Parteiausschlussverfahren SPD gegen Thilo Sarrazin, dritter Versuch

Thilo Sarrazin, Berlins Ex-Finanzsenator: "Fühle mich in der SPD, in der ich aufwuchs, nach wie vor gut aufgehoben"
Foto: Kay Nietfeld/ DPADroht der SPD-Führung die dritte Schlappe? Um 10 Uhr steht am Mittwoch im Rathaus Berlin-Charlottenburg das Parteiordnungsverfahren gegen Thilo Sarrazin auf dem Programm. Eine Schiedskommission des Berliner Kreisverbands beschäftigt sich mit der Frage, ob Sarrazin die SPD verlassen muss.
Im Dezember hatte sich die Parteispitze zu einem weiteren Versuch entschlossen, Sarrazin aus der Partei zu werfen. Zweimal sind die Sozialdemokraten bereits damit gescheitert.
Anlass für Versuch Nummer drei ist Sarrazins Buch "Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht", das im vergangenen Sommer erschien (Lesen Sie hier eine Besprechung des Buchs ). Ein von der SPD-Spitze eingesetztes Gremium legte Ende 2018 einen 18-seitigen Bericht vor, der Sarrazin acht islamkritische und ausländerfeindliche Kernthesen seines Buches vorhält, die mit den "Grundsätzen der Sozialdemokratie unvereinbar" seien.
Für die SPD-Führung ist der Fall Sarrazin unangenehm. Der 74-Jährige war von 2002 bis 2009 Finanzsenator in Berlin und danach Vorstand der Bundesbank. Sarrazin wehrt sich wie bei den ersten beiden Verfahren mit aller Kraft gegen einen möglichen Ausschluss. Er fühle sich "in der SPD, in der ich aufwuchs, nach wie vor gut aufgehoben", sagte er im vergangenen Sommer bei der Vorstellung seines Buches.
Wie lief die Auseinandersetzung zwischen Sarrazin und der SPD-Spitze bisher ab? Und warum sind Parteiausschlussverfahren so kompliziert? Eine Übersicht.
Erster Versuch, Herbst 2009 bis Frühjahr 2010
In einem Interview mit der Kulturzeitschrift "Lettre International" warnte Sarrazin vor negativen volkswirtschaftlichen Folgen der Einwanderung. Dabei unterstellte er besonders arabischen und türkischen Immigranten Leistungs- und Integrationsunwilligkeit ("Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert").
Migrantenverbände zeigten sich empört, heftige Kritik kam auch von Gewerkschaften und aus der SPD. Ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und Beleidigung wurde im November 2009 eingestellt. Der SPD-Kreisverband Berlin-Spandau initiierte ein Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin. Es endete im März 2010 mit einem Freispruch der Landesschiedskommission.
Zweiter Versuch, Herbst 2010 bis Frühjahr 2011
Ende August 2010 erschien Sarrazins Streitschrift "Deutschland schafft sich ab". Seine Kernthese: Die deutsche Gesellschaft schrumpfe und verdumme, weil bildungsferne Deutsche und muslimische Migranten mehr Kinder bekämen als Menschen mit höherem Bildungsgrad. Das vererbte intellektuelle Potenzial in der Bevölkerung werde immer kleiner.
Das Buch löste eine anhaltende Integrationsdebatte aus und avancierte zum Bestseller. Im September leitete die damalige SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles ein weiteres Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin ein. Im April 2011 kam es zu einer gütlichen Einigung, die allerdings in Teilen der Partei auf Kritik stieß. Sarrazin hatte versprochen, in künftigen Diskussionsbeiträgen nicht sein Bekenntnis zu sozialdemokratischen Grundsätzen infrage zu stellen. Für die SPD-Spitze ging es auch darum, einem quälenden Streit im Superwahljahr 2011 zu entgehen.
Dritter Versuch, Ausgang offen
Bis zum vergangenen Sommer war es vergleichsweise ruhig um Sarrazin. Doch nach der Veröffentlichung von "Feindliche Übernahme" forderte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil ihn zum Parteiaustritt auf. Sarrazin lehnte ab. Er verweist auf die beiden gescheiterten Ausschlussverfahren der SPD.
Ein solches Manöver ist schwierig, weil die Oppositionsmeinung innerhalb der Parteien geschützt wird. Das Grundgesetz verpflichtet Parteien in Deutschland zu innerparteilicher Demokratie. Neben Stimmrechten und Minderheitenschutz müssen die Mitglieder auch gegen einen Ausschluss geschützt werden.
Parteiausschluss bei der SPD - wie geht das?
Der Parteiausschluss ist in der SPD immer die höchste Sanktionsstufe eines Parteiordnungsverfahren, das in Paragraf 35 des SPD-Organisationsstatuts geregelt wird. Einleiten kann ein solches Verfahren jede Gliederung - Ortsvereine, Unterbezirke und Bezirke - sowie der Parteivorstand. Ein Fall landet zunächst bei einer Schiedskommission des Unterbezirks, dem das Mitglied angehört, gegen das sich das Verfahren richtet.
Wenn eine Gliederung den Antrag ordnungsgemäß bei dem verantwortlichen Unterbezirk einreicht, muss es innerhalb von sechs Monaten zu einer mündlichen Verhandlung kommen. Diese Verhandlung ähnelt einer Gerichtsverhandlung. Sie dient als Grundlage für die Entscheidung über einen möglichen Ausschluss.
Gegen die Entscheidung kann auch Berufung eingelegt werden. Dann wird eine Schiedskommission auf Bezirksebene angerufen. Auch gegen deren Entscheidung kann Berufung eingelegt werden. Die höchste Instanz ist die Bundesschiedskommission der SPD.
Der Parteiausschluss ist quasi die Höchststrafe in einem Parteiordnungsverfahren. Die Schiedskommission darf nur dann ein Mitglied ausschließen, wenn es "vorsätzlich gegen die Statuten oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstoßen hat und dadurch schwerer Schaden für die Partei entstanden ist".
Es gibt aber auch weniger drastische Sanktionsmöglichkeiten, Rügen etwa oder eine Art Aussetzen: In dem Fall können Mitgliedern für eine begrenzte Zeit bestimmte Rechte entzogen werden - etwa, für Parteiämter zu kandidieren.