Grundgesetzänderung Regierung will Abschuss von Terrorflugzeugen erleichtern

Was passiert, wenn Terroristen per Flugzeug einen Anschlag ausführen? Die Koalition will den jahrelangen Streitfall nach Informationen von SPIEGEL ONLINE per Grundgesetzänderung regeln. Bei unmittelbarer Gefahr soll der Verteidigungsminister den Befehl zum Einsatz der Luftwaffe im Alleingang geben.
Eurofighter auf Probeflug: Was tun im Fall eines Terrorangriffs aus der Luft?

Eurofighter auf Probeflug: Was tun im Fall eines Terrorangriffs aus der Luft?

Foto: Bernd Wüstneck/ dpa

Berlin - Die Bundesregierung will einen jahrelangen Streitfall in der Sicherheitspolitik lösen und den Einsatz der Bundeswehr im Inland zur Abwehr von Terrorflugzeugen genauer regeln. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen strebt die Koalition dazu eine baldige Änderung von Artikel 35 des Grundgesetzes an. Angesichts der großen schwarz-roten Mehrheit dürfte es dabei keine Schwierigkeiten geben. Der Vorstoß des Bundesinnenministeriums befinde sich derzeit in der Vorabstimmung zwischen den Ressorts, heißt es in Regierungskreisen.

Die Bundesregierung begibt sich damit auf heikles Terrain. Denn der Vorstoß könnte die Diskussion über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren neu beleben. So soll in der Verfassung geregelt werden, dass im Eilfall der Bundesverteidigungsminister oder die -ministerin der Bundeswehr den Einsatzbefehl gegen von Terroristen gekaperte Flugzeuge geben darf, die als Waffe eingesetzt werden sollen. Um einen Anschlag zu verhindern, könnte der Minister demzufolge in alleiniger Entscheidung Kampfjets aufsteigen lassen, die ein entführtes Passagierflugzeug abdrängen oder mit Warnschüssen zur Landung zwingen. Befinden sich in einer Maschine oder einem Kleinflugzeug ausschließlich Terroristen, wäre als letztes Mittel der Gefahrenabwehr auch ein Abschuss denkbar.

Aus Sicht der Union passt die Bundesregierung mit dem Vorhaben die Anti-Terror-Politik an die aktuelle Rechtsprechung an. "Eine solche Lösung hat das Bundesverfassungsgericht selbst nahegelegt", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), SPIEGEL ONLINE mit Blick auf die Alleinzuständigkeit des Verteidigungsministers im Notfall. "Bei akuter Gefahr bleiben nur Minuten für eine Entscheidung. Die Einberufung einer Kabinettssitzung ist da praktisch unmöglich."

Auf diesen Umstand hatte das Bundesverfassungsgericht im Sommer 2013 hingewiesen. Karlsruhe urteilte damals, dass die Entscheidung für den Einsatz militärischer Mittel zur Terrorabwehr im Inland ausnahmslos von der Bundesregierung im Kollektiv getroffen werden könne. Die im Gesetz für Eilfälle vorgesehene alleinige Entscheidungsbefugnis des Verteidigungsministers erklärten die Richter für nichtig.

In der Praxis wurde damit ein Einsatz von Kampfjets gegen entführte Flugzeuge nahezu ausgeschlossen. Denn die Zeit vom Erkennen der Gefahr bis zu einem möglichen Einschlag dürfte zu kurz sein, um das komplette Kabinett rechtzeitig zu befragen. Es bleibe eine "gravierende Schutzlücke", räumte das Gericht ein, diese sei jedoch in der Verfassung angelegt. "Mit der Grundgesetzänderung wollen wir die vom Gericht aufgezeigte 'Schutzlücke' schließen", sagte Innenstaatssekretär Krings SPIEGEL ONLINE.

Über die Grundsatzfrage, ob die Bundeswehr im Inland überhaupt gegen Terroristen eingesetzt werden darf, wird schon seit Jahren heftig gestritten. Mit dem Luftsicherheitsgesetz wollte die rot-grüne Bundesregierung einst Vorkehrungen für den Ernstfall treffen: Sollten Terroristen - so wie die Attentäter vom 11. September 2001 in den USA - ein Passagierflugzeug entführen, um dieses in ein Gebäude oder eine Menschenmenge zu steuern, dann sollte die Luftwaffe dieses Flugzeug abschießen dürfen.

Karlsruhe stoppte die Pläne zunächst komplett. Zum einen dürfe das Leben der Zivilisten an Bord des Flugzeugs nicht mit dem Leben möglicher Opfer am Boden aufgerechnet werden, argumentierten die Richter. Zum anderen dürfe die Bundeswehr bei einem Einsatz im Inneren grundsätzlich keine militärischen, sondern nur polizeiliche Mittel anwenden. Dies gelte auch im Falle des Katastrophennotstands, der in Artikel 35 des Grundgesetzes geregelt ist. Mit anderen Worten: Kampfjets oder Kanonen gegen Terroristen kommen nicht in Frage.

Einige Jahre später relativierte Karlsruhe diese Sicht. In einer seltenen Plenumsentscheidung beider Senate entschieden die Richter im Sommer 2012, dass die Bundeswehr "in Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes" doch zu militärischen Waffen greifen dürfe. Kampfflieger könnten Warnschüsse abfeuern und versuchen, eine entführte Maschine abzudrängen und zu einer Notlandung zu zwingen. Der Abschuss bleibe Tabu, solange unbeteiligte Zivilisten an Bord sind.

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