
Bremsen für den Frieden Das große Wunschkonzert


Verkehrsschild im Depot einer Autobahnmeisterei: »So viele Schilder haben wir gar nicht auf Lager.«
Foto: Florian Gaertner / photothek / IMAGODieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Neben dem Sandkasten vor meiner Münchner Wohnung prangt seit Kurzem der Hinweis: »Privatspielplatz«. Laut den Piktogrammen auf dem grünen Schild sind Alkoholkonsum, Haustiere, Fahrradfahren, lautes Musikhören und Fußballspielen verboten. Kinder sollen Helm und Schlüsselbund ablegen, bevor sie sich dem Sandburgenbau widmen. Außerdem macht das Schild unmissverständlich klar, dass nur Minderjährige der ungerade nummerierten Häuser auf der Spielinsel vor meinem Küchenfenster zugelassen sind.

Das Fanal von Butscha
Hinrichtungen, Folter, Vergewaltigungen – über vier Wochen hinweg haben mutmaßlich russische Truppen in der Kleinstadt Butscha gewütet. Überlebende berichten von grauenhaften Szenen. Der Westen verhängt nun neue Sanktionen gegen Moskau. Und Ermittler bereiten Anklagen gegen die Tatverdächtigen vor.
Lesen Sie unsere Titelgeschichte, weitere Hintergründe und Analysen im digitalen SPIEGEL.
In Deutschland existieren über 400 verschiedene Verkehrszeichen. Bundesweit schmücken schätzungsweise 25 Millionen Hinweistafeln unsere Straßen. Zählt man die Warnungen vor bissigen Hunden, Dachlawinen oder Feuerwehrzufahrten mit, gibt es vermutlich mehr Schilder als Bürger in diesem Land.
Geradezu logisch schien mir daher die Begründung des FDP-Verkehrsministers Volker Wissing, warum es in Deutschland kein temporäres Tempolimit geben kann: »So viele Schilder haben wir gar nicht auf Lager.«
Ich verrate ihm gerne meine Adresse, falls er ein paar Mitarbeiter mit Kreissäge und Schraubenzieher zu den Privatspielplätzen dieser Gegend schicken möchte. Vermutlich ist Wissing aber gar nicht auf der Suche nach Schildern, sondern auf der nach Ausreden. Mit einem Tempolimit würde er jedenfalls Verkehrszeichen sparen, denn einige der runden weißen Schilder mit den fünf quer darüber verlaufenden Balken könnten abmontiert werden. Das Signal »Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben« würde seltener gebraucht.
Wissing hätte auch auf den Koalitionsvertrag verweisen können, laut dem Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen nicht vorgesehen sind. Seit Ausbruch des Krieges fühlen sich allerdings viele Grüne nicht mehr an den Vertrag gebunden. Zu verführerisch scheint es zu sein, die Gräuel des Krieges zur Durchsetzung der eigenen politischen Agenda zu nutzen.
Seitdem in der Ukraine die Sirenen heulen, wird in Deutschland ein schräges Wunschkonzert aufgeführt. Die Grünen wollen ein befristetes Tempolimit, die ÖDP glaubt, dass uns »jedes neue Windrad, jede Solaranlage ein Stück Unabhängigkeit von Russland« schenkt. Agrarminister Cem Özdemir schlug Fleischverzicht als »Beitrag gegen Herrn Putin« vor.

Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, Ministerpräsident Markus Söder, Kommunalreferentin Kristina Frank und Spargelkönigin Annalena Fischhaber am 28. März in München
Foto: IMAGO/B. Lindenthaler / IMAGO/LindenthalerAuch Tatenlosigkeit bei der Corona-Bekämpfung lässt sich neuerdings auf den Krieg in der Ukraine schieben. Weil Normalität in schweren Zeiten noch wichtiger sei als sonst, sinnierte Markus Söder beim Spargelanstich auf dem Münchner Viktualienmarkt, werde er davon absehen, ganz Bayern als Hotspot-Gebiet auszuweisen.
Mir macht es nichts aus, für den Frieden zu bremsen oder noch mehr Schilder im Garten aufzustellen. Ich esse Spargel auch ohne Schinken gerne. Wie so viele andere wünsche ich mir ein Ende des Krieges im Eiltempo. Ob ich auch bereit wäre, meine Arbeit, mein Haus oder mein Leben zu verlieren, um Putin zu stoppen? Vermutlich würde meine Leidensfähigkeit an die der Ukrainer nicht heranreichen.