Terrorismus Bin Ladens Eurofighter
Berlin - Die Forscher umschrieben ihre Aufgabenstellung ambitioniert: "Wir müssen wissen, wer die Dschihadisten sind, woher sie stammen und wie sie aussehen." Ganz konnten die Niederländer Edwin Bakker und Teije Hidde Donker diesen Anspruch nicht einlösen. Aber ihre Studie "Dschihadistische Terroristen in Europa" liefert dennoch zuhauf spannende Ergebnisse.
242 Personen haben sie sich vorgenommen, die von 2001 bis 2006 in 28 Netzwerken organisiert waren, 31 Anschläge geplant und zum Teil auch durchgeführt haben oder haben sollen. (Einige gelten bisher als mutmaßliche Terroristen, weil die Verfahren noch nicht abgeschlossen sind.) Die Liste umfasst wenig bekannte Plots wie den Versuch, 2004 das oberste spanische Gericht anzugreifen, aber auch prominente Terrorattacken: zum Beispiel die Ermordung Theo van Goghs 2004 oder die Bomben in der Londoner U-Bahn 2005.
Eines der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung: Es gibt keinen Standard-Dschihadisten. Die insgesamt 28 identifizierten Netzwerke unterscheiden sich den Forschern zufolge untereinander erheblich. Manchmal hatten die Behörden es mit Einzeltätern zu tun, im Falle der Bomben gegen Madrider Vorortzüge 2004 dagegen mit mehr als 30 Personen. Auch was das Alter der Attentäter angeht, klaffen die Daten auseinander: Der jüngste war 16, der älteste 59 - da ist es wenig aussagekräftig, dass der Durchschnitt bei 27,3 Jahren liegt.
Homogene Zellen
Im Inneren sind die Zellen allerdings überraschend homogen: Pakistaner finden meistens zu Pakistanern, Marokkaner zu Marokkanern und - im Falle der Kofferbomber in Deutschland - Libanesen zu Libanesen. Die meisten Dschihadisten sind Männer. Nur fünf Frauen tauchen in der Auswertung auf.
Auch die Ziele und Methoden unterscheiden sich nicht allzusehr. Mit Abstand am häufigsten wurden Verkehrssysteme ins Visier genommen, in vielen Fällen sollte Sprengstoff zum Einsatz kommen. Die Zielauswahl war durchgehend perfide: Die Pläne richteten sich ausschließlich gegen zivile Einrichtungen oder Zivilisten. Unter den 242 Dschihadisten waren 11 Selbstmordattentäter - die die verheerendsten Anschläge begingen.
Als besonders gefährdet haben sich im untersuchten Zeitraum Großbritannien und die Niederlande herausgestellt: 12 beziehungsweise 7 der Netzwerke agierten in diesen Ländern, 4 in Frankreich und je 3 in Spanien und Belgien.
Auf der Suche nach einem Profil
Mit Abstand am interessantesten sind die Hinweise, die Bakker und Hidde Donker zu Herkunft und Radikalisierung der Attentäter und mutmaßlichen Terroristen herausgearbeitet haben.
Insgesamt sind 29 Nationalitäten vertreten - aber es gibt klare Häufungen. Allein die 55 untersuchten Algerier machen fast ein Viertel des Samples aus. Mit anderen Nordafrikanern stellen sie mehr als die Hälfte. Aktiv wurden sie vor allem in jenen Ländern, in denen viele ihrer Landsleute heimisch sind: Frankreich, Spanien und Belgien.
Die zweite Häufung: 24 pakistanischstämmige Attentäter, die entsprechend vor allem in Großbritannien Anschläge planten.
Diese Daten entfalten ihre volle Aussagekraft erst im Vergleich mit einer Studie des US-Forschers Marc Sageman, der 2004 eine ähnliche Untersuchung internationaler Terroristen mit Qaida-Bezug vorgelegt hatte. Die Niederländer haben einen solchen mitgeliefert - er macht deutlich, dass die Euro-Dschihadisten schon einer anderen Generation angehören als Sagemanns Sample.
