, der DGB-Chef hält sie in die Kameras und ruft: "Früher kriegte man die nur als Entlassungsurkunde." Die Mitglieder der gerade ernannten Mindestlohn-Kommission neben und hinter ihm lachen, der Bundesarbeitsminister kontert: "Die gibt es auch, aber nicht am Anfang."
Es ist wahrlich kein einfaches Unterfangen, das sich der siebenköpfige Hauptausschuss der Kommission unter Leitung von Klaus von Dohnanyi vorgenommen hat. Das Gremium soll sich jenen Branchen widmen, in denen es "soziale Verwerfungen" gibt und die Tarifbindung unter 50 Prozent beträgt, also die Bindekraft von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden schwach ist.
Die Kommission betritt Neuland. Denn tarifliche Mindestlöhne gibt es bereits - sie werden aber über das Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt, etwa im Baugewerbe.
Das Gesetz über die "Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen" hingegen war einst auf Initiative der SPD geboren und Anfang der fünfziger Jahre mit Hilfe der CDU im Bundestag verabschiedet worden. Es sei wohl kein Zufall, dass es in der jetzigen Großen Koalition renoviert worden sei, sagt Scholz. In den Streitigkeiten über einen flächendeckenden Mindestlohn war es vom SPD-Minister kurz nach seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr auf die Tagesordnung gesetzt und auf seine Intitiative hin in der Großen Koalition überarbeitet worden.
Die Kommission und der Hauptausschuss stehen vor schwierigen Aufgaben. Dohnanyi, einst Erster Bürgermeister von Hamburg, gilt als ausgezeichnete Wahl. Der Sozialdemokrat ist schon öfter als Schlichter in Anspruch genommen worden. So erklärt er denn auch beim anschließenden Stehempfang im Bundesarbeitsministerium, er werde bemüht sein, "Konsensentscheidungen" herbeizuführen. Ohne allerdings zu vergessen, dass auch Mehrheitsbeschlüsse im Hauptausschuss getroffen werden können.
Dohnanyi ist als einer der wenigen Sozialdemokraten bestens verdrahtet in die Wirtschaft, er weiß daher um die Probleme der anderen Seite. Auch mit der Kanzlerin hat er über seine neue Tätigkeit gesprochen. Nun steht er einem historischen Gremium vor. Denn der Hauptausschuss ist seit den fünfziger Jahren noch nie zusammengekommen. "Alle Beteiligten nehmen an etwas Besonderem teil", sagt Minister Scholz. Die erste Kommission sei immer die wichtigste. Denn aus dem Geist, in dem diese zusammenarbeite, erfolge die Verständigung. Es klingt wie eine Mahnung.
Arbeitgeberpräsident Hundt gegen gesetzliche Regelungen
Denn dass dieses Gesetz und die dadurch in Kraft gesetzte Kommission umstritten bleiben, wurde beim anschließenden Empfang in Berlin deutlich. Da wiederholte Dieter Hundt, Arbeitgeberpräsident, seine Kritik vor Journalisten. Das Mindestarbeitsbedingungsgesetzhalte er für falsch: "Es hat in den fünfziger Jahren keine konkrete Bedeutung gehabt und wird auch in Zukunft keine Rolle spielen." Als Mitglied des Hauptausschusses werde er Anträge auf Mindestlöhne sorgfältig daraufhin prüfen, ob es soziale Verwerfungen gebe und auch darauf achten, dass "sie den Grundzügen der Tarifautonomie entsprechen". Er sehe nicht, dass einzelne Branchen nach dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz behandelt werden müssten. Die bisherige Praxis der Tarifautonomie sei besser als staatliche Eingriffe. Durch das Gesetz werde die Lohnfestlegung "zu einem Spielball der Politik".
Nur wenige Meter von Hundt entfernt steht beim Empfang DGB-Chef Sommer. Er ist für den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, den auch die SPD fordert. Mit dem sie sich aber nicht in der Großen Koalition hat durchsetzen können. Auch er klingt eher gedämpft. Sommer sagt, er werde im Hauptausschuss konstruktiv mitarbeiten, "solange es keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gibt". Der sei nach wie vor notwendig, die Tätigkeit des Hauptausschusses sei daher "ein Schritt hin zu einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn", könne ihn aber letztlich nicht ersetzen.
Scholz rechnet mit Mindestlohn bei Fleischerbetrieben
Bislang hat der DGB für einen flächendeckenden Mindestlohn 7,50 Euro pro Stunde verlangt. Nun will er mehr. "Die Forderung ist jetzt drei, vier Jahre alt, auch hat sich die Entwicklung in Europa geändert", sagt Sommer. "Wir überlegen eine Erhöhung deutlich nach oben", sagt er zu SPIEGEL ONLINE. In welcher Höhe, das werde er dem nächsten DGB-Kongress mitteilen, nicht den Medien. Erst am Abend zuvor hatte sich Linken-Chef Oskar Lafontaine in einem ARD-Talk mit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erfreut über die neue Beweglichkeit des DGB gezeigt. Die Linke will bekanntlich zehn Euro pro Stunde. Auf Lafontaines Freude angesprochen, sagt Sommer, seine Forderung nach einem höheren Mindestlohn sei nicht parteipolitisch motiviert: "Ich lasse mir von niemandem Hinweise geben, wie unsere Festlegungen sein sollen."
Vor der Kommission, die heute in Berlin zu einer ersten Sitzung zusammenkam, liegt viel Arbeit. Daten müssen zunächst gesammelt, ein "Atlas der Nicht-Tarifbindung" erstellt werden, wie es der DGB-Chef ausdrückt. Sommer hat auch bereits in einem Vorgespräch mit dem Vorsitzenden eine Regionalisierung des Mindestlohnes ins Gespräch gebracht. Eine Idee, der sich von Dohnanyi auf dem Stehempfang nicht verschließen will.
Bundesarbeitsminister Scholz ist optimistisch. Er glaubt, dass der Hauptausschuss noch in diesem Jahr bei den tariflosen Fleischbetrieben zu einem Mindestlohn kommen kann. "Eine Befassung und Entscheidung wird zügig passieren", sagt er zu SPIEGEL ONLINE.