Terrorismus Al-Qaida droht mit Anschlägen nach der Bundestagswahl

Die Drohung ist konkret und offenbar ernst gemeint: In einem Video von al-Qaida kündigt der Bonner Islamist Bekkay Harrach Attacken nach der Wahl an - falls sie kein Signal für einen Afghanistan-Abzug bringt. Die Innenminister verschärfen schon jetzt die Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen.
Von Yassin Musharbash, Marcel Rosenbach und Holger Stark
Screenshot aus dem Qaida-Video: Frist von 14 Tagen nach der Wahl

Screenshot aus dem Qaida-Video: Frist von 14 Tagen nach der Wahl

Bekkay Harrach

Berlin - Wäre der Absender des am Freitagnachmittag veröffentlichten Drohvideos nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich al-Qaida, es würde schwerfallen, es ernst zu nehmen: Der Sprecher hat sich für den Anlass denkbar untypisch gekleidet, in einem schwarzen Anzug und mit blauer Krawatte und vor einem roten Vorhang stößt der Bonner Islamist seine Drohungen aus, nichts erinnert an den Stil vorangegangener Publikationen dieser Art.

Doch seine Botschaft ist eindeutig, und die deutschen Sicherheitsbehörden nehmen sie ernst: Im Namen al-Qaidas droht der Bonner mit Terroranschlägen in Deutschland für den Fall, dass die Bundestagswahl nicht den Willen spiegele, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen.

Wörtlich sagt Harrach: "Entscheidet das deutsche Volk sich für den Krieg, hat es sein eigenes Urteil gefällt." Dann werde der Dschihad nach Deutschland getragen. Muslimen in Deutschland rate er, sich innerhalb der Frist von 14 Tagen nach der Wahl von allen nicht "lebensnotwendigen" Orten fernzuhalten und ihre Kinder in ihrer Nähe zu behalten. Zunächst unerklärlich bleibt die Passage, der zufolge ausgerechnet "die Stadt Kiel" in jedem Fall sicher bleiben werde. Harrach macht außerdem Anspielungen auf die Anschläge von Madrid 2004 und London 2005.

Andererseits, so Harrach, der in diesem Jahr unter dem Namen "Abu Talha, der Deutsche" bereits zwei als authentisch geltende Videos im Namen al-Qaidas veröffentlichte, bleibe Deutschland eine Gelegenheit, "das Bevorstehende" abzuwenden: Wenn der letzte Bundeswehrsoldat aus Afghanistan abgezogen sei, würde auch der letzte Mudschahid aus Deutschland zurückbeordert.

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen

Das Video liegt SPIEGEL ONLINE vor. Es wurde am Freitagnachmittag auf mehreren dschihadistischen Web-Seiten verbreitet, die al-Qaida und andere Terrorgruppen für ihre Propaganda nutzen. Das Band ist eine knappe halbe Stunde lang und trägt den Titel "Sicherheit - ein geteiltes Schicksal". Im Gegensatz zu seinen ersten Videos zeigt Harrach diesmal sein Gesicht, was eine eindeutige Identifizierung ermöglichen dürfte.

Deutsche Sicherheitsbehörden werten das Band zurzeit aus. Veröffentlichungsort und -modus (über die Qaida-nahe Terrornachrichte-Agentur "al-Fadschr") sprechen ebenso für die Echtheit wie Stimme und Tonfall des Sprechers.

Auch nach Angaben aus Regierungskreisen ist das Video authentisch. Das Bundesinnenministerium geht von einer "erhöhten Gefährdungslage" aus. Die Sicherheitsbehörden nehmen Harrachs Drohung ernst. Seit Monaten verdichten sich die Anzeichen, dass al-Qaida Anschläge gegen deutsche Ziele vorbereitet. Zuletzt hatten Qaida-Sympathisanten im Internet offen über einen "deutschen 11. September" gesprochen, der bevorstehe. Nach Angaben der amerikanischen Regierung hat die Qaida-Führung in Pakistan zudem die nordafrikanische Filiale "al-Qaida im Maghreb" angewiesen, gezielt gegen Deutsche vorzugehen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) rechnet deshalb mit neuen Entführungsversuchen, es sei "zu befürchten, dass deutsche Geiseln im Zusammenhang mit politischen Forderungen wie beispielsweise dem Rückzug Deutschlands aus Afghanistan getötet werden könnten", heißt es in einer vertraulichen Lageanalyse des BKA. Und weiter: "Diese zahlreiche direkten Ansprachen Deutschland sind neu. Deutschland ist nach den USA erst der zweite Staat, dessen Bevölkerung durch al-Qaida und ihr nahestehende Organisationen in dieser Unmittelbarkeit in der Landessprache angesprochen wird."

Von Bonn nach Waziristan

Die entscheidende Frage ist nun, ob Harrach nur droht - oder nach der Wahl tatsächlich grünes Licht für einen vorbereiteten Anschlag gibt. Dass die deutschen Truppen alsbald abgezogen, glaubt der Islamist wohl selbst nicht: Sowohl Frank-Walter Steinmeier als auch Angela Merkel haben sich zum Afghanistan-Einsatz bekannt.

Doch am Freitag erhöhten die Bundesregierung und die Landesinnenminister vorsichtshalber noch einmal die Sicherheitsvorkehrungen. Harrach gilt als Angehöriger der mittleren Qaida-Führungsebene, er soll Mitglied in einem Komitee sein, das Anschläge im Ausland plant. Die Sicherheitsbehörden trauen ihm deshalb zu, den markigen Worten auch Taten folgen zu lassen.

Bekkay Harrach stammt aus Bonn-Bad Godesberg und studierte eine Zeitlang Lasertechnik und Wirtschaftsmathematik. 2003 reiste er in die palästinensischen Gebiete und wurde vom israelischen Militär verletzt, nach dem Sturz Saddam Husseins reiste er zweimal in den Irak. Nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden reiste er 2007 nach Waziristan, ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet. Offenbar war er mit einem Empfehlungsschreiben eines Qaida-Mannes ausgestattet, der kürzlich in Koblenz verurteilt wurde. Auf diese Weise gelangte Harrach anscheinend tatsächlich bis ins direkte Umfeld al-Qaidas.

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