Dessen Kämpfer waren fast ausschließlich Araber, vor allem Saudis und Ägypter, die ins Ausland gingen. 70 Prozent von ihnen radikalisierten sich denn auch außerhalb des Landes, in dem sie zuvor gelebt hatten. Bei al-Qaidas Eurofightern ist es genau umgekehrt: Mehr als 80 Prozent von ihnen fanden in dem europäischen Land, in dem sie lebten, zum bewaffneten Dschihad.
Radikalisierung mit Freunden und Familie
In diesen Zahlen liegt der Beleg verborgen, dass die Bedeutung der afghanischen Trainingscamps für die Radikalisierung mittlerweile weitgehend kompensiert werden konnte.
Die Bedeutung des Internets - und die immer kürzer werdende Radikalisierungsphase
Bakker und Hidde Donker bringen es so auf den Punkt: Ihre Dschihadisten-Gruppe unterscheide sich "fundamental von den globalen Mudschahidin". Dieser Schluss wird noch anderweitig gestützt - zum Beispiel durch die Erkenntnis, dass die in Europa aktiv gewordenen Dschihadisten "sich mit wenig Außeneinfluss radikalisieren, ... und zwar oftmals gemeinsam mit Freunden und Familienmitgliedern".
Soll heißen: Die Euro-Terroristen rekrutieren sich selbst. Das Internet spielt dabei eine besondere Rolle. Denn viele der untersuchten Dschihadisten versorgten sich über das Netz mit Propaganda von al-Qaida & Co. - und zwar verstärkt innerhalb weniger Monate vor der Tat.
Das erhärtet, was Sicherheitsbehörden längst fürchten: Die Radikalisierungsphase fällt immer kürzer aus.
Kein Mentekel, sondern Wirklichkeit
Noch ein weiterer Unterschied zu Sagemanns Untersuchung gibt zu denken: 58 Dschihadisten sind vor der Tat polizeiauffällig geworden - fast ein Viertel und viel mehr als bei Sagemann. Kleinkriminelle finden heute und in Europa offenbar häufiger den Weg zu al-Qaida & Co. als früher und anderswo.
Auch ein im Vergleich zu Sagemann höherer Anteil von Konvertiten (14 insgesamt - 13 Ex-Christen und 1 Ex-Hinduist) bestätigt, dass der Weg in den Dschihadismus heute öfter über Umwege führt als früher.
Ein Profil lässt sich aus diesen Daten trotz aller interessanten Details nicht gewinnen. Die Attentätertypen sind zu vielfältig. Am stärksten verwertbar ist fürs Profiling wohl noch das Ergebnis, dass so viele Terrorverdächtige zuvor Kleinkriminelle waren.
Die Macher der Studie selbst glauben, dass sie nun mit Sicherheit den Homegrown Terrorism als neuen Megatrend unter Europas Dschihadisten ausmachen können. Allerdings rückt die Debatte unter Terrorexperten gegenwärtig von diesem Begriff wieder ab - denn die Untersuchungen der Attentate in London vom Juli 2005 haben Verbindungen nach Pakistan und zu al-Qaida offenbart. Diese stehen dem Schluss entgegen, dass die Täter ganz auf eigene Faust gehandelt haben.
Der eigentliche Wert der Studie dürfte woanders liegen: in der schlichten Auswertung dessen, was schon geschehen ist. Die nun deutlicher gewordenen Trends zum Beispiel bei der Zielauswahl in Europa aktiver Terroristen sind hilfreich für die Prävention. Genauso die empirisch gestützte Erkenntnis, dass es eine Korrelation zwischen Propaganda im Internet und rascher Radikalisierung gibt.
Vor allem aber kann nun als belegt gelten, dass die meisten Attentäter, die in Europa zur Tat schreiten, sich zuvor hier innerhalb der Mehrheitsgesellschaften zu Dschihadisten entwickeln - mittlerweile in den meisten Fällen ganz ohne Pulverdampf-Erfahrung und Terrorcamp-Aufenthalt.
Die "neue Generation" von Dschihadisten in Europa - sie ist kein Menetekel, sie ist Wirklichkeit.
Zusammenfassung der Studie im Internet: "Dschihadistische Terroristen in Europa" , Dezember 2006