Terror-Warnung Schäuble hält Selbstmord-Anschläge in Deutschland für möglich

Innenminister Schäuble hat die Gefahr von Anschlägen in Deutschland als ernst bezeichnet: Angriffe wie in Afghanistan seien auch hierzulande möglich. Staatssekretär Hanning fühlt sich an die Zeit vor dem 11. September erinnert - ein Botschaftskonvoi am Hindukusch wurde schon angegriffen.

Berlin - Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hält Selbstmordanschläge radikaler Islamisten in Deutschland "für möglich". Das sagte er am Freitag auf eine entsprechende Frage. Man beobachte, dass Personen im Grenzbereich zwischen Afghanistan und Pakistan zur Ausbildung in Terrorlager reisen. Die Gefahr von Anschlägen in Deutschland sei "ernst".

Deutschland sei, wie andere Staaten auch, seit geraumer Zeit "im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus". Deswegen sei es so wichtig, so viele Informationen wie möglich zu erhalten, sagte Schäuble und bekräftigte seine Forderung, rasch eine gesetzliche Grundlage für Online-Durchsuchungen von Computern zu schaffen. "Die Überwachung der Kommunikation ist lebensnotwendig."

Die terroristischen Strukturen in Pakistan und Afghanistan seien wieder erstarkt, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Christian Sachs. Außerdem gebe es Hinweise auf Kontakte nach Deutschland. "Es gibt Verbindungen in den afghanisch-pakistanischen Raum, es gibt deutsche Verbindungen dorthin und wieder zurück und deshalb eine gewisse Gefährdungslage in Richtung Deutschland." Auch Deutsche in Afghanistan seien verstärkt gefährdet.

Wie als Bestätigung wurde am Freitag ein Angriff auf einen deutschen Konvoi bekannt. Das Auswärtige Amt teilte mit, am vergangenen Samstag sei ein deutscher Konvoi beschossen worden.

Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE waren an dem Tag mehrere Mitarbeiter der Kabuler Botschaft zu einem Routinebesuch in die Ortschaft Chak-e-Wardak westlich von Kabul gereist, wo die Deutsche Karla Schefter seit Jahren ein Krankenhaus betreibt. Auf der Rückreise wurde der Konvoi aus Fahrzeugen des Krankenhauses und der Botschaft etwa 60 Kilometer südwestlich von Kabul von Unbekannten mit einer Raketen beschossen, ein Jeep des Krankenhauses wurde beschädigt.

Umgehend nahmen die gepanzerten Botschaftsfahrzeuge die afghanischen Helfer aus dem angegriffenen Fahrzeug auf und rasten mit voller Geschwindigkeit zurück zu dem Krankenhaus. Aus dem Rückspiegel habe man kurz darauf eine Rauchwolke gesehen, hieß es aus der Botschaft. Vermutet wird, dass es sich um Kämpfer der Taliban handelt, die den Jeep mit einer zweiten Rakete zerstört hatten.

Nach einer Nacht in dem Krankenhaus kehrten die Mitarbeiter der Botschaft sicher nach Kabul zurück. Verletzt wurde bei dem Angriff niemand. Die deutschen Behörden nähmen die Situation sehr ernst und hätten ihre Wachsamkeit erhöht, sagte der Sprecher des Innenministeriums in Berlin.

"Neue Qualität von Suizidanschlägen in Afghanistan"

Aus Sicht der deutschen Behörden hat sich die Gefahr für deutsche Soldaten in Afghanistan, aber auch für Hilfsorganisationen und Geschäftsleute in den letzten Wochen extrem erhöht. Im ganzen Land gebe es einen "auffälligen Anstieg der Bedrohung", sagte ein hochrangiger Beamter SPIEGEL ONLINE.

Detailliert zeichnet vor allem der Geheimdienst BND seit längerem auf Diagrammen sogenannte "sicherheitsrelevante Zwischenfälle" wie Angriffe auf Konvois, Selbstmordanschläge und Ähnliches auf. Die Analyse der Daten der vergangenen Wochen ist düster. So registriere man in der jüngsten Vergangenheit "eine ganze Reihe von Anschlägen im relativ befriedeten Norden des Landes".

Besonders bei den Selbstmordanschlägen verzeichnen die Behörden eine Professionalisierung, was die Auswahl der Ziele und die Ausführung der Anschläge angeht. Intern wird schon von einer "neuen Qualität von Suizidanschlägen in Afghanistan" gesprochen.

Bundesregierung ruft Bürger zur Ruhe auf

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Thomas Raabe, verwies heute darauf, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Afghanistan schon auf höchstem Stand seien. Die Lage dort sei nicht ruhig und nicht stabil.

Erst Ende Mai waren drei deutsche Soldaten bei einem Selbstmordanschlag in Kundus getötet worden. Für die Bundeswehr dort herrschen seitdem höchste Sicherheitsvorkehrungen. Afghanische und deutsche Sicherheitsorgane haben konkrete Hinweise, dass sich im Raum Kunduz noch weitere Selbstmordattentäter aufhalten, die nur auf eine Gelegenheit für die nächste Attacke warten.

Es sei mehr eine Frage der Zeit, wann wieder etwas passiere, sagte kürzlich ein hochrangiger Offizier der Bundeswehr SPIEGEL ONLINE. Deshalb hat der Kommandeur die deutschen Soldaten angewiesen, Kontrollfahrten weiterhin nur in gepanzerten Fahrzeugen zu machen. Fußpatrouillen sind vorerst nicht mehr erlaubt.

Geheimdienst sieht Gefahr so groß wie seit 2001 nicht mehr

Vize-Regierungssprecher Thomas Steg betonte heute, es gebe derzeit insgesamt keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdung. Es bestehe kein Anlass für die Bevölkerung, sich nicht normal zu verhalten.

In einem Hintergrundgespräch informierte Innenstaatssekretär August Hanning gestern Abend mehrere Journalisten darüber, dass Deutschland so gefährdet sei wie seit 2001 nicht mehr. Er selber fühle sich an die Zeit vor dem 11. September erinnert. Wie damals bekommen deutsche und ausländische Sicherheitsdienste wieder sehr viele Hinweise auf Planungen, Gruppen und einzelne Extremisten, die möglicherweise etwas vorbereiten.

Hanning zufolge liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über zehn bis zwölf Personen aus Deutschland vor, die sich in Terrorlagern in Afghanistan und Pakistan ausbilden ließen. Drei von ihnen seien kürzlich in Pakistan vor der Heimreise festgenommen worden. Zwei gelten bei den deutschen Behörden als sogenannte "Gefährder", die in Deutschland mit islamistischen Kreisen in Kontakt stehen.

ler/mgb/Reuters

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