Sicherheitsoffensive der Union Der Terror-Wahlkampf ist eröffnet

Thomas de Maizière
Foto: Johannes Simon/ Getty ImagesEs ist Sommerpause, doch aus Sicht des Bundesinnenministers gibt es keinen Grund zur Entspannung. "Die Terrorbedrohung ist hoch", sagte Thomas de Maiziere (CDU) am Mittwoch bei einem Besuch in Bremen. An diesem Donnerstag präsentiert er mehrere Sicherheits- und Asylrechtsverschärfungen, Teile davon sickerten im Vorfeld durch.
Dabei ist das letzte Anti-Terror-Paket der Bundesregierung nur zwei Monate alt. Doch dann kam die Serie der Gewalt in Süddeutschland. Zwei der Juli-Attacken gehen auf das Konto der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), drei der Täter waren Flüchtlinge. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach danach ein entschiedeneres Vorgehen gegen islamistische Extremisten. Jetzt zieht der Innenminister mit einem konkreteren Plan nach.
Parallel preschten auch die unionsregierten Bundesländer am Mittwoch mit einem eigenen Konzept voran. Beide Vorstöße zusammen wirken wie eine konzertierte Anti-Terror-Aktion.
Genau das ist die Absicht von CDU und CSU. Denn so kompliziert und umstritten einige der Gesetzesvorhaben sein mögen - von schnelleren Abschiebungen über eine Erweiterung der Vorratsdatenspeicherung bis zu einem Burkaverbot -, das Kalkül dahinter ist simpel.
Der Wahlkampf geht los
Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl will sich die Union beim Reizthema Sicherheit von der SPD abgrenzen. Auf dem Stammgebiet der Konservativen möchten Hardliner wie de Maizière oder auch Finanzminister Wolfgang Schäuble weder den Sozialdemokraten noch der Alternative für Deutschland (AfD) Platz lassen.
Der Wunschkatalog der Unions-Innenminister ("Berliner Erklärung") erfüllt den strategischen Zweck schon mal hervorragend. Auch wenn sich die 27 Forderungen teilweise wie die Greatest Hits der Union zum Thema Sicherheit lesen - und der Nutzen einiger Punkte fragwürdig ist.
- Die acht Ressortchefs von CDU und CSU wollen Terrorgefahren und organisierte Kriminalität stärker bekämpfen. Sie pochen auf 15.000 zusätzliche Polizisten bis 2020. Mehr Personal, das fordern Union und SPD gleichermaßen - dort könnte sich also tatsächlich etwas bewegen. Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, warnt aber vor Aktionismus: Der Ruf nach mehr Polizei sei richtig, aber "nur dann sinnvoll, wenn dieses Personal ziel- und zweckgerichtet rekrutiert, ausgebildet und eingesetzt wird".
- Außerdem verlangen die Minister einen Zugang der Geheimdienste zur Vorratsdatenspeicherung - das lehnt SPD-Justizminister Heiko Maas ab. Sie wollen zudem eine verschärfte Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen.
- Die Minister fordern das Aus für die doppelte Staatsbürgerschaft, weil diese aus ihrer Sicht die Integration erschwert. BDK-Chef Schulz hält das für fatal: Ein Abschaffen des Doppelpasses "wäre ein großer Schritt zurück".
- Außerdem drängen die Unionsminister auf ein Verbot der Vollverschleierung. Rein rechtlich wäre ein Burka-Verbot in Deutschland ziemlich aussichtslos. Und selbst robuste Terrorfahnder bezweifeln den Sinn. Symbolisch aber wirkt so ein Bann wie ein hartes Durchgreifen gegen vermeintliche Islamisierung. In diese Kategorie fällt der Wunsch, nichtdeutsche Hassprediger sofort ausweisen zu lassen.
- Der Verfassungsschutz soll bereits gegen 14-jährige Verdächtige ermitteln können. Ähnliches hatte die Bundesregierung in ihrem letzten Anti-Terror-Paket bekräftigt, eine bundeseinheitliche Regelung gibt es aber nicht - das kritisieren die Unionsminister. Sämtliche Juli-Attacken wurden von jungen Männern verübt. Im Februar stach zudem die 15-jährige Safia S. in Hannover einen Bundespolizisten nieder.
Die Gegenreaktionen der SPD machen klar: Der Wahlkampf ist offenbar schon eingeleitet. SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht im Doppelpass-Vorstoß ein "völlig falsches Signal". Und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sieht sozialdemokratische Ideen kopiert: Man werbe seit Monaten für mehr Polizisten in Bund und Ländern, "lange sind wir damit auf taube Ohren beim Koalitionspartner gestoßen", sagte er SPIEGEL ONLINE. "Ich freue mich, dass sich in der Union nun unsere Auffassung breit macht."
Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius sprach von "panisch zusammengeschusterten Papieren" und "aufgewärmten Forderungen aus der rechtskonservativen Altkleidersammlung". Weder der Entzug von Doppelpässen noch ein Burka-Verbot hätten Anschläge verhindert. Pistorius warf der Union vor, wahre Probleme zu verschleppen - etwa die halbe Million unerledigte Asylanträge.
Bundesregierung: Keine Debatte über Doppelpass
Die Bundesregierung macht deutlich, die doppelte Staatsbürgerschaft stünde nicht zur Debatte. De Maizière persönlich soll dagegen sein, und ein Burka-Verbot hält er dem Vernehmen nach ebenfalls nicht für durchsetzbar. In Bremen deutete er, dass er nicht mit allen Vorschlägen seiner Länder-Kollegen einverstanden sei.
Doch auch seine eigenen Pläne, die er am Donnerstag vorstellt, werden teilweise bereits öffentlich zerrupft. Das ist bislang darüber bekannt:
- Gefährder und straffällige ausreisepflichtige Ausländer sollen schneller abgeschoben werden können.
- Geduldete Personen sollen ihr Bleiberecht verwirken können, wenn sie sich ihrer Abschiebung gezielt widersetzen oder sie mutwillig verzögerten.
- Außerdem möchte de Maizière die ärztliche Schweigepflicht aufweichen. Ärzte sollen dadurch Behörden über geplante Straftaten ihrer Patienten rechtzeitig informieren können. Die Bundesärztekammer reagierte entsetzt. BDK-Chef Schulz sprach von einem "kapitalen Rechtseingriff". Überhaupt ist offen, wie de Maizière Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) überzeugen würde. Der hatte stets betont, er halte absolut nichts von solchen Plänen.
Im Moment geht in der Sicherheitsdebatte einiges drunter und drüber, alles wird mit allem vermischt: Terrorgefahr, Flüchtlinge, Migration, Islam, psychische Probleme. Dass gefühlt alle paar Wochen neue oder zumindest neu aufgelegte Forderungen aufkommen, zeigt, wie sehr alle Akteure unter Handlungsdruck stehen.
So entstand Merkels Konzept zur Stärkung der Sicherheitsbehörden in höchster Eile im Kanzleramt - und offenbar ohne jegliche Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium. Nun legt de Maizière nach. In der Flüchtlingskrise verlagerte man die Hauptkompetenz von seinem Haus ins Kanzleramt. Jetzt scheint er wenigstens beim Thema Sicherheit die Hoheit behalten zu wollen.
Am Ende könnte wenig übrig bleiben
Der Vorstoß aus den Ländern wiederum zeigt, dass sich die Innenminister in der Sicherheitsdebatte nicht mehr zurückhalten wollen - denn 2016 und 2017 stehen mehrere Landtagswahlen an. Überhaupt wirkt ihr Papier wie ein klassisches Nachsetzen der Hardliner aus der Union. Ähnliches versuchte die CDU auch bei der Debatte um den Bundeswehreinsatz im Innern.
Von vielen Maßnahmen und Forderungen dürfte am Ende wenig übrig bleiben. Zahlreiche Änderungen aus dem Länder-Katalog brauchen die Zustimmung des Bundesrates, dort geht nichts ohne SPD und Grüne.
Die Forderungen von de Maizière dagegen müssten nicht durch den Bundesrat. Trotzdem ist, wie man in der Ärztefrage sieht, auch dagegen Widerstand zu erwarten.
Zusammengefasst: Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl geht die CDU beim Reizthema Sicherheit in die Offensive. Nach dem Vorstoß der unionsregierten Länder, die in ihrer "Berliner Erklärung" u.a. mehr Polizeipersonal, das Aus für die doppelte Staatsbürgerschaft sowie Verschärfungen in Sachen Vorratsdatenspeicherung und Videoüberwachung forderten, zieht Bundesinnenminister de Maiziere an diesem Donnerstag mit mehreren Sicherheits- und Asylrechtsverschärfungen nach. Außerdem möchte de Maizière die ärztliche Schweigepflicht aufweichen.