Terror-Vergangenheit "Die Ex-RAFler sollen sich endlich der Verantwortung stellen"

Er ist der Bruder der Ex-RAF-Terroristin Susanne Albrecht, und noch nie hat er sich öffentlich zu ihren Taten geäußert. Auf SPIEGEL ONLINE bricht Matthias Albrecht nun sein Schweigen. Er appelliert an seine Schwester und andere Ex-Terroristen, die Morde der siebziger Jahre endlich aktiv aufzuklären.

Hamburg - Als ich am 30. Juli 1977 während eines Essens mit Freunden erfuhr, dass Jürgen Ponto von meiner Schwester Susanne Albrecht und anderen RAFlern ermordet worden war, endete ein Kapitel meines Lebens. Unerwartet, unvorbereitet und beeinträchtigt von einer nicht definierbaren Last, der man sich nicht entledigen konnte, begann ein neues.

Welche schwerwiegenden Konsequenzen und Konflikte sich als Folge der Tat meiner Schwester für mich im Laufe der Jahrzehnte ergeben würden, konnte ich mir damals nicht vorstellen. Freunde, die sich nicht trauten, mit mir darüber zu sprechen, worüber die ganze Welt im Fernsehen berichtete. Die Verunsicherung über die eigene Familie, die angesichts der Ungeheuerlichkeit des Geschehenen sprachlos wurde - um nur einige anfängliche Aspekte zu nennen.

Susanne Albrecht hat sich als Mitglied der RAF einen besonderen Status erworben, den der Verräterin. Sie hat vor dem Mord an Jürgen Ponto unsere Eltern eingespannt und benutzt, um sich bei Pontos einzuschleichen. Bis dahin waren Pontos und Albrechts engste Familienfreunde, Jürgen Ponto Pate meiner jüngeren Schwester, mein Vater Pate von Jürgen Pontos Tochter.


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Der unfassbare Verrat und die Taten meiner Schwester haben nicht nur die Familien ihrer Opfer, sondern auch ihre eigene Familie nachhaltig zerstört. Tiefste Verunsicherung meiner Eltern und Geschwister waren die Folge, und eine wirkliche Bewältigung des von Susanne verursachten familiären GAUs hat es bis heute nicht gegeben.

Die gegenwärtige Diskussion um das Thema RAF machen auch mir wieder akut bewusst, wie wenig die damaligen Geschehnisse verarbeitet sind. Aber wie können sie verarbeitet werden, wenn die Verursacher sich nicht daran beteiligen?

Meine Schwester hat es vermieden, sich zu äußern. Auf meine detailliert fragenden, um Klärung bittenden Briefe seit 1990 hat sie jahrelang nicht geantwortet. Einmal schreibt sie dann im Jahr 2006: "die frage nach dem warum ist ja die enthemmtheit, dass ich mich nicht scheute, meine Mutter auch noch zu benutzen, um einen besten Familienfreund entführen zu wollen" und "das ist ja nicht so mal eben wegen politischer einschätzungen, sicher auch, aber da ist ja noch dieser andere teil, dieser ganz persönliche." Das war's. Aber es genügt nicht.

Auf Briefe jahrelang keine Antwort

Hätte sie Werte wie Moral oder irgendwelche Ansätze von Menschlichkeit, oder empfände sie so etwas wie Reue, wären ihr Erklärung und Klärung ein Anliegen, um zumindest mit den eigenen Angehörigen ins Reine zu kommen. Aber sie und andere aus ihrer Generation stellen sich weder dieser menschlich-familiären Verantwortung noch der historischen und gesellschaftlichen.

Über die Morde und die Provokation des Staates, die sie damals als politisch motiviert begründeten, sprechen sie nicht und tragen nichts dazu bei, dass das von ihnen geschriebene RAF-Kapitel deutscher Geschichte eine bessere Aufarbeitung erfährt. Noch immer sind Morde unaufgeklärt. Und noch immer ist die RAF letztlich die - durchaus positiv besetzte - Bezugsgröße der ehemaligen Täter. Dabei geht es doch um eine radikale Infragestellung der Ideologie der RAF und damit um eine aktive Aufklärung des Geschehenen - um endlich anfangen zu können, die Wunden zu heilen.

Ein wirkliches Interesse an den Auswirkungen nie gezeigt

Susanne Albrecht hat sich nicht um Klärung oder gar Versöhnung bemüht. Die Rekonsolidierung ihrer eigenen Existenz scheint bei ihr Priorität zu haben. Sie hat nicht wahrnehmen wollen, dass unser Leben durch sie in unermesslichem Maße beeinträchtigt wurde und wie groß der Schaden ist, den sie angerichtet hat. Ein wirkliches Interesse an den Auswirkungen ihrer Handlungen und ihres Verrates auf ihre Angehörigen hat sie nie gezeigt.

Sie hat es bei ihren Opfern mit zwei Kategorien zu tun. Den Hinterbliebenen derer, die durch ihre Taten ums Leben gekommen sind und uns, sozusagen die Opfer zweiter Klasse, die sich von einem Grundgefühl der Mitschuld nie ganz befreien konnten.

Die zurzeit stattfindende lebhafte Auseinandersetzung mit dem Thema böte ihr ein gutes Umfeld, um endlich zu beginnen, proaktiv an der Verarbeitung der von ihr verursachten Umstände mitzuwirken.

